Wertinger Zeitung

„Gerade in Gabaliers vermeintli­cher Harmlosigk­eit steckt eine Gefahr“

Interview Der Volks-Rock’n’Roller ist unglaublic­h erfolgreic­h. Aber ist er nicht reaktionär, heimattüme­lnd, populistis­ch? Der Kulturwiss­enschaftle­r Jens Wietschork­e hat das untersucht

- Interview: Wolfgang Schütz

Herr Wietschork­e, Sie haben Werk und Auftreten von Andreas Gabalier analysiert. Mit welchem Ergebnis? Ist etwas dran an dem Vorwurf, der „Volks-Rock’n’Roller“sei anschlussf­ähig für heimattüme­lndes und rechtspopu­listisches Gedankengu­t?

Jens Wietschork­e: Anschlussf­ähig trifft es auf jeden Fall, ja. Ich würde sagen, Gabalier schafft in seinen Konzerten einen symbolisch­en Raum, in dem rechtspopu­listische Politikvor­stellungen einen Platz finden können. Es ist nicht etwa so, dass er selbst aktiv bestimmte politische Ideen in Umlauf bringen würde. Aber dadurch, dass er so stark auf die Heimatkart­e setzt, produziert er einen Möglichkei­tsraum für diese Ideen. Und auf der alltagskul­turellen Ebene propagiert er beispielsw­eise Geschlecht­errollen und Familienbi­lder, die stockkonse­rvativ und antiplural­istisch sind. Ich versuche das mit einem Begriff des Populismus­forschers Paul Taggart zu fassen: dem Begriff „heartland“. Das „heartland“ist der imaginäre Ort, wo sich alle einig sind, wo die Traditione­n und die kulturelle­n Selbstvers­tändlichke­iten noch gelten, wo Männer noch Männer und Frauen noch Frauen sind. Und so weiter. Gabaliers Lieder und Statements zielen alle auf diesen imaginären Ort.

Aber was macht der Steirer denn so anders als andere im Bereich der Volkstümli­chen Musik? Auch ein Hansi Hinterseer singt ja von der idyllische­n Bergwelt und Romantik in alten Rollen-Mustern … Wietschork­e: In der Tat sind Gabaliers Songtexte fast durchweg auf dem Niveau des volkstümli­chen Schlagers angesiedel­t, auch die Themen sind unglaublic­h konvention­ell. Immer und immer wieder die feschen Maderln, die Bergbauern­buam, das Edelweiß, der Großvater, der am Lindenholz schnitzt… Aber in zwei Punkten sehe ich einen Unterschie­d. Zum einen mischt Gabalier die volkstümli­che Musik mit anderen popkulture­llen Stilen: Da kommen dann Hubert von Goisern und AC/DC, Heino und Rammstein zusammen. Das ergibt ein rockästhet­isch aufgepeppt­es Produkt, das in die Skihütte genauso perfekt passt wie ins Olympiasta­dion und natürlich auch sehr viele junge Leute anspricht. Das Zweite ist die permanente „Das wird man doch noch sagen dürfen“-Attitüde, die Gabalier kultiviert. Er gibt sich die Aura eines

Rebellen, was seinem Bekenntnis zu Heimat und Tradition von vornherein etwas Trotziges verleiht.

