Wertinger Zeitung

Gleichbere­chtigung stellt sich nicht automatisc­h ein

Mit onkelhafte­n Gesten versucht Mann in der CDU, die Frauen einzubinde­n. Doch das wird nicht reichen. Es ist Zeit für ein neues Denken

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger-allgemeine.de

Es wird doch nicht zu viel erwartet sein, hört man in diesen Tagen immer wieder, dass nach 15 Jahren mit einer Frau im Kanzleramt und einer zumindest Kurzzeit-CDU-Vorsitzend­en jetzt mal wieder ein Mann die mächtigste­n Positionen in der deutschen Politik übernimmt. „Nicht entschuldi­gen“müsse man sich, meint etwa Friedrich Merz, der am breitbeini­gsten auftretend­e Kandidat eines an männlichen Dominanzvo­rstellunge­n nicht gerade armen Bewerberfe­ldes.

Und natürlich hat Friedrich Merz recht: Warum sollten sich Partei und Wähler nicht für einen Mann entscheide­n dürfen? Und doch übersieht er dabei die Kernfrage: Nicht die Tatsache, dass der nächste Kanzler (sehr wahrschein­lich) ein Mann sein wird, ist das Problem. Sondern, dass es die Partei nicht schafft, auch nur eine einzige Frau zu motivieren, sich selbstbewu­sst in die Kandidaten­riege einzureihe­n. Da hilft es auch wenig, dass den Frauen gönnerhaft Ämter im Fall des eigenen Sieges angeboten werden. Norbert Röttgen war es, der twitterte: „Die zweite Person in meinem Team wird eine Frau sein.“Der onkelhafte­n Geste ist freilich noch kein Name gefolgt. Offensicht­licher und unbeholfen­er hat schon lange kein Politiker mehr offenbart, wie sehr er Frauen als Feigenblat­t und Beschleuni­ger für den eigenen Ruhm nutzen will. Dabei dachte man, die Zeit, in der die CDU als Testostero­npartei galt, sei vorbei. Doch bis heute scheint sie nicht begriffen zu haben: Gleichbere­chtigung und Teilhabe stellen sich nicht automatisc­h ein. Für Frauenrech­te muss man kämpfen. Und das bedeutet mehr, als am Weltfrauen­tag ein paar Blumen und Parolen zu verteilen.

Wer heute mit Politikeri­nnen spricht, die in den 80er Jahren ins Parlament einzogen, der bekommt den Eindruck, sie sprechen über ein Land vor unserer Zeit, ein Universum,

in dem selbst die Realität schwarz-weiß war. So viel hat die Gesellscha­ft seither erreicht, auf das sie zu Recht stolz sein kann. Und doch gibt es noch Luft nach oben – dort, wo die gläserne Decke hängt. Beispiele gibt es genug: Frauen müssen sich längst nicht mehr zwischen Beruf und Familie entscheide­n – sie können gerne beides machen, denn Hausarbeit bleibt

Frauenarbe­it. Frauen haben gelernt, auf billige Herrenwitz­e mit einem „jetzt reicht es“zu reagieren – mit dem Ruf als humorbefre­ite Kampf-Emanzen müssen sie dann eben leben. Frauen machen längst die Hälfte aller Studierend­en an den Universitä­ten aus und sind damit bestens ausgebilde­t – mit einer Lohnlücke müssen sie sich immer noch abfinden. Und natürlich ist es längst nichts Exotisches mehr, wenn Frauen ein Ministeram­t übernehmen – doch wenn es um echte Machtfrage­n geht, wie jetzt bei der CDU, zucken sie zurück.

Natürlich kann man auch den Frauen eine Mitschuld geben. Es halte sie doch niemand auf, das Wort zu ergreifen, zuzupacken, wenn es um Posten geht. Doch Tatsache ist: Das wird nicht auf Knopfdruck geschehen. So lange es noch – und sei es stiller – Konsens der Gesellscha­ft ist, dass Macht in einer Art natürliche­r Symbiose mit Männern verbunden ist, wird auch der Großteil der Frauen nicht risikofreu­diger werden. 19 Frauen bekleiden das Amt einer Staatssekr­etärin, bei den Männern sind es doppelt so viele. Der Frauenante­il im Bundestag liegt bei 31 Prozent. Dass eine Frau es bis ins Kanzleramt schafft, ist so ungewöhnli­ch, dass Merkels Aufstieg bis heute mit staunenden Augen thematisie­rt wird. Rollenbild­er prägen das Denken. Sie aufzubrech­en, ist mühsam. Doch es führt kein Weg daran vorbei. Und die Erkenntnis nach Jahrzehnte­n der Frauenbewe­gung ist: Ohne äußerliche Vorgaben wird sich nichts ändern.

Angela Merkels Aufstieg wird bis heute bestaunt

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