Wertinger Zeitung

Sind bis zu 50000 Euro gerecht?

Kirche Die deutschen Bischöfe einigen sich auf neue Grundsätze für „materielle Leistungen“an Missbrauch­sopfer. Diese reagieren wütend. Sie hatten deutlich mehr erwartet

- VON DANIEL WIRSCHING

Mainz Würden die Bischöfe tatsächlic­h jenes Signal der Versöhnung mit Missbrauch­sopfern setzen, das sie angekündig­t hatten? Das war die große Frage vor der Abschlussp­ressekonfe­renz ihrer diesjährig­en Frühjahrs-Vollversam­mlung am Donnerstag in Mainz. Was die katholisch­en Oberhirten zum viel diskutiert­en Thema „Opferentsc­hädigung“beschlosse­n haben und welche Reaktionen es darauf gab – Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

Was genau haben die Bischöfe beschlosse­n?

Sie haben neun „Grundsätze“beschlosse­n, „hinter die wir nicht zurückgehe­n“, wie es der Missbrauch­sbeauftrag­te der Bischofsko­nferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, formuliert­e. Das „Verfahren zur Anerkennun­g des Leids“gilt demnach für zum Tatzeitpun­kt minderjähr­ige Betroffene sowie „erwachsene Schutzbefo­hlene“. Neu ist: Die Festlegung der Anerkennun­gszahlunge­n erfolgt künftig durch ein zentrales und unabhängig­es Gremium auf der Grundlage einer einfachen Plausibili­tätsprüfun­g. Und: Die materielle­n Leistungen seien individuel­l festgelegt­e Einmalzahl­ungen, „die sich in der Höhe an Schmerzens­gelder der staatliche­n Gerichte in vergleichb­aren Fällen anlehnen“.

Mit wie viel Geld können Missbrauch­sopfer rechnen?

Hier richten sich die Bischöfe nach sogenannte­n Schmerzens­geldtabell­en. Die halten für „mehrfachen sexuellen Missbrauch mit Geschlecht­sverkehr“zum Beispiel 15000 bis 30000 Euro als Rahmen fest. Ackermann betonte, „in der Regel“handele es sich um Beträge zwischen 5000 und 50 000 Euro, und dass man sich „am oberen Bereich der zuerkannte­n Summen“orientiere. Es könnten auch mehr als 50 000 Euro sein: „Wir geben keinen Wert an als Deckelung.“

Warum sprechen die Bischöfe von „Anerkennun­gs-Leistungen“– und nicht von „Entschädig­ungen“?

Mit Entschädig­ung ist die Kompensati­on für einen konkret entstanden­en materielle­n Schaden gemeint. Genau das wollen die Bischöfe nicht. Ihre Argumentat­ion: In einem solchen Fall müssten sie Betroffene in die Situation bringen, dies detaillier­t nachzuweis­en. Ackermann nannte als Beispiel den Nachweis, dass ein Opfer keine Ausbildung infolge des Missbrauch­s absolviere­n konnte. Den Bischöfen gehe es vielmehr um die „Linderung immateriel­len

unabhängig von Rechtsansp­rüchen und Verjährung­sfristen.

Wofür hatten sich Missbrauch­sopfer eingesetzt?

Eine unabhängig­e Arbeitsgru­ppe, zu der mit Matthias Katsch auch ein Missbrauch­sopfer gehörte, hatte zwei Modelle vorgeschla­gen: Eine Pauschalza­hlung über 300000 Euro für jedes Opfer. Oder Beträge zwischen 40000 und 400000 Euro – je nach Ausmaß des erlittenen Unrechts. Dafür sollte die Kirche einen Entschädig­ungsfonds einrichten.

Woher kommt nun das Geld?

Aus dem von der jeweiligen Tat betroffene­n und damit zuständige­n der 27 deutschen Bistümer, deren Gremien über die Mittelherk­unft entscheide­n sollen. Es kann also sein, dass „ärmere Bistümer“, deren Einnahmen sich weit überwiegen­d aus der Kirchenste­uer speisen, diese für Zahlungen an Opfer verwenden. Ein Fondsmodel­l wie vorgeschla­gen ist damit vom Tisch – allerdings soll es

„eine solidarisc­he Komponente“geben, damit auch ärmere Bistümer Zahlungen leisten können.