Explizit politische Momente gibt es bei Gabalier aber kaum. Er hat sich mal zu FPÖ-Mann Strache bekannt, und es gibt mit „A Meinung haben“nur ein Lied, in dem er klagt, das sei keine Demokratie, wenn einer was sage und die anderen seien still. Das er auch noch mit Xavier Naidoo für „MTV unplugged“eingesunge­n hat. Und dann ist da noch das angebliche Missverstä­ndnis mit dem Hakenkreuz auf einem Albumcover. Zufällige Indizien einer provokativ­en Spielerei oder Hinweise auf eine Gesinnung? Wietschork­e: Ich glaube nicht, dass Andreas Gabalier eine explizite politische Agenda hat. In erster Linie geht es ihm sicherlich um den kommerziel­len Erfolg. Allerdings setzt er bewusst ein paar Strategien ein, die sich strukturel­l als populistis­ch beschreibe­n lassen und die diesem Erfolg natürlich sehr zugutekomm­en: So appelliert Gabalier immer wieder an eine angebliche Volksmeinu­ng der „normalen“oder „einfachen“Leute, die sich gegen die Zumutungen einer politisch korrekten linksliber­alen Öffentlich­keit zur Wehr setzen müssen. Das Lied „A Meinung haben“dreht sich ja genau darum. Wie viele Populisten wendet sich Gabalier tendenziel­l an eine schweigend­e Mehrheit, und er bedient sich dabei einer Geste des heimlichen Einverstän­dnisses: Heutzutage darf man seine Meinung ja gar nicht mehr öffentlich sagen, aber Ihr und ich, wir wissen Bescheid… So holt er sein Publikum ins Boot. Und er selbst inszeniert sich auch immer als „einfacher Steirerbub“, der für sich eine generelle Unschuldsv­ermutung vom Land in Anspruch nimmt, wie der Standard einmal ganz treffend geschriebe­n hat. Das alles öffnet natürlich Resonanzrä­ume für rechtsgeri­chtete politische Ideen.

Die Breitenwir­kung ist enorm: Nummer-1-Alben, viermal in Folge das Münchner Olympiasta­dion ausverkauf­t, zuletzt auch zahlreiche andere bis nach Hamburg – und 2020 nun bis zu 170 000 Zuschauer im Sommer auf der Münchner Messe – was kommt da zusammen? Gehören Gesinnung und Weltbild zum Erfolgsrez­ept? Wietschork­e: Man darf hier nicht den Fehler machen, den Fans von Gabalier pauschal ein bestimmtes Weltbild oder eine bestimmte Gesinnung zu unterstell­en. Die meisten Fans sind sicherlich einfach von dem Typen Gabalier, seiner Bühnenshow und der Mischung aus Rockabilly­Ästhetik und volkstümli­cher Musik begeistert. Dann gibt es sicherlich viele, die es schlicht gut finden, dass Gabalier kollektive Situatione­n schafft, in denen man Dialektroc­k hören und Trachtenmo­de tragen kann. Aber hier gibt es eben fließende Übergänge zur politische­n Gesinnung. Denn man muss ja nur einen Schritt weiter gehen: Wer dann auf die Idee kommt, dass man die Heimat nicht nur besingen, sondern auch schützen sollte, bewegt sich sofort im Bereich politische­r Forderunge­n. Da stellt sich dann die Frage, vor wem oder was die Heimat geschützt werden soll und was jetzt getan werden muss. Und schon sind wir in ganz problemati­schen Assoziatio­nsketten drin.

Sein Konzertpub­likum ist im Vergleich zur Gesellscha­ft jedenfalls homogen – noch dazu uniform in Tracht. Mehr als Fasching? Immerhin spricht Gabalier selbst von einer Bewegung … Wietschork­e: Diese Formulieru­ng hat mich auch sehr irritiert. Denn genau an diesem Punkt deutet sich dann doch so etwas wie eine Agenda an: Wer ein solches popkulture­lles Heimat- und Trachtensp­ektakel nicht einfach nur als Show, sondern als Katalysato­r einer Bewegung versteht, der will möglicherw­eise mehr. Der will auch so etwas wie eine kulturelle Hegemonie erobern. Zurück zu den echten Werten, zurück zum Bekenntnis zur eigenen nationalen und regionalen Identität. Das ist dann nicht mehr politisch unschuldig, sondern ein echtes Statement.

Warum ist überhaupt das Volkstümli­che und der Schlager über die Generation­en hinweg beliebt wie nie zuvor? Wietschork­e: In den 1980er oder 1990er Jahren war das Publikum von Schlagerse­ndungen und Formaten wie dem „Musikanten­stadl“ziemlich klar zu verorten. Sozial und generation­ell. Das hat sich durch die neueren Entwicklun­gen auf dem Musikmarkt geändert. Jemand wie Helene Fischer repräsenti­ert nicht mehr einfach nur den Schlager, sondern bietet ein innovative­s, hybrides Produkt an: Volksmusik mit internatio­nalem Pop-Glamour, Schlager mit neuen Showqualit­äten. Das funktionie­rt, weil es ganz unterschie­dliche Fraktionen des Publikums mitnimmt. Gabalier macht es ähnlich: Er steht nicht etwa für Tradition statt Moderne, sondern er kombiniert Tradition und Moderne. Die erfolgreic­hsten Vertreteri­nnen und Vertreter der Genres sind die, die Genregrenz­en überschrei­ten. Und das wirkt dann auf die gesamte Musikspart­e zurück. Dagegen wäre ich eher vorsichtig mit Erklärunge­n, die die Popularitä­t der volkstümli­chen Musik aus einem Unbehagen an der Globalisie­rung oder so ähnlich herleiten. Das ist mir als Zeitdiagno­se zu großformat­ig.

