Mal geschüttelt, mal geführt
Hintergrund Handschläge sind im politischen Tagesgeschäft eine Formalie – und bieten gerade deshalb viel Raum für Interpretationen. Nicht erst seit Donald Trump versuchen Politiker, das Symbol mit einer Botschaft zu verbinden
Augsburg Und dann kommt AfDMann Björn Höcke. Als Gratulant steht er vor Bodo Ramelow, der soeben sieben Hände geschüttelt und zwei Umarmungen gegeben hat. Jetzt ist Höcke dran. Mit süffisantem Lächeln geht er auf den wiedergewählten Ministerpräsidenten zu, streckt seine Hand aus. Zwei Sekunden später zieht er sie wieder zurück. Ungeschüttelt. Ramelow, Linker, verweigert Höcke, Rechtsaußen, den Handschlag. Eine NichtGeste mit Vorgeschichte – und großer Symbolkraft. Eine Szene aus dem Thüringer Landtag, die zeigt, wie Politik manchmal auf der ganzen Welt funktioniert.
Ob als Gratulation oder schlichte Begrüßung: Der Handschlag ist in den meisten Fällen eine Formalie. Doch gerade deswegen bietet er viel Raum für Interpretation und Symbolik. Knapp einen Monat vor dem verweigerten Handschlag stand Höcke an derselben Stelle, um ebenfalls einem frisch gewählten Ministerpräsidenten zu gratulieren. Damals hieß er überraschend Thomas Kemmerich, damals fand die Hand von Gratulant Höcke ihr Ziel. Ein Bild entstand, das sich einprägte: ein Ministerpräsident, Hand in Hand mit dem Rechtspopulisten, der ihn ins Amt hob. Schnell kursierten Bilder, die die Szene mit dem Handschlag von Adolf Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg 1933 verglichen.
Vom Ursprungsgedanken des Handschlags bleibt in der Politik oft nur wenig übrig. Sollte er einst friedliche Absichten, Vertrauen und Kontakt auf Augenhöhe signalisieren, ist er heute das Mindestmaß an Etikette, auf das sich die Diplomatie im Großen wie im Kleinen geeinigt zu haben scheint. „Ein Handschlag in der Politik ist fast nie authentisch“, sagt der Sozialwissenschaftler Thomas Ahbe. „Wie lange dauert er, wie kräftig fällt er aus, wie weit stehen beide Akteure auseinander, schauen sie sich in die Augen – das ist diplomatische Sprache. Jeder Politiker weiß: Wie ich meine Hand gebe, ist Teil meiner Botschaft und meiner Ziele.“Kein Politiker verkörpert diesen Gedanken besser als US-Präsident Donald Trump.
Für ihn ist der Handschlag ein politisches Instrument, ein Zeichen der Dominanz. Im Wortsinn zu spüren bekam dies, wenige Tage nach Trumps Amtsantritt, der japanische Premierminister Shinzo Abe. Handgestoppte 19 Sekunden dauerte der Händedruck, der keiner war. Es war eher ein einseitiges Tauziehen des US-Präsidenten, unterbrochen von kleinen Tätscheleien. Als das Schauspiel beendet war, lehnte sich Abe erleichtert zurück und verdrehte die Augen. Eine Szene, tausendfach kommentiert und belacht.
„Trump ist eine Ausnahme, er hat das Repertoire des Handschlags weiterentwickelt. Dominanzstreben drückt sich bei ihm auch körperlich aus“, sagt Sozialwissenschaftler Ahbe. Liegt darin auch ein Teil des Trump’schen für viele unerklärlichen Erfolgs? Stefan Verra, der sich als Coach und Universitätsdozent schon seit Jahren mit Trumps Körpersprache beschäftigt, sagt: „Ja. Wenn jemand grob und körperlich zu Werke geht, wird ihm mehr Stärke zugetraut. Und genau das, Stärke, will Trumps Wählerschaft sehen.“
Trumps Begrüßungsattacken sprachen sich schnell herum – und waren nur wenige Monate später Steilvorlage für den damals neugewählten französischen Staatspräsidenten: Emmanuel Macron. Am
Rande des Nato-Gipfels im Mai 2017 trafen sich beide zum ersten Mal. Über was sie damals sprachen? Längst vergessen. Wie sie sich die Hände schüttelten? Prägt bis heute Macrons internationales Ansehen. Denn Macron war vorbereitet. Diesmal war er es, der zudrückte, dass sich der Handrücken seines Gegenübers weiß färbte. Diesmal war es Trump, der verdutzt dreinblickte und die Hand erleichtert zurückzog. Und das nach fünf Sekunden.
„Mein Händedruck mit ihm war nicht ohne Hintergedanken“, sagte Macron anschließend der französischen Zeitung Le Journal du Dimanche. Er gab dabei tiefe Einblicke in das Kalkül dieses gelungenen Profilierungsversuchs. „Man muss zeigen, dass man keine kleinen Zugeständnisse macht, nicht einmal symbolisch.“Der Händedruck für Macron: „ein Moment der Wahrheit“. Beinahe schien es, als hätten sich die beiden Staatsmänner ein Beispiel an Trumps Vorgänger Barack Obama und Russlands Präsident
Handschläge sind Teil der diplomatischen Sprache
Angela Merkels Handschlag bleibt gleich, ihr Blick nicht
Wladimir Putin genommen, die sich regelmäßig Kräftemessen per Handschlag lieferten.
Auf Spielchen dieser Art lässt sich Angela Merkel nicht ein. Sie schüttelt und führt die Hände ihrer Kollegen bestimmt, aber nie betont dominant – unabhängig davon, ob neben ihr die estnische Präsidentin oder der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan steht. Der einzige Unterschied liegt im Blick der Kanzlerin, dessen Repertoire je nach Beziehung von freundlich bis eiskalt reicht. Sofern es überhaupt zum Handschlag kommt: Unvergessen, wie sich Donald Trump Anfang 2017 partout weigerte, der Bundeskanzlerin im Weißen Haus die Hand zu schütteln und stattdessen stur zu den Journalisten und Fotografen vor sich blickte. Da half auch Merkels zweifacher, unüberhörbarer Hinweis „They want to have a handshake“(„Sie wollen einen Handschlag“) nichts. Also lehnte sich Merkel wieder überrascht zurück. Trumps Nachricht, mitten in Streitigkeiten über Nato-Zahlungen, war angekommen. Ein Prinzip, das in Washington funktioniert – so wie auch in Thüringen.