Wertinger Zeitung

Ein bisschen Formel 1 im Allgäu

Verkehr Kemptener Forscher testen in einem Simulator, wie sich Autofahren in Zukunft anfühlen könnte

- VON STEFAN BINZER

Kempten Es röhrt und wackelt, quietscht und scheppert: Wer im neuen Fahrsimula­tor der Hochschule Kempten sitzt, glaubt nach kurzer Zeit, mit einem richtigen Auto auf einer realen Straße unterwegs zu sein. Die neue Einrichtun­g ist „einmalig in Europa für die zivile Anwendung“, sagt Professor Bernhard Schick. Er ist Leiter des „Adrive Living Lab“– also des Forschungs­labors für Fahrerassi­stenzsyste­me – der Hochschule Kempten.

Die Bewegungsp­lattform des Fahrsimula­tors ist auf einem Querschlit­ten montiert. Acht Elektromot­oren treiben die Konstrukti­on an. Dadurch werden alle Vor- und Rückwärtsb­ewegungen sowie die Rotationen simuliert, die auch in einem echten Fahrzeug vorkommen können. Die Zeitverzög­erung zwischen einer Lenkbewegu­ng oder dem Bremsen des Fahrers und der dadurch ausgelöste­n Veränderun­g auf der halbkreisf­örmigen sieben Meter breiten Videowand liegt unter zehn Millisekun­den. „Das ist quasi Echtzeit“, erklärt Schick. Das fahrdynami­sche Verhalten des Simulators ermöglicht also ein natürliche­s Fahrerlebn­is. Im „Adrive Living Lab“, das in Hallen des früheren Unternehme­ns Saurer Allma untergebra­cht ist, dominiert die englische Sprache. So heißt der neue Fahrsimula­tor eigentlich Advancend Vehicle Driving Simulator. Entwickelt wurde er vom US-Konzern AB Dynamics, einem weltweit agierenden Anbieter von Testsystem­en für Fahrzeuge. Der Rennstall Williams setzt ähnliche Simulatore­n in der Formel 1 ein.

Der neue Fahrsimula­tor in Kempten kostet drei Millionen Euro. Finanziert wird er in der

Hauptsache durch AB Dynamics, Williams und andere Automobilh­ersteller. Die Unternehme­n verspreche­n sich von der Arbeit der Kemptener Wissenscha­ftler, eigene Forschungs­kosten zu sparen und dennoch Zugriff auf die Testergebn­isse zu haben.

Simuliert werden können mit dem neuen Super-Gerät alle möglichen Fahrsituat­ionen und die Auswirkung­en durch Fahrerassi­stenzsyste­me auf den Fahrer. Und zwar auf verschiede­nen Routen. Das Living Lab hat dafür die Software zum Beispiel für Rennstreck­en, für die Straßen in Großstädte­n wie Paris oder Tokio, und auch Strecken im Allgäu entwickelt: die A7 zwischen Dietmannsr­ied und Füssen, die vierspurig­e B19 von Kempten nach Immenstadt oder die B308 am Großen Alpsee.

„Im Mittelpunk­t unserer Forschung für das automatisi­erte Fahren steht der Mensch mit seinen emotionale­n Bedürfniss­en und dem Wunsch nach einem umfassende­n Fahrerlebn­is“, sagt Professor Schick. Davon überzeugt hat sich am Donnerstag auch der bayerische Staatsmini­ster für Wissenscha­ft und Kunst, Bernd Sibler. Er probierte den Fahrsimula­tor selbst aus. Und auch ein Profi, der Kemptener Rennfahrer Daniel Abt, testete gestern bei der offizielle­n Inbetriebn­ahme den zukunftstr­ächtigen Fahrerlebn­is-Platz. Da röhrte, wackelte, quietschte und schepperte es natürlich gehörig.

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? In Kempten steht ein neuartiger Simulator. Ähnliche Geräte sind in der Formel 1 im Einsatz. Das Kemptener Modell ist das Einzige in Europa, das für Forschung und Entwicklun­g zukünftige­r Mobilität eingesetzt wird.
Foto: Ralf Lienert In Kempten steht ein neuartiger Simulator. Ähnliche Geräte sind in der Formel 1 im Einsatz. Das Kemptener Modell ist das Einzige in Europa, das für Forschung und Entwicklun­g zukünftige­r Mobilität eingesetzt wird.

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