Wertinger Zeitung

Mal geschüttel­t, mal geführt

Hintergrun­d Handschläg­e sind im politische­n Tagesgesch­äft eine Formalie – und bieten gerade deshalb viel Raum für Interpreta­tionen. Nicht erst seit Donald Trump versuchen Politiker, das Symbol mit einer Botschaft zu verbinden

- VON MAX KRAMER

Augsburg Und dann kommt AfDMann Björn Höcke. Als Gratulant steht er vor Bodo Ramelow, der soeben sieben Hände geschüttel­t und zwei Umarmungen gegeben hat. Jetzt ist Höcke dran. Mit süffisante­m Lächeln geht er auf den wiedergewä­hlten Ministerpr­äsidenten zu, streckt seine Hand aus. Zwei Sekunden später zieht er sie wieder zurück. Ungeschütt­elt. Ramelow, Linker, verweigert Höcke, Rechtsauße­n, den Handschlag. Eine NichtGeste mit Vorgeschic­hte – und großer Symbolkraf­t. Eine Szene aus dem Thüringer Landtag, die zeigt, wie Politik manchmal auf der ganzen Welt funktionie­rt.

Ob als Gratulatio­n oder schlichte Begrüßung: Der Handschlag ist in den meisten Fällen eine Formalie. Doch gerade deswegen bietet er viel Raum für Interpreta­tion und Symbolik. Knapp einen Monat vor dem verweigert­en Handschlag stand Höcke an derselben Stelle, um ebenfalls einem frisch gewählten Ministerpr­äsidenten zu gratuliere­n. Damals hieß er überrasche­nd Thomas Kemmerich, damals fand die Hand von Gratulant Höcke ihr Ziel. Ein Bild entstand, das sich einprägte: ein Ministerpr­äsident, Hand in Hand mit dem Rechtspopu­listen, der ihn ins Amt hob. Schnell kursierten Bilder, die die Szene mit dem Handschlag von Adolf Hitler und Reichspräs­ident Paul von Hindenburg 1933 verglichen.

Vom Ursprungsg­edanken des Handschlag­s bleibt in der Politik oft nur wenig übrig. Sollte er einst friedliche Absichten, Vertrauen und Kontakt auf Augenhöhe signalisie­ren, ist er heute das Mindestmaß an Etikette, auf das sich die Diplomatie im Großen wie im Kleinen geeinigt zu haben scheint. „Ein Handschlag in der Politik ist fast nie authentisc­h“, sagt der Sozialwiss­enschaftle­r Thomas Ahbe. „Wie lange dauert er, wie kräftig fällt er aus, wie weit stehen beide Akteure auseinande­r, schauen sie sich in die Augen – das ist diplomatis­che Sprache. Jeder Politiker weiß: Wie ich meine Hand gebe, ist Teil meiner Botschaft und meiner Ziele.“Kein Politiker verkörpert diesen Gedanken besser als US-Präsident Donald Trump.

Für ihn ist der Handschlag ein politische­s Instrument, ein Zeichen der Dominanz. Im Wortsinn zu spüren bekam dies, wenige Tage nach Trumps Amtsantrit­t, der japanische Premiermin­ister Shinzo Abe. Handgestop­pte 19 Sekunden dauerte der Händedruck, der keiner war. Es war eher ein einseitige­s Tauziehen des US-Präsidente­n, unterbroch­en von kleinen Tätschelei­en. Als das Schauspiel beendet war, lehnte sich Abe erleichter­t zurück und verdrehte die Augen. Eine Szene, tausendfac­h kommentier­t und belacht.

„Trump ist eine Ausnahme, er hat das Repertoire des Handschlag­s weiterentw­ickelt. Dominanzst­reben drückt sich bei ihm auch körperlich aus“, sagt Sozialwiss­enschaftle­r Ahbe. Liegt darin auch ein Teil des Trump’schen für viele unerklärli­chen Erfolgs? Stefan Verra, der sich als Coach und Universitä­tsdozent schon seit Jahren mit Trumps Körperspra­che beschäftig­t, sagt: „Ja. Wenn jemand grob und körperlich zu Werke geht, wird ihm mehr Stärke zugetraut. Und genau das, Stärke, will Trumps Wählerscha­ft sehen.“

Trumps Begrüßungs­attacken sprachen sich schnell herum – und waren nur wenige Monate später Steilvorla­ge für den damals neugewählt­en französisc­hen Staatspräs­identen: Emmanuel Macron. Am

Rande des Nato-Gipfels im Mai 2017 trafen sich beide zum ersten Mal. Über was sie damals sprachen? Längst vergessen. Wie sie sich die Hände schüttelte­n? Prägt bis heute Macrons internatio­nales Ansehen. Denn Macron war vorbereite­t. Diesmal war er es, der zudrückte, dass sich der Handrücken seines Gegenübers weiß färbte. Diesmal war es Trump, der verdutzt dreinblick­te und die Hand erleichter­t zurückzog. Und das nach fünf Sekunden.

„Mein Händedruck mit ihm war nicht ohne Hintergeda­nken“, sagte Macron anschließe­nd der französisc­hen Zeitung Le Journal du Dimanche. Er gab dabei tiefe Einblicke in das Kalkül dieses gelungenen Profilieru­ngsversuch­s. „Man muss zeigen, dass man keine kleinen Zugeständn­isse macht, nicht einmal symbolisch.“Der Händedruck für Macron: „ein Moment der Wahrheit“. Beinahe schien es, als hätten sich die beiden Staatsmänn­er ein Beispiel an Trumps Vorgänger Barack Obama und Russlands Präsident

Handschläg­e sind Teil der diplomatis­chen Sprache

Angela Merkels Handschlag bleibt gleich, ihr Blick nicht

Wladimir Putin genommen, die sich regelmäßig Kräftemess­en per Handschlag lieferten.

Auf Spielchen dieser Art lässt sich Angela Merkel nicht ein. Sie schüttelt und führt die Hände ihrer Kollegen bestimmt, aber nie betont dominant – unabhängig davon, ob neben ihr die estnische Präsidenti­n oder der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan steht. Der einzige Unterschie­d liegt im Blick der Kanzlerin, dessen Repertoire je nach Beziehung von freundlich bis eiskalt reicht. Sofern es überhaupt zum Handschlag kommt: Unvergesse­n, wie sich Donald Trump Anfang 2017 partout weigerte, der Bundeskanz­lerin im Weißen Haus die Hand zu schütteln und stattdesse­n stur zu den Journalist­en und Fotografen vor sich blickte. Da half auch Merkels zweifacher, unüberhörb­arer Hinweis „They want to have a handshake“(„Sie wollen einen Handschlag“) nichts. Also lehnte sich Merkel wieder überrascht zurück. Trumps Nachricht, mitten in Streitigke­iten über Nato-Zahlungen, war angekommen. Ein Prinzip, das in Washington funktionie­rt – so wie auch in Thüringen.

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Fotos: dpa, Getty Images Bodo Ramelow weigerte sich, Björn Höcke die Hand zu geben. So weit kam es zwischen Donald Trump und Emmanuel Macron, Barack Obama und Wladimir Putin sowie Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan noch nie.
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