Wertinger Zeitung

Erst mal Kinder statt Karriere

Porträt Birgit Davids ist 33 Jahre alt und zweifache Mutter. Sie liebt ihren Beruf als Lehrerin und hat sich doch entschiede­n, erst einmal daheim zu bleiben. Ein seltener Fall heutzutage

- VON CHRISTINA HELLER

Bad Wörishofen Es ist ein regnerisch­er Märznachmi­ttag. Der zweijährig­e Benjamin ist gerade aus dem Mittagssch­laf erwacht, eine blonde Strähne steht ihm vom Kopf ab, müde reibt er sich die Augen und kuschelt sich nah an seine Mama. Birgit Davids ist 33 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern. Benjamin ist der Kleine, Magdalena die Große. Sie ist gerade fünf geworden. An der Glastür zum Wohn- und Essbereich hängt noch eine pinke Luftballon-Fünf. Etwa genauso lange ist es her, dass Davids und ihr Mann eine Entscheidu­ng getroffen haben. Mit der Geburt von Magdalena hat Davids aufgehört zu arbeiten. Sie will daheim bleiben, bis beide Kinder in den Kindergart­en gehen. Eine Entscheidu­ng, für die sie sich viel Kritik anhören musste und muss.

In den vergangene­n 70 Jahren hat sich das Mutterbild gewandelt. War es in den 50er Jahren selbstvers­tändlich, dass Frauen zu Hause blieben, herrscht heute ein anderes Bild vor, erklärt Sabine Diabaté. Sie ist Leiterin der Forschungs­gruppe Familienle­itbilder am Bundesinst­itut für Bevölkerun­gsforschun­g und untersucht die gesellscha­ftlichen Vorstellun­g davon, was die Rollen von Müttern und Vätern sind. „Das Mutterbild der 50er-Jahre kennt man aus Filmen. Die perfekte Hausfrau, die Kinder und Haushalt im Griff hat und dem Mann abends in perfekter, weiß gestärkter Schürze die Pantoffeln hinstellt“, sagt sie. Der Mann ging arbeiten. „Es war eine klassische Hausfrau-VersorgerE­he.“Spätestens mit Beginn der 70er Jahre und der Emanzipati­on fingen Frauen an, gegen dieses Verständni­s zu rebelliere­n. Frauen bekamen einen besseren Zugang zu Bildung und wollten sie nutzen. Wollten unabhängig sein, eigenes Geld verdienen. Dieser Kampf dauert bis heute an.

Eine Untersuchu­ng von Sabine Diabaté zu Familienle­itbildern spiegelt diese veränderte Denkweise in der Gesellscha­ft wider. Nur noch etwa fünf Prozent der Deutschen sagen: Mütter sollten, wenn möglich, überhaupt nicht erwerbstät­ig sein. Unter Männern liegt der Zustimmung­swert etwas höher (5,2 Prozent) als unter Frauen (4,4 Prozent). Unter Westdeutsc­hen deutlich höher als unter Ostdeutsch­en. Dagegen sagen 84 Prozent der Frauen: Eine Mutter sollte einem Beruf nachgehen, um unabhängig vom Mann zu sein. Diese Auffassung teilt auch die Mehrheit der Männer: 73 Prozent. Warum also hat sich Familie Davids entschiede­n, es anders zu machen?

Davids ist Lehrerin, ihr Mann Lehrer. „Ich dachte: Niemals bleibe ich zu Hause. Ich liebe meinen Beruf. Ich liebe es, mit jungen Menschen zu arbeiten“, sagt sie. Doch als Magdalena geboren war, hat sich ihre Sichtweise verändert. Damals auch ihr Vater und die junge Mutter fragte sich: Was zählt im Leben? „Ich werde, wenn ich wieder anfange zu arbeiten, noch mindestens 30 Jahre im Berufslebe­n stehen“, sagt sie. „Aber diese erste Zeit mit meinen Kindern, die kommt nie mehr zurück.“Für die Entscheidu­ng ist sie kritisiert worden – auch von ihrer Familie.

Davids Mutter ist selbst sechs Wochen nach der Geburt ihrer Kinder wieder arbeiten gegangen. Auch sie war Lehrerin. „Ihr Beruf war ihr sehr wichtig“, erzählt die 33-Jährige. Die Mutter warf ihr vor, ihre Ausbildung wegzuwerfe­n. Das habe sie sehr getroffen, erzählt die junge Frau. „Ich habe sechs Jahre studiert.

Natürlich möchte ich das nicht vergeuden.“Doch so sieht Davids es gar nicht. Die zwei Staatsexam­en könne ihr niemand mehr nehmen. Und: „Ich bin nicht von meinem Mann abhängig. Wenn ich wollte, könnte ich jederzeit wieder anfangen, zu arbeiten.“Inzwischen hat ihre Mutter die Gründe der Tochter akzeptiert.

Eines, sagt Birgit Davids an diesem Nachmittag, sei ