Regieren ohne Mehrheit – geht das gut?
Thüringen Bodo Ramelow könnte zum machtlosesten Ministerpräsidenten der Republik werden. Der Linken-Politiker ist auf die Unterstützung der Opposition angewiesen. Welche Vor- und Nachteile das hat
Augsburg Bodo Ramelow ist nach all den Wirrungen der vergangenen Wochen zwar wieder Ministerpräsident in Thüringen, aber er hat immer noch keine Mehrheit im Parlament. Damit steht zumindest eines fest: Es bleibt kompliziert im Erfurter Landtag. Denn theoretisch kann die Opposition die Politik der rotrot-grünen Koalition nahezu komplett ausbremsen. In Deutschland gelten solche Minderheitsregierungen deshalb als Notlösungen. Was spricht dafür, was spricht dagegen? ● Stabilität Den Deutschen sind stabile Verhältnisse wichtiger als anderen Nationen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges regierten in Bonn und Berlin sieben Kanzler und eine Kanzlerin. Zum Vergleich: In Italien gab es im selben Zeitraum über 40 Premierminister – einige von ihnen amtierten mehrfach. Allein Angela Merkel bekam es in ihrer Amtszeit schon mit sieben verschiedenen Kollegen aus Rom zu tun. Während in Deutschland über Jahrzehnte eine Handvoll Parteien das Geschehen bestimmte, ist die politische Landschaft in anderen Ländern schon lange deutlich unübersichtlicher. Inzwischen erschwert die Zersplitterung der politischen Landschaft aber auch in deutschen Parlamenten die Suche nach verlässlichen Mehrheiten. Die Beispiele Dänemark oder Schweden zeigen immerhin, dass Minderheitsregierungen nicht automatisch instabile Verhältnisse bedeuten.
● Überzeugungsarbeit Ein Ministerpräsident, dessen Regierung im Landtag keine Mehrheit hat, muss immer wieder aufs Neue um Unterstützung werben. Dieser erhöhte Redebedarf ist anstrengend und kann lähmend wirken, wenn die Opposition etwa aus strategischen Gründen die Regierungsarbeit blockiert. Sondierungsgespräche würden quasi zum Dauerzustand. Es kann politische Debatten aber auch beleben, wenn die handelnden Politiker
nicht einfach durchregieren, sondern die Konkurrenz im Parlament von ihren Ideen und Gesetzesinitiativen überzeugen müssen. So können im Idealfall pragmatische, sachorientierte Lösungen entstehen. Auf kommunaler Ebene sind solche wechselnden Zweckbündnisse für einzelne Projekte Alltag.
● Profil Schon eine Koalition aus drei Parteien braucht eine ausgeprägte Bereitschaft, Kompromisse zu machen. Wie schwierig es ist, eine gemeinsame Linie zu finden, haben die gescheiterten Gespräche über ein Jamaika-Bündnis nach der Bundestagswahl 2017 demonstriert. Noch komplizierter wird die Sache, wenn auch noch Teile der Opposition ins Boot geholt werden müssen. Die Suche nach einem gemeinsamen Nenner verwässert die Positionen der einzelnen Parteien. Es droht eine Politik wie auf dem Basar: ein ständiges Feilschen um Zugeständnisse und Gegenleistungen. Große Reformen sind so kaum möglich.
● Extreme Die Regierungsbildung in Thüringen war auch deshalb so kompliziert, weil die CDU beschlossen hat, weder mit der Linkspartei noch mit der AfD gemeinsame Sache zu machen. Der Linken-Politiker Ramelow wiederum hatte stets betont, er werde sich nicht von der AfD zu einer Mehrheit in der Ministerpräsidentenwahl verhelfen lassen. Im parlamentarischen Alltag kann es aber durchaus passieren, dass die AfD einzelne Projekte der Minderheitsregierung unterstützt. Oder dass AfD und CDU gemeinsam ein Projekt der Koalition verhindern. Ist das dann nicht auch eine – eigentlich verbotene – Kooperation? Und wenn sie verboten ist, wie sollen dann überhaupt Mehrheiten zustande kommen?