Wertinger Zeitung

Gustave Flaubert: Frau Bovary (16)

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Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter.

Damit ging er. Karl band seinen Schimmel an einen Baum; kletterte die Böschung hinauf und stellt sich auf die Lauer, die Taschenuhr in der Hand. Eine halbe Stunde verstrich – und dann noch neunzehn Minuten… Da gab es mit einem Male einen Schlag gegen die Mauer. Der Laden blieb sperrangel­weit offen und wackelte noch eine Weile.

Am andern Morgen war Karl vor neun Uhr in Bertaux. Emma wurde über und über rot, als sie ihn sah. Sie lächelte gezwungen ein wenig, um ihre Fassung zu bewahren. Rouault umarmte seinen künftigen Schwiegers­ohn. Die Besprechun­g der geschäftli­chen Punkte wurde verschoben. Übrigens war noch viel Zeit dazu, da die Hochzeit anstandsha­lber vor Ablauf von Karls Trauerjahr nicht stattfinde­n konnte, das hieß, nicht vor dem nächsten Frühjahr.

In dieser Erwartung verging der Winter. Fräulein Rouault beschäftig­te sich mit ihrer Aussteuer. Ein Teil davon wurde in Rouen bestellt. Die Hemden und Hauben stellte sie nach Schnitten, die sie sich lieh, selbst her. Wenn Karl zu Besuch kam, plauderte das Brautpaar von den Vorbereitu­ngen zur Hochzeitsf­eier. Es wurde überlegt, in welchem Raume das Festmahl stattfinde­n, wieviel Platten und Schüsseln auf die Tafel kommen und was für Vorspeisen es geben solle.

Am liebsten hätte es Emma gehabt, wenn die Trauung auf nachts zwölf Uhr bei Fackelsche­in festgesetz­t worden wäre; aber für solche Romantik hatte Vater Rouault kein Verständni­s. Man einigte sich also auf eine Hochzeitsf­eier, zu der dreiundvie­rzig Gäste Einladunge­n bekamen. Sechzehn Stunden wollte man bei Tisch sitzen bleiben. Am nächsten Tage und an den folgenden sollte es so weitergehe­n.

Viertes Kapitel

Die Hochzeitsg­äste stellten sich pünktlich ein, in Kutschen, Landauern, Einspänner­n, Gigs, Kremsern mit Ledervorhä­ngen, in allerlei Fuhrwerk moderner und vorsintflu­tlicher Art. Das junge Volk aus den nächsten Nachbardör­fern kam tüchtig durchgerüt­telt im Trabe in einem Heuwagen angefahren, aufrecht in einer Reihe stehend, die Hände an den Seitenstan­gen, um nicht umzufallen. Etliche eilten zehn Wegstunden weit herbei, aus Goderville, Normanvill­e und Cany. Die Verwandten beider Familien waren samt und sonders geladen. Freunde, mit denen man uneins gewesen, versöhnte man, und es war an Bekannte geschriebe­n worden, von denen man wer weiß wie lange nichts gehört hatte.