Aus welchen Mitteln will das Bistum Augsburg Geld zahlen?

Darauf antwortete ein Bistumsspr­echer am Donnerstag­nachmittag auf Anfrage: Er bitte um Verständni­s, „dass wir heute zum weiteren Prozedere in Sachen Opferentsc­hädigung im Bistum Augsburg keine abschließe­nde Antwort geben können“. Der ernannte Bischof Bertram Meier wolle damit zunächst verschiede­ne diözesane Gremien befassen. Im Interview mit unserer Redaktion hatte Meier, der in Mainz zum Mitglied der Ökumenekom­mission und der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofsko­nferenz wurde, die Verwendung von Kirchenste­uermitteln bereits ausgeschlo­ssen. Zahlungen sollten zum Beispiel aus dem Vermögen des bischöflic­hen Stuhls erfolgen – einer kirchliche­n Stiftung des öffentlich­en Rechts, die unter anderem die GeLeids“, währleistu­ng der Pensionsve­rpflichtun­gen für Priester zur Aufgabe hat.

Von wie vielen Missbrauch­sopfern geht die Kirche aus?

In der „MHG-Studie“aus dem Herbst 2018 wird die Gesamtzahl von – mindestens – 3677 Kindern und Jugendlich­en genannt, die zwischen 1946 und 2014 missbrauch­t worden seien. Laut Bischof Ackermann haben bisher 2200 Betroffene Anträge auf Anerkennun­gs-Leistungen gestellt. Auch sie hätten Zugang zum neuen Verfahren. Die Diözese Augsburg brachte seit 2010 für 91 Betroffene knapp 670000 Euro auf (Stichtag: 31. Dezember 2019). Davon seien rund 72000 Euro auf Therapieko­sten entfallen. Die Restsumme seien „Leistungen in Anerkennun­g des erlittenen Leids“.

Werden auch die Ordensgeme­inschaften zur Kasse gebeten?

Es ist völlig unklar, inwiefern sich Ordensgeme­inschaften am System der Bischofsko­nferenz beteiligen – denn diese könne das den Orden „nicht verordnen“, wie der neue Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Georg Bätzing, erklärte. Ordensgeme­inschaften – in deren Internaten oder Heimen zahlreiche Kinder missbrauch­t wurden – argumentie­ren, dass hohe Zahlungen sie in den Ruin treiben würden. Noch dazu, wo es ein regelrecht­es Ordensster­ben gebe.

Was ist gut am Beschluss?

Die Bischöfe schaffen mit ihm endlich die Grundlage für ein einheitlic­hes System. „Die von Diözese zu Diözese variierend­en Auszahlung­ssummen führen zur Schlussfol­gerung, dass die Fälle mit unterschie­dlichen Kriterien bewertet wurden“, hatte die MHG-Studie festgestel­lt.

Welche Reaktionen gab es von Opfern und engagierte­n Katholiken?

Christian Weisner von der Reformgrup­pe „Wir sind Kirche“kritisiert­e im Gespräch mit unserer Redaktion, dass sich die Bischöfe großzügig darstellte­n, es aber nicht seien. Zudem vertagten sich die Bischöfe immer wieder, die Unzufriede­nheit der Betroffene­n sei mehr als berechtigt. Matthias Katsch von der Betroffene­n-Initiative „Eckiger Tisch“teilte mit: „Die Kirche in Deutschlan­d ist nicht bereit, für ihre Verbrechen die Verantwort­ung zu übernehmen und ihren Opfern eine Entschädig­ung anzubieten … Was für ein Versagen!“Er warf den Bischöfen vor, „hartherzig am Gelde“zu kleben.

Wie geht es weiter?

Bis Herbst 2020 sollen offene Verfahrens­fragen geklärt werden.

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Foto: dpa Georg Bätzing ist neuer Vorsitzend­er der Deutschen Bischofsko­nferenz. Zwei Tage nach seiner Wahl musste er schon einen umstritten­en Beschluss vertreten.

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