Mehr Badetote in Bayern
Unfälle Nirgendwo in Deutschland sterben so viele Menschen beim Baden wie im Freistaat. Es gibt einfach viele Gewässer in den Alpen und im Alpenvorland. Was die Retter jetzt fordern
München Vor einem Augenblick kraulte der Mann noch auf dem nördlichen Waldsee bei Senden im Landkreis Neu-Ulm. Er konnte offensichtlich gut schwimmen, berichten zwei Spaziergänger, die an diesem Sonntagnachmittag im Juni am Seeufer entlanglaufen. Doch plötzlich sehen sie den Mann nicht mehr. Er geht unter und taucht nicht mehr auf. Schnell sind die Rettungskräfte der Wasserwacht in Senden im Wasser und suchen nach ihm.
Mit dabei: Alfons Sailer. Der 38-Jährige ist seit über 20 Jahren Mitglied der Wasserwacht in Senden, inzwischen ihr Vorsitzender und immer noch als Retter im Einsatz. „Wer weiß, dass er helfen kann, will das auch tun“, sagt er. Das ganze Jahr über ist er im Einsatz, besonders im Sommer. Und es gibt viel zu tun: Mindestens 417 Menschen ertranken 2019 beim Baden in Deutschland. Dies hat die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) am Donnerstag bekannt gegeben. Allein 95 davon waren es in Bayern – so viele wie in keinem anderen Bundesland und sechs mehr als im Vorjahr.
„Wir haben hier sehr viele Gewässer, an denen wir im Einsatz sind“, sagt Sailer. Donau, Iller und eine Vielzahl von Weihern und Badeseen liegen nicht weit von Senden entfernt. Die Region ist damit typisch: Weil es überall zwischen der Donau und den Alpen so viele Flüsse und Seen gibt, sterben vor allem in Oberbayern besonders viele Menschen beim Baden – 44 waren es 2019. 19 Tote gab es in Schwaben.
Im nördlichen Waldsee suchten insgesamt 60 Retter nach dem Schwimmer. Zwei von ihnen fanden den Mann, der dort kurz zuvor untergegangen war und brachten ihn ans Ufer. Im Rettungswagen versuchten die Sanitäter, ihn zu reanimieren, doch am nächsten Morgen herrschte traurige Gewissheit: Der Mann hat nicht überlebt. Die Ermittler gehen von einem medizinischen Notfall aus.
Er sei zwar während jedes Einsatzes in der Lage, nüchtern zu entscheiden, sagt Retter Sailer. Doch kalt lassen ihn die Schicksale nicht.
„Wir reden mit den Kollegen darüber“, sagt er. Wer professionelle Hilfe braucht, bekomme sie auch. Der Mann, den er und seine Kollegen in Senden nicht mehr retten konnten, war 29 Jahre alt und als Flüchtling aus dem Senegal nach Deutschland gekommen. Er habe damit gleich mehreren besonders gefährdeten Gruppen angehört, erklärt Ingo Flechsenhar, Präsident des DLRG in Bayern. Meistens sind es Männer, die ertrinken. Vor allem junge Badegäste neigten zu Leichtsinn. Auffallend oft ertränken zudem Flüchtlinge. Die größte Risikogruppe aber seien ältere Menschen, die ihre Kräfte überschätzten.
Dass an den bayerischen Gewässern deutlich mehr Menschen sterben als an den Meeren im Norden Deutschlands, liegt nach Einschätzung von Flechsenhar daran, dass die Meere leichter zu überwachen seien als die vielen, oft kleinen Seen im Freistaat. Dabei haben die Rettungsorganisationen keine Nachwuchsprobleme – doch man dürfe sich nicht nur auf die Retter verlassen. Schwimmer bräuchten „eine gewisse Eigenverantwortung“, meint DLRG-Bundespräsident Achim Haag.
Doch nicht nur die Badegäste müssten sich ihrer Verantwortung stärker bewusst werden, auch die Politik sieht die DLRG in der Pflicht. So bieten etwa ein Viertel der Grundschulen nach Angaben der DLRG keinen Schwimmunterricht mehr an, jährlich müssten rund 80 Schwimmbäder schließen. Die Folge: Einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2017 zufolge sind 60 Prozent der Zehnjährigen keine sicheren Schwimmer mehr. Nach Ansicht der DLRG erhöht das die Gefahr von Badeunfällen, obwohl bundesweit im Jahr 2019 sogar rund 80 Menschen weniger ertranken als im Vorjahr. Für DLRG-Präsident Haag gibt es dafür eine einfache Erklärung: Das Wetter war 2019 schlechter als 2018. Dass die Zahl in Bayern dennoch gestiegen sei, kann er ebenfalls erklären: So seien während des Hochwassers im Mai viele Menschen ertrunken. Die DLRG fordert, die Zahl der Schwimmbäder zu erhöhen und den Schwimmunterricht wieder auszubauen.
Wasserwacht-Retter Sailer teilt die Forderung der DLRG nach mehr Schwimmunterricht. „Wir stellen einen Anstieg der Einsatzzahlen fest“, sagt er. „Für die kommenden Jahre sind mehr Nichtschwimmer vorprogrammiert.“