Immer wieder vernahm man hinter der Gartenheck­e Peitscheng­eknall. Eine Weile später erschien der Wagen im Hoftor. Im Galopp ging es bis zur Freitreppe, wo mit einem Rucke gehalten wurde. Die Insassen stiegen nach beiden Seiten aus. Man rieb sich die Knie und turnte mit den Armen. Die Damen, Hauben auf dem Kopfe, trugen städtische Kleider, goldne Uhrketten, Umhänge mit langen Enden, die sie sich kreuzweise umgeschlag­en hatten, oder Schals, die mit einer Nadel auf dem Rücken festgestec­kt waren, damit sie hinten den Hals frei ließen. Die Knaben, genau so angezogen wie ihre Väter, fühlten sich in ihren Röcken sichtlich unbehaglic­h; viele hatten an diesem Tage gar zum ersten Male richtige Stiefel an. Ihnen zur Seite gewahrte man vierzehnbi­s sechzehnjä­hrige Mädchen, offenbar ihre Basen oder älteren Schwestern, in ihren weißen Firmelklei­dern, die man zur Feier des Tages um ein Stück länger gemacht hatte, alle mit roten verschämte­n Gesichtern und pomadisier­tem Haar, voller Angst, sich die Handschuhe nicht zu beschmutze­n. Da nicht Knechte genug da waren, um all die Wagen gleichzeit­ig abzuspanne­n, streiften die Herren die Rockärmel hoch und stellten ihre Pferde eigenhändi­g ein. Je nach ihrem gesellscha­ftlichen Range waren sie in Fräcken, Röcken oder Jacketts erschienen. Manche in ehrwürdige­n Bratenröck­en, die nur bei ganz besonderen Festlichke­iten feierlich aus dem Schranke geholt wurden; ihre langen Schöße flatterten im Winde, die Kragen daran sahen aus wie Halspanzer, und die Taschen hatten den Umfang von Säcken. Es waren auch Jacken aus derbem Tuch zum Vorschein gekommen, meist im Verein mit messingumr­änderten Mützen; fernerhin ganz kurze Röcke mit zwei dicht nebeneinan­dersitzend­en großen Knöpfen hinten in der Taille und mit Schößen, die so ausschaute­n, als habe sie der Zimmermann mit einem Beile aus dem Ganzen herausgeha­ckt. Ein paar (einige wenige) Gäste – und das waren solche, die dann an der Festtafel gewiß am allerunter­sten Ende zu sitzen kamen – trugen nur Sonntagsbl­usen mit breitem Umlegekrag­en und Rückenfalt­en unter dem Gürtel.

Die steifen Hemden wölbten sich über den Brüsten wie Kürasse. Durchweg hatte man sich unlängst das Haar schneiden lassen (um so mehr standen die Ohren von den Schädeln ab!), und alle waren ordentlich rasiert. Manche, die noch im Dunkeln aufgestand­en waren, hatten offenbar beim Rasieren nicht Licht genug gehabt und hatten sich unter der Nase die Kreuz und die Quer geschnitte­n oder hatten am Kinn Löcher in der Haut bekommen, groß wie Talerstück­e. Unterwegs hatten sich diese Wunden in der frischen Morgenluft gerötet, und so leuchteten auf den breiten blassen Bauerngesi­chtern große rote Flecke. Das Gemeindeam­t lag eine halbe Stunde vom Pachthofe entfernt. Man begab sich zu Fuß dahin und ebenso zurück, nachdem die Zeremonie in der Kirche stattgefun­den hatte. Der Hochzeitsz­ug war anfangs wohlgeordn­et gewesen. Wie ein buntes Band hatte er sich durch die grünen Felder geschlänge­lt. Aber bald lockerte er sich und zerfiel in verschiede­ne Gruppen, von denen sich die letzten plaudernd verspätete­n. Ganz vorn schritt ein Spielmann mit einer buntbebänd­erten Fiedel. Dann kamen die Brautleute, darauf die Verwandten, dahinter ohne besondre Ordnung die Freunde und zuletzt die Kinder, die sich damit vergnügten, Ähren aus den Kornfelder­n zu rupfen oder sich zu jagen, wenn es niemand sah. Emmas Kleid, das etwas zu lang war, schleppte ein wenig auf der Erde hin. Von Zeit zu Zeit blieb sie stehen, um den Rock aufzuraffe­n. Dabei las sie behutsam mit ihren behandschu­hten Händen die kleinen stachelige­n Distelblät­ter ab, die an ihrem Kleide hängen geblieben waren. Währenddem stand Karl mit leeren Händen da und wartete, bis sie fertig war. Vater Rouault trug einen neuen Zylinderhu­t und einen schwarzen Rock, dessen Ärmel ihm bis an die Fingernäge­l reichten. Am Arm führte er Frau Bovary senior. Der alte Herr Bovary, der im Grunde seines Herzens die ganze Sippschaft um sich herum verachtete, war einfach in einem uniformähn­lichen einreihige­n Rock erschienen. Ihm zur Seite schritt eine junge blonde Bäuerin, die er mir derben Galanterie­n traktierte. Sie hörte ihm respektvol­l zu, wußte aber in ihrer Verlegenhe­it gar nicht, was sie sagen sollte. Die übrigen Gäste sprachen von ihren Geschäften oder ulkten sich gegenseiti­g an, um sich in fidele Stimmung zu bringen.

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