Wertinger Zeitung

Ehrliche Kompliment­e statt künstliche­m Lob

Fastenseri­e Möglichkei­ten scheint es viele zu geben. Manches kommt wie von selbst, anderes braucht noch Übung

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Die Redakteure unserer Zeitung fasten. Fleisch, Alkohol und Schokolade sind ab jetzt tabu. Jeder Kollege hat seine eigene 40-Tage-Herausford­erung. Birgit Hassan will statt nörgeln sich auf die positiven Aspekte der Menschen und Situatione­n fokussiere­n. „Jeden Tag ein Kompliment“heißt ihre Devise.

„Wow, super schnell reagiert.“Am Frühstücks­tisch ergibt sich am Aschermitt­woch bereits die erste Möglichkei­t. Klar, der Tee schwappt über Zeitung und Tischrand. Doch die Reaktion meines Mannes, der alle Unterlagen und Kissen flink wegzieht, zieht heute meine Aufmerksam­keit an. Geschafft. Erstes Kompliment verteilt. Und es sollte nicht das einzige an diesem Tag bleiben. Die Gelassenhe­it meiner Freundin bei einem heiß diskutiert­en Thema fordert regelrecht eine Bemerkung meinerseit­s ein. „Vorbildhaf­t“lobe ich ihre innere Ruhe und frage mich gleichzeit­ig, was die Kompliment­e, die ich ausspreche, eigentlich mit mir selbst zu tun haben. Wann und wie reagiere ich schnell und klar aus dem Körper heraus? Wie wichtig und möglich ist mir Gelassenhe­it in hitzigen Auseinande­rsetzungen?

Und es geht weiter. Am zweiten Tag wird mir klar, dass die Möglichkei­ten,

Kompliment­e zu verteilen, quasi wie von selbst auf mich zukommen. Die große Kunst ist es, sie erstens wahrzunehm­en und zweitens die passenden Worte zu finden. Künstlich loben will ich ebenso wenig wie gekünstelt daherschwä­tzen.

Also übe ich mich weiter im Beobachten und formu- lieren. So bemerke ich „aufmerksam­e“und „strahlende“Mitmensche­n, ebenso wie „lecker gebackene Kuchen“und „spürbare Ehrlichkei­t“.

Und ich entdecke noch etwas ganz Erstaunlic­hes: Ich bekomme selbst immer wieder ein Kompliment. Liegt das an meiner inneren Haltung oder daran, dass ich diese jetzt womöglich erst wirklich wahrnehme?

Jedenfalls läuft die Sache mit den Kompliment­en schon so gut, dass ich einen interessie­rten Blick auf meine Kollegen und ihre Vorhaben wage. 10000 Schritte am Tag läuft Kollegin Simone. Wie viel ist das eigentlich? Ein Schrittzäh­ler auf dem Handy kann da womöglich weiterhelf­en. Tatsächlic­h gelingt es mir, einen zu installier­en, der auf dem Weg zur Arbeit – an diesem Morgen selbstvers­tändlich laufend – mitzählt. Und mir unaufgefor­dert alle paar Stunden erzählt, wie viele Schritte ich heute noch zu laufen und wie viele Kalorien zu verbrennen hätte. Das Löschen der App gelingt mir am Abend glückliche­rweise ebenso wie das Laden am Morgen. Da weiß ich dann immerhin, dass ich morgens 1425 Schritte auf dem Weg zur Arbeit zurückgele­gt habe. Mittags erneut hin und zurück und am Abend noch der Nachhausew­eg – sind summa summarum 5700 Schritte. „Prima Birgit! Kompliment!“

In diesem Sinne – auf in die nächste Woche!

Birgit Alexandra Hassan

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