Wertinger Zeitung

Autokrise rüttelt Continenta­l durch

Bilanz Elektromob­ilität und Digitalisi­erung zwingen den Zulieferer zu einem massiven Umbau des Geschäfts. Dadurch werden viele Stellen wegfallen, es entstehen aber auch neue Arbeitsplä­tze

- VON STEFAN STAHL

Hannover Zwei deutsche Autozulief­erer führen die Weltrangli­ste der Branche an. An ihrem Schicksal hängen hunderttau­sende Jobs. Hinter dem Bosch-Konzern rangiert, was die Zahl der Mitarbeite­r betrifft, das Hannoveran­er Unternehme­n Continenta­l auf dem zweiten Platz. Für den baden-württember­gischen Riesen arbeiteten zuletzt 403 000 Frauen und Männer. In Diensten der niedersäch­sischen Weltfirma stehen exakt 241 458 Menschen.

Noch bieten die beiden globalen Platzhirsc­he derart viele Stellen an. Doch der radikale Wandel der Branche weg von Benzin- und Dieselauto­s hin zur deutlich weniger beschäftig­ungsintens­iven Elektromob­ilität fordert seinen Job-Tribut. Continenta­l-Chef Elmar Degenhart räumte am Donnerstag bei der Vorlage der Bilanz des Unternehme­ns für das Jahr 2019 ein, dass als Folge eines ersten Restruktur­ierungspro­gramms bereits rund 1000 Stellen weggefalle­n seien. Dabei wird es nicht bleiben. Vor fünf bis sechs Monaten hatte der Continenta­l-Chef indes noch gedacht, „wir sind tief genug gegangen und können die Bereiche stabilisie­ren“. Inzwischen machte sich in der Führungset­age des Konzerns Ernüchteru­ng breit. Degenhart sagte: „Es reicht nicht“. Damit meint der 61-Jährige, dass der Konzern weiter sparen müsse. Und das, obwohl Continenta­l bereits im vergangene­n Jahr ein einschneid­endes und von der Gewerkscha­ft IG Metall als unverhältn­ismäßig kritisiert­es Sanierungs­programm mit dem Namen „Transforma­tion 2019 – 2029“verkündet hat. Damit will der Manager das Unternehme­n für die Trends der Autoindust­rie ertüchtige­n. Conti soll stärker als heute auf Elektronik, Sensorik und Software setzen. Schließlic­h entwickeln sich Autos zu rollenden Smartphone­s, die mit immer mehr Assistenzs­ystemen bestückt werden, bis sie irgendwann autonom fahren.

Branchenke­nner gehen davon aus, dass sich in den kommenden zehn Jahren der Umfang von Software in Fahrzeugen verzehnfac­hen wird. An den neuen Technologi­en arbeiten bei Continenta­l bereits gut 51000 Ingenieure, davon mehr als 20000 Software- und IT-Experten. Bis Ende 2022 soll die Zahl Letzterer auf 22 000 steigen. Dass dennoch unter dem Strich Arbeitsplä­tze bei dem Fahrzeugte­chnologie- und Reifenhers­teller wegfallen, ist auf eine gegenläufi­ge Entwicklun­g zurückzufü­hren. Denn Conti engagiert sich nicht mehr so für klassische Sparten wie die Hydraulik und Techniken für herkömmlic­he Verbrennun­gsautos. Deswegen geht die Zahl der Stellen tendenziel­l zurück. Und tausende weitere Jobs sind allein nach dem alten Restruktur­ierungspla­n bedroht. So soll das in Roding (Oberpfalz) gelegene Werk 2024 geschlosse­n werden. Dort stellen die Beschäftig­ten hydraulisc­he Komponente­n für Benzinund Dieselmoto­ren her. Betroffen sind nach dem letzten Stand rund 520 Arbeitsplä­tze. Daneben läuft im sächsische­n Limbach-Oberfrohna 2028 das Geschäft mit hydraulisc­hen Teilen für Dieselmoto­ren aus, was etwa 850 Stellen ausmacht. Im hessischen Babenhause­n werden wohl noch einmal 2200 Arbeitsplä­tze von Umbauten in Mitleidens­chaft gezogen, während Continenta­l weiter auf den Standort Neu-Ulm mit seinen in Zukunft 700 Arbeitsplä­tzen setzt.

Das Beispiel des Autozulief­erers zeigt exemplaris­ch, wie der radikale Wandel der Branche ein Unternehme­n durchrütte­lt. Conti-Chef Degenhart schließt im Extremfall sogar betriebsbe­dingte Kündigunge­n nicht aus. Zuvor bemüht sich das Management,

Konzern muss noch einmal nachsteuer­n

Kündigunge­n werden nicht ausgeschlo­ssen

Betroffene­n andere Arbeitsplä­tze im oder sogar außerhalb des Konzerns zu verschaffe­n. Parallel wird versucht, Beschäftig­te, die noch für herkömmlic­he Technologi­en arbeiten, weiterzuqu­alifiziere­n. Mehr als 100 Frauen und Männer kämen schon in den Genuss solcher Schulungen. Das Programm soll in den nächsten zwei, drei Jahren auf 1000 Plätze ausgebaut werden. Continenta­l kommt damit auch einer Forderung der IG Metall nach.

Insgesamt stehen nach Hochrechnu­ngen von Conti-Kennern für 15000 Arbeitsplä­tze des Konzerns weltweit Veränderun­gen an. Degenhart sprach in ungewohnt deutlicher Manier für einen Vertreter der Branche „von einem der heftigsten Stürme“, denen die Autoindust­rie bisher ausgesetzt war. Das wirtschaft­liche Umfeld hat sich aus seiner Sicht erheblich verschlech­tert, zuletzt durch die Folgen des Coronaviru­s. Der Conti-Chef ist davon überzeugt, dass „der absolute Produktion­srückgang von Pkw und leichten Nutzfahrze­ugen mittlerwei­le die Dimension der Krisenjahr­e 2008/2009 erreicht“.

Die Unwetter haben erhebliche Bremsspure­n in der Bilanz des Unternehme­ns hinterlass­en. So muss der Autozulief­erer für 2019 einen Fehlbetrag von rund 1,2 Milliarden Euro verkraften, wobei er im Jahr zuvor noch 2,9 Milliarden Euro verdient hat. Entspreche­nd ist die Aktie des Dax-Werts abgestürzt.

 ?? Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa ?? Der deutsche Continenta­l-Konzern schreibt wegen des Umbaus des Unternehme­ns und der immer deutlicher werdenden Krise in der Branche inzwischen happige rote Zahlen.
Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Der deutsche Continenta­l-Konzern schreibt wegen des Umbaus des Unternehme­ns und der immer deutlicher werdenden Krise in der Branche inzwischen happige rote Zahlen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany