Autokrise rüttelt Continental durch
Bilanz Elektromobilität und Digitalisierung zwingen den Zulieferer zu einem massiven Umbau des Geschäfts. Dadurch werden viele Stellen wegfallen, es entstehen aber auch neue Arbeitsplätze
Hannover Zwei deutsche Autozulieferer führen die Weltrangliste der Branche an. An ihrem Schicksal hängen hunderttausende Jobs. Hinter dem Bosch-Konzern rangiert, was die Zahl der Mitarbeiter betrifft, das Hannoveraner Unternehmen Continental auf dem zweiten Platz. Für den baden-württembergischen Riesen arbeiteten zuletzt 403 000 Frauen und Männer. In Diensten der niedersächsischen Weltfirma stehen exakt 241 458 Menschen.
Noch bieten die beiden globalen Platzhirsche derart viele Stellen an. Doch der radikale Wandel der Branche weg von Benzin- und Dieselautos hin zur deutlich weniger beschäftigungsintensiven Elektromobilität fordert seinen Job-Tribut. Continental-Chef Elmar Degenhart räumte am Donnerstag bei der Vorlage der Bilanz des Unternehmens für das Jahr 2019 ein, dass als Folge eines ersten Restrukturierungsprogramms bereits rund 1000 Stellen weggefallen seien. Dabei wird es nicht bleiben. Vor fünf bis sechs Monaten hatte der Continental-Chef indes noch gedacht, „wir sind tief genug gegangen und können die Bereiche stabilisieren“. Inzwischen machte sich in der Führungsetage des Konzerns Ernüchterung breit. Degenhart sagte: „Es reicht nicht“. Damit meint der 61-Jährige, dass der Konzern weiter sparen müsse. Und das, obwohl Continental bereits im vergangenen Jahr ein einschneidendes und von der Gewerkschaft IG Metall als unverhältnismäßig kritisiertes Sanierungsprogramm mit dem Namen „Transformation 2019 – 2029“verkündet hat. Damit will der Manager das Unternehmen für die Trends der Autoindustrie ertüchtigen. Conti soll stärker als heute auf Elektronik, Sensorik und Software setzen. Schließlich entwickeln sich Autos zu rollenden Smartphones, die mit immer mehr Assistenzsystemen bestückt werden, bis sie irgendwann autonom fahren.
Branchenkenner gehen davon aus, dass sich in den kommenden zehn Jahren der Umfang von Software in Fahrzeugen verzehnfachen wird. An den neuen Technologien arbeiten bei Continental bereits gut 51000 Ingenieure, davon mehr als 20000 Software- und IT-Experten. Bis Ende 2022 soll die Zahl Letzterer auf 22 000 steigen. Dass dennoch unter dem Strich Arbeitsplätze bei dem Fahrzeugtechnologie- und Reifenhersteller wegfallen, ist auf eine gegenläufige Entwicklung zurückzuführen. Denn Conti engagiert sich nicht mehr so für klassische Sparten wie die Hydraulik und Techniken für herkömmliche Verbrennungsautos. Deswegen geht die Zahl der Stellen tendenziell zurück. Und tausende weitere Jobs sind allein nach dem alten Restrukturierungsplan bedroht. So soll das in Roding (Oberpfalz) gelegene Werk 2024 geschlossen werden. Dort stellen die Beschäftigten hydraulische Komponenten für Benzinund Dieselmotoren her. Betroffen sind nach dem letzten Stand rund 520 Arbeitsplätze. Daneben läuft im sächsischen Limbach-Oberfrohna 2028 das Geschäft mit hydraulischen Teilen für Dieselmotoren aus, was etwa 850 Stellen ausmacht. Im hessischen Babenhausen werden wohl noch einmal 2200 Arbeitsplätze von Umbauten in Mitleidenschaft gezogen, während Continental weiter auf den Standort Neu-Ulm mit seinen in Zukunft 700 Arbeitsplätzen setzt.
Das Beispiel des Autozulieferers zeigt exemplarisch, wie der radikale Wandel der Branche ein Unternehmen durchrüttelt. Conti-Chef Degenhart schließt im Extremfall sogar betriebsbedingte Kündigungen nicht aus. Zuvor bemüht sich das Management,
Konzern muss noch einmal nachsteuern
Kündigungen werden nicht ausgeschlossen
Betroffenen andere Arbeitsplätze im oder sogar außerhalb des Konzerns zu verschaffen. Parallel wird versucht, Beschäftigte, die noch für herkömmliche Technologien arbeiten, weiterzuqualifizieren. Mehr als 100 Frauen und Männer kämen schon in den Genuss solcher Schulungen. Das Programm soll in den nächsten zwei, drei Jahren auf 1000 Plätze ausgebaut werden. Continental kommt damit auch einer Forderung der IG Metall nach.
Insgesamt stehen nach Hochrechnungen von Conti-Kennern für 15000 Arbeitsplätze des Konzerns weltweit Veränderungen an. Degenhart sprach in ungewohnt deutlicher Manier für einen Vertreter der Branche „von einem der heftigsten Stürme“, denen die Autoindustrie bisher ausgesetzt war. Das wirtschaftliche Umfeld hat sich aus seiner Sicht erheblich verschlechtert, zuletzt durch die Folgen des Coronavirus. Der Conti-Chef ist davon überzeugt, dass „der absolute Produktionsrückgang von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen mittlerweile die Dimension der Krisenjahre 2008/2009 erreicht“.
Die Unwetter haben erhebliche Bremsspuren in der Bilanz des Unternehmens hinterlassen. So muss der Autozulieferer für 2019 einen Fehlbetrag von rund 1,2 Milliarden Euro verkraften, wobei er im Jahr zuvor noch 2,9 Milliarden Euro verdient hat. Entsprechend ist die Aktie des Dax-Werts abgestürzt.