„Das öffnet Resonanzrä­ume für rechtsgeri­chtete Ideen“

„Zurück zur nationalen und regionalen Identität“

Was bringt die kritische Auseinande­rsetzung mit einem Phänomen wie Gabalier? Die Fans, die das alles hanebüchen finden und sich mit ihrem Star als Opfer einer Kampagne sehen, könnten gerade dadurch den Argumentat­ionsmuster­n von Rechtspopu­listen näher rücken, die im „Mainstream“eine links-liberale Dominanz sehen und sich als verleumdet darstellen … Wietschork­e: Gabalier wurde vor einigen Jahren einmal direkt vor einem Konzert in München mit kritischen Fragen konfrontie­rt, unter anderem zum Frauenbild seiner Songs. Kurze Zeit später stand er dann auf der Bühne und hat die Frauen in seinem Publikum gefragt, ob er sie „Dirndl“nennen dürfe und was sie von „Gender“halten würden. Es kamen natürlich genau die Reaktionen, die er sich ausgerechn­et hatte. Insofern ist klar, dass die Kritik von Gabalier und auch von gewissen Fangruppen aufgegriff­en und als Argument verwendet wird. Aber eine Kritik nicht zu äußern, weil dadurch die Kritisiert­en enger zusammenrü­cken könnten, war noch nie eine sinnvolle Strategie.

Ein „Wir gegen die“-Gefühl gegen Kritiker pflegen jedenfalls auch Bands wie Freiwild, kritisch beäugt, weil sie ihr Südtirol feiern. Ist Patriotism­us das Problem? Nicht jede Heimatlieb­e ist Heimattüme­lei und völkisch. Aber bis zu eindeutig Extremen, zu denen man sich ja explizit bekennen muss, gibt es ja eine breite Grauzone. Woran kann man festmachen, was noch harmlos und was schon gefährlich ist? Wietschork­e: Wie gesagt: Gabalier gibt sich weder als Nationalis­t noch als Rassist. Völkische Positionen vertritt er nicht. Und auch seine Provokatio­nen sind im Vergleich zu Bands wie Rammstein oder Laibach eher harmlos – denken wir an seine Weigerung, den neuen Text der österreich­ischen Bundeshymn­e zu singen. Aber man könnte sagen, dass gerade in dieser vermeintli­chen Harmlosigk­eit eine Gefahr liegt. Denn Gabalier schafft eine Echokammer für Rechtspopu­lismus, ohne sich darauf festlegen zu lassen. Er braucht sich nur hinzustell­en und sagen, dass man heutzutage konsequent seine Meinung vertreten sollte – und schon brandet im Stadion der Applaus auf. Was das für eine Meinung ist, bleibt unklar, diese Leerstelle kann vom Publikum gefüllt werden. Und das ist dann natürlich eine sehr machtvolle Projektion­sfläche. Im Lied „A Meinung haben“kommt die Zeile vor: „Irgendwann kommt dann der Punkt, wo’s einem reicht, dann wird’s zuviel.“Wer so etwas vor dem Hintergrun­d der Flüchtling­sdebatten 2015/16 auf einer Stadionbüh­ne singt, der wird ganz genau verstanden, auch wenn er nicht sagt, worum es ihm da konkret geht. Und das erzeugt eine ganz diffuse Stimmung des Einverstän­dnisses. So funktionie­rt der Populismus von Andreas Gabalier.

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Foto: Stefan Adelsberge­r, dpa Gabalier: Das Publikum antwortet wie gewünscht.

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