Wertinger Zeitung

„Ich stehe auf einer Todesliste“

Interview Der Journalist Hasnain Kazim erhält seit Jahren Hassmails und wird bedroht. Warum er für mehr Streit plädiert, aber im Fernsehen nicht mit AfD-Politiker Björn Höcke diskutiere­n will

- Interview: Mariele Schulze Berndt

Herr Kazim, Sie sind als Journalist und Buchautor immer wieder zum Ziel von Hass und Hetze geworden. Trotz vieler fremdenfei­ndlicher Angriffe lassen Sie sich dabei nicht in die Opferrolle drängen. Ganz im Gegenteil: Auf Facebook und Twitter schlagen Sie regelrecht zurück. Warum reagieren Sie genau auf diese Weise?

Hasnain Kazim: Ich mag das Wort Fremdenfei­ndlichkeit auf mich bezogen nicht. Ich bin kein Fremder, ich bin in Deutschlan­d geboren. Abgesehen davon lasse ich mich nicht zum Opfer machen. Ich habe gelernt, dass ich antworten muss, auch wenn ich weiß, dass ich jemanden nicht überzeugen kann. Ich weiß ja nicht, wie viele Leute im Internet mitlesen und unwiderspr­ochene Aussagen als wahr annehmen. Im Internet geht es nicht immer darum, denjenigen zu überzeugen, mit dem man streitet, sondern das Publikum.

Sie haben nicht nur Hassmails bekommen, sondern werden auch immer wieder bedroht.

Kazim: Im November und Dezember habe ich fünf bis fünfzehn Morddrohun­gen täglich bekommen und erfahren, dass ich auf einer Todesliste stehe. Grund war meine Kritik an der AfD und ihren Wählern nach der Landtagswa­hl in Thüringen

am 27. Oktober 2019. AfDChef Jörg Meuthen und PegidaGrün­der Lutz Bachmann haben meine Kritik auf ihren Netzwerken geteilt. Bachmann hat angekündig­t, mich wegen Volksverhe­tzung anzuzeigen. Dadurch bekam der Hass gegen mich eine neue Qualität.

Wie haben Sie von der Todesliste erfahren, auf der Sie stehen?

Kazim: Von sich aus haben mich die Sicherheit­sbehörden nicht darüber informiert. Aber ich habe Kontakte in diese Bereiche und habe selbst recherchie­rt.

Was können Sie gegen diese Bedrohung tun?

Kazim: Rechtlich gibt es kaum eine Handhabe. Anzeige zu erstatten, führt zu nichts, weil die Verfasser der Hasskommen­tare nur selten identifizi­ert werden können. Die Staatsanwa­ltschaft stellt die Verfahren deshalb meistens ein. Und ein zivilrecht­liches Verfahren, bei dem ich Schmerzens­geld einklagen könnte, wäre sehr teuer. Deshalb brauchen wir eine Regelung, nach der Listen und Beiträge im Netz gelöscht werden müssen, die das Ziel haben, Menschen zu diffamiere­n und zu bedrohen. Twitter und Facebook müssen gezwungen werden, stärker zu moderieren und zu blockieren.

Sie plädieren für mehr Streit. Gleichzeit­ig weigern Sie sich, mit Björn Höcke – dem Partei- und Fraktionsc­hef der Thüringer AfD und Ministerpr­äsidenten-Kandidaten – im Fernsehen zu diskutiere­n. Wie passt das zusammen?

Kazim: Ich möchte kein schmückend­es Beiwerk für Rechtsextr­emisten sein und bin generell der Meinung, dass die öffentlich-rechtliche­n Medien auf Interviews mit Rassisten und Rechtsextr­emen verzichten sollten. Nur weil jemand demokratis­ch gewählt wurde, ist er noch kein Demokrat.

Anzeige zu erstatten, führt zu nichts

Was sagen Sie als Ex-Spiegel-Journalist eigentlich zum Spiegel-Titel „Der Dämokrat“, der Höcke kürzlich vor schwarzem Hintergrun­d zeigte? Kazim: Man soll Höcke keine Bühne geben. Mein Eindruck ist, dass da nicht genug nachgedach­t wurde, als diese Titelentsc­heidung getroffen wurde.

Nochmals zurück zur Wahl in Thüringen, nach der auch das Verhalten der CDU diskutiert wurde. Mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD wurde dort ja erst der FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpr­äsidenten gewählt. Dies sei ein „Dammbruch“, kommentier­ten viele Medien. Es folgte eine – auch innerparte­iliche Debatte in der CDU – über das Verhältnis der CDU zur AfD. Kazim: Es muss selbstvers­tändlich sein, dass die CDU nicht mit der AfD kooperiert. Kanzlerin Merkel steht dafür, aber andere sehen das anders. Es war ein gutes Zeichen, dass ein großer Aufschrei durchs Land ging, nachdem in Thüringen mit AfD-Stimmen ein Ministerpr­äsident gewählt wurde. Es funktionie­rt also, dass Gegner der Fremdenfei­ndlichkeit laut genug sind.

Wie aber soll man mit AfD-Wählern umgehen?

Kazim: Man muss mit allen reden, aber nicht auf der Bühne – sondern persönlich, um herauszufi­nden, ob eine Chance besteht, sie in den Kreis der Zivilisier­ten zurückzuho­len. Guter Streit setzt voraus, dass man einander zuhört. Grundvorau­ssetzung ist, dass man bereit ist, die eigene Position aufzugeben, wenn die Argumente des anderen besser sind. Bei vielen AfD-Anhängern habe ich den Eindruck, dass sie dazu leider nicht bereit sind.

Sie wollen künftig nicht nur als Journalist arbeiten, sondern auch in Schulen und auf Lesereisen für mehr Streitkult­ur werben.

Kazim: Wir dürfen nicht schweigen, sondern brauchen Zivilcoura­ge. Wenn man Diskrimini­erung und Fremdenfei­ndlichkeit begegnet, darf man nicht wegschauen, sondern muss dagegen auftreten. Das ist eine Frage der Erziehung, die auch vielen Erwachsene­n fehlt. Wenn ich in Schulen gehe, treffe ich die Menschen, die unsere Gesellscha­ft von morgen prägen. Es ist wichtig, gerade Schülerinn­en und Schüler für dieses Thema zu gewinnen. Es ist wichtig, auf seine Sprache zu achten, denn Worte haben Wirkung, wie man auch an dem Terror von Hanau sieht. Wenn man ständig Dinge hört, die Rechtsextr­emisten von sich geben, übrigens auch im Deutschen Bundestag, glauben Leute irgendwann, es sei schon irgendwie in Ordnung, Menschen zu ermorden. Das ist es aber nie.

 ?? Foto: Peter Rigaud ?? Hasnain Kazim arbeitete 14 Jahre lang für „Spiegel“und „Spiegel Online“. Künftig will er sich stärker seinen Buchprojek­ten widmen. Mit „Post von Karlheinz“gelang ihm 2018 ein Bestseller.
Foto: Peter Rigaud Hasnain Kazim arbeitete 14 Jahre lang für „Spiegel“und „Spiegel Online“. Künftig will er sich stärker seinen Buchprojek­ten widmen. Mit „Post von Karlheinz“gelang ihm 2018 ein Bestseller.

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