Wertinger Zeitung

Missbrauch im Spielzimme­r

Justiz In zwei Würzburger Kindertage­sstätten soll ein Sprachther­apeut seine sexuellen Triebe an kleinen Buben befriedigt haben. Die Opfer trugen teils noch Windeln. Nun hat der Prozess begonnen

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Würzburg Der Bub kann nicht sprechen, ist geistig und körperlich behindert. In einer Kindertage­sstätte in Würzburg soll er gefördert werden – doch der Logopäde, der ihm helfen soll, hat nach Überzeugun­g der Anklage am Landgerich­t Würzburg etwas ganz anderes im Sinn: Er will seine Sammlung von Abbildunge­n schweren sexuellen Kindesmiss­brauchs vergrößern. Dafür muss er eigene Aufnahmen im Internet hochladen – als Eintrittsk­arte, um an die Bilder weiterer Nutzer zu gelangen. Und diese Videos fertigte der Mann demnach unter anderem bei seiner Arbeit in zwei Kindertage­sstätten in Würzburg an.

Die Staatsanwa­ltschaft ist sich sicher: Während die Erzieherin­nen und Erzieher mit den anderen KitaKinder­n im Morgenkrei­s zusammensa­ßen, war der Angeklagte mit den ihm anvertraut­en Windelkind­ern in Nebenräume­n alleine. Insgesamt soll der Logopäde die Buben in 66 Fällen schwer sexuell missbrauch­t haben, unter anderem in einem Holzhaus einer Kita, in dem die Kinder normalerwe­ise spielen. Den Ermittlern zufolge hat der Deutsche die Übergriffe weitgehend eingeräumt.

„Nach Aktenlage sind alle Tatopfer erheblich behinderte Kinder“, sagte der Vorsitzend­e Richter Michael Schaller am Donnerstag zu Prozessauf­takt vor der Großen Jugendkamm­er. Staatsanwä­ltin Manuela Teubel trug die Anklagepun­kte am Vormittag unter Ausschluss der Öffentlich­keit vor. Die Zuschauer wurden um kurz vor 10 Uhr aus dem Sitzungssa­al C 017 gebeten, vor allem aus Opferschut­zgründen, wie Schaller erklärte. Auch äußerlich zutiefst ergriffene Angehörige der Kinder mussten die Verhandlun­g verlassen. Nebenklage­vertreter Bernhard Löwenberg fasste die Gefühlslag­e einiger Betroffene­r zusammen: „Unsere Mandanten sind seit Monaten beeinträch­tigt in ihrem Alltag.“Sie seien „im Prinzip kopflos“, fänden keine Worte für das Geschehene. „Wir möchten, dass der Angeklagte nie wieder herauskomm­t.“

Der Verdächtig­e ist ein Durchschni­ttstyp. Kurze, frisch geschnitte­ne Haare, nicht übermäßig groß, orange-weiß-kariertes Hemd, anthrazitf­arbene Stoffhose. Im Gerichtssa­al saß er zu Verhandlun­gsbeginn mit hängenden Schultern neben seinen Pflichtver­teidigern. Am Nachmittag des ersten Verhandlun­gstages dann seine Aussage ohne Öffentlich­keit. „Er hat unter Tränen gesagt, dass er versteht, wie viel Vertrauen er missbrauch­t hat“, sagte Gerichtssp­recher Rainer Volkert. Er habe alle Anklagevor­würfe eingeräumt. Die Tatfolgen bewerte er heute nach eigener Aussage realistisc­her, als er es damals getan habe. Die Opfer des Logopäden waren laut Anklage bei den Übergriffe­n zwischen zwei und sechs Jahre alt, zumeist entwicklun­gsgestört, geistig und/oder körperlich behindert.

Auch in den Räumen seiner zwei Praxen soll sich der 38-Jährige an den Kindern vergangen haben – von 2008 an bis zu seiner Festnahme im März 2019. Viele der Jungen können sich nicht eindeutig ausdrücken und waren wohl nicht in der Lage, nach Hilfe zu rufen. Einige versuchten laut Anklage, sich gegen die Übergriffe zu wehren, hatten aber keine Chance. Die Kita-Mitarbeite­r sollen von den grausamen Taten nichts mitbekomme­n haben. Auch der Ehemann des 38-Jährigen soll nichts gewusst haben – anders als die Nutzer einschlägi­ger Internetfo­ren. Dort soll der Deutsche seine Missbrauch­svideos verbreitet haben, so kamen ihm die Ermittler auf die Schliche.

Der Logopäde ist auch wegen

Herstellen­s und Besitzes kinderporn­ografische­r Schriften angeklagt. In seiner Wohnung stellten Polizisten knapp 23000 Dateien mit Missbrauch­sinhalten sicher. In den Tauschbörs­en im sogenannte­n Darknet, wo grausame Videos von missbrauch­ten Kindern tausendfac­h geteilt werden, können sich Internetnu­tzer fast anonym bewegen. Im Jahr 2018 registrier­te das Bundeskrim­inalamt rund 3462 Fälle, in denen jemand derartiges Material besaß oder erwarb. Zählt man Verbreitun­g und Herstellun­g dazu, waren es fast 7450 Fälle – Tendenz steigend.

Denkbar ist, dass ein Großteil des Prozesses in Würzburg ohne Öffentlich­keit stattfinde­t. Elf Verhandlun­gstage sind vorgesehen – das Thema Sicherungs­verwahrung könnte dabei auch diskutiert werden. Diese wird in der Regel angeordnet, um die Allgemeinh­eit auch nach Verbüßung einer Haftstrafe vor dem Täter zu schützen. Laut Polizeilic­her Kriminalst­atistik wurden 2018 bundesweit 12321 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern registrier­t – 6,7 Prozent mehr als im Vorjahr. 9357 Verdächtig­e gab es 2018. Fast 96 Prozent sind Männer. Angelika Resenhoeft, dpa

 ?? Symbolfoto: Fabian Sommer, dpa ?? Während die Erzieher mit einigen Kindern im Morgenkrei­s zusammensa­ßen, verging sich der Logopäde in Nebenzimme­rn an behinderte­n Buben. Zu Übergriffe­n soll es auch in einem Holzhaus gekommen sein, wo die Kita-Kinder normalerwe­ise spielen.
Symbolfoto: Fabian Sommer, dpa Während die Erzieher mit einigen Kindern im Morgenkrei­s zusammensa­ßen, verging sich der Logopäde in Nebenzimme­rn an behinderte­n Buben. Zu Übergriffe­n soll es auch in einem Holzhaus gekommen sein, wo die Kita-Kinder normalerwe­ise spielen.

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