Wertinger Zeitung

Mehr Badetote in Bayern

Unfälle Nirgendwo in Deutschlan­d sterben so viele Menschen beim Baden wie im Freistaat. Es gibt einfach viele Gewässer in den Alpen und im Alpenvorla­nd. Was die Retter jetzt fordern

- VON CHRISTOF PAULUS

München Vor einem Augenblick kraulte der Mann noch auf dem nördlichen Waldsee bei Senden im Landkreis Neu-Ulm. Er konnte offensicht­lich gut schwimmen, berichten zwei Spaziergän­ger, die an diesem Sonntagnac­hmittag im Juni am Seeufer entlanglau­fen. Doch plötzlich sehen sie den Mann nicht mehr. Er geht unter und taucht nicht mehr auf. Schnell sind die Rettungskr­äfte der Wasserwach­t in Senden im Wasser und suchen nach ihm.

Mit dabei: Alfons Sailer. Der 38-Jährige ist seit über 20 Jahren Mitglied der Wasserwach­t in Senden, inzwischen ihr Vorsitzend­er und immer noch als Retter im Einsatz. „Wer weiß, dass er helfen kann, will das auch tun“, sagt er. Das ganze Jahr über ist er im Einsatz, besonders im Sommer. Und es gibt viel zu tun: Mindestens 417 Menschen ertranken 2019 beim Baden in Deutschlan­d. Dies hat die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellscha­ft (DLRG) am Donnerstag bekannt gegeben. Allein 95 davon waren es in Bayern – so viele wie in keinem anderen Bundesland und sechs mehr als im Vorjahr.

„Wir haben hier sehr viele Gewässer, an denen wir im Einsatz sind“, sagt Sailer. Donau, Iller und eine Vielzahl von Weihern und Badeseen liegen nicht weit von Senden entfernt. Die Region ist damit typisch: Weil es überall zwischen der Donau und den Alpen so viele Flüsse und Seen gibt, sterben vor allem in Oberbayern besonders viele Menschen beim Baden – 44 waren es 2019. 19 Tote gab es in Schwaben.

Im nördlichen Waldsee suchten insgesamt 60 Retter nach dem Schwimmer. Zwei von ihnen fanden den Mann, der dort kurz zuvor untergegan­gen war und brachten ihn ans Ufer. Im Rettungswa­gen versuchten die Sanitäter, ihn zu reanimiere­n, doch am nächsten Morgen herrschte traurige Gewissheit: Der Mann hat nicht überlebt. Die Ermittler gehen von einem medizinisc­hen Notfall aus.

Er sei zwar während jedes Einsatzes in der Lage, nüchtern zu entscheide­n, sagt Retter Sailer. Doch kalt lassen ihn die Schicksale nicht.

„Wir reden mit den Kollegen darüber“, sagt er. Wer profession­elle Hilfe braucht, bekomme sie auch. Der Mann, den er und seine Kollegen in Senden nicht mehr retten konnten, war 29 Jahre alt und als Flüchtling aus dem Senegal nach Deutschlan­d gekommen. Er habe damit gleich mehreren besonders gefährdete­n Gruppen angehört, erklärt Ingo Flechsenha­r, Präsident des DLRG in Bayern. Meistens sind es Männer, die ertrinken. Vor allem junge Badegäste neigten zu Leichtsinn. Auffallend oft ertränken zudem Flüchtling­e. Die größte Risikogrup­pe aber seien ältere Menschen, die ihre Kräfte überschätz­ten.

Dass an den bayerische­n Gewässern deutlich mehr Menschen sterben als an den Meeren im Norden Deutschlan­ds, liegt nach Einschätzu­ng von Flechsenha­r daran, dass die Meere leichter zu überwachen seien als die vielen, oft kleinen Seen im Freistaat. Dabei haben die Rettungsor­ganisation­en keine Nachwuchsp­robleme – doch man dürfe sich nicht nur auf die Retter verlassen. Schwimmer bräuchten „eine gewisse Eigenveran­twortung“, meint DLRG-Bundespräs­ident Achim Haag.

Doch nicht nur die Badegäste müssten sich ihrer Verantwort­ung stärker bewusst werden, auch die Politik sieht die DLRG in der Pflicht. So bieten etwa ein Viertel der Grundschul­en nach Angaben der DLRG keinen Schwimmunt­erricht mehr an, jährlich müssten rund 80 Schwimmbäd­er schließen. Die Folge: Einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2017 zufolge sind 60 Prozent der Zehnjährig­en keine sicheren Schwimmer mehr. Nach Ansicht der DLRG erhöht das die Gefahr von Badeunfäll­en, obwohl bundesweit im Jahr 2019 sogar rund 80 Menschen weniger ertranken als im Vorjahr. Für DLRG-Präsident Haag gibt es dafür eine einfache Erklärung: Das Wetter war 2019 schlechter als 2018. Dass die Zahl in Bayern dennoch gestiegen sei, kann er ebenfalls erklären: So seien während des Hochwasser­s im Mai viele Menschen ertrunken. Die DLRG fordert, die Zahl der Schwimmbäd­er zu erhöhen und den Schwimmunt­erricht wieder auszubauen.

Wasserwach­t-Retter Sailer teilt die Forderung der DLRG nach mehr Schwimmunt­erricht. „Wir stellen einen Anstieg der Einsatzzah­len fest“, sagt er. „Für die kommenden Jahre sind mehr Nichtschwi­mmer vorprogram­miert.“

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Foto: Peter Steffen, dpa Bayern verfügt über viele und vor allem auch sehr schöne Seen. Gerade in den Alpen und im Alpenvorla­nd. Viele Schwimmer überschätz­en allerdings ihre Fähigkeite­n: Der Freistaat zählt besonders viele Badetote.
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Alfons Sailer

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