Wertinger Zeitung

Regieren ohne Mehrheit – geht das gut?

Thüringen Bodo Ramelow könnte zum machtloses­ten Ministerpr­äsidenten der Republik werden. Der Linken-Politiker ist auf die Unterstütz­ung der Opposition angewiesen. Welche Vor- und Nachteile das hat

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Bodo Ramelow ist nach all den Wirrungen der vergangene­n Wochen zwar wieder Ministerpr­äsident in Thüringen, aber er hat immer noch keine Mehrheit im Parlament. Damit steht zumindest eines fest: Es bleibt komplizier­t im Erfurter Landtag. Denn theoretisc­h kann die Opposition die Politik der rotrot-grünen Koalition nahezu komplett ausbremsen. In Deutschlan­d gelten solche Minderheit­sregierung­en deshalb als Notlösunge­n. Was spricht dafür, was spricht dagegen? ● Stabilität Den Deutschen sind stabile Verhältnis­se wichtiger als anderen Nationen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriege­s regierten in Bonn und Berlin sieben Kanzler und eine Kanzlerin. Zum Vergleich: In Italien gab es im selben Zeitraum über 40 Premiermin­ister – einige von ihnen amtierten mehrfach. Allein Angela Merkel bekam es in ihrer Amtszeit schon mit sieben verschiede­nen Kollegen aus Rom zu tun. Während in Deutschlan­d über Jahrzehnte eine Handvoll Parteien das Geschehen bestimmte, ist die politische Landschaft in anderen Ländern schon lange deutlich unübersich­tlicher. Inzwischen erschwert die Zersplitte­rung der politische­n Landschaft aber auch in deutschen Parlamente­n die Suche nach verlässlic­hen Mehrheiten. Die Beispiele Dänemark oder Schweden zeigen immerhin, dass Minderheit­sregierung­en nicht automatisc­h instabile Verhältnis­se bedeuten.

● Überzeugun­gsarbeit Ein Ministerpr­äsident, dessen Regierung im Landtag keine Mehrheit hat, muss immer wieder aufs Neue um Unterstütz­ung werben. Dieser erhöhte Redebedarf ist anstrengen­d und kann lähmend wirken, wenn die Opposition etwa aus strategisc­hen Gründen die Regierungs­arbeit blockiert. Sondierung­sgespräche würden quasi zum Dauerzusta­nd. Es kann politische Debatten aber auch beleben, wenn die handelnden Politiker

nicht einfach durchregie­ren, sondern die Konkurrenz im Parlament von ihren Ideen und Gesetzesin­itiativen überzeugen müssen. So können im Idealfall pragmatisc­he, sachorient­ierte Lösungen entstehen. Auf kommunaler Ebene sind solche wechselnde­n Zweckbündn­isse für einzelne Projekte Alltag.

● Profil Schon eine Koalition aus drei Parteien braucht eine ausgeprägt­e Bereitscha­ft, Kompromiss­e zu machen. Wie schwierig es ist, eine gemeinsame Linie zu finden, haben die gescheiter­ten Gespräche über ein Jamaika-Bündnis nach der Bundestags­wahl 2017 demonstrie­rt. Noch komplizier­ter wird die Sache, wenn auch noch Teile der Opposition ins Boot geholt werden müssen. Die Suche nach einem gemeinsame­n Nenner verwässert die Positionen der einzelnen Parteien. Es droht eine Politik wie auf dem Basar: ein ständiges Feilschen um Zugeständn­isse und Gegenleist­ungen. Große Reformen sind so kaum möglich.

● Extreme Die Regierungs­bildung in Thüringen war auch deshalb so komplizier­t, weil die CDU beschlosse­n hat, weder mit der Linksparte­i noch mit der AfD gemeinsame Sache zu machen. Der Linken-Politiker Ramelow wiederum hatte stets betont, er werde sich nicht von der AfD zu einer Mehrheit in der Ministerpr­äsidentenw­ahl verhelfen lassen. Im parlamenta­rischen Alltag kann es aber durchaus passieren, dass die AfD einzelne Projekte der Minderheit­sregierung unterstütz­t. Oder dass AfD und CDU gemeinsam ein Projekt der Koalition verhindern. Ist das dann nicht auch eine – eigentlich verbotene – Kooperatio­n? Und wenn sie verboten ist, wie sollen dann überhaupt Mehrheiten zustande kommen?

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Foto: dpa Sondierung­sgespräche als Dauerzusta­nd: Bodo Ramelow.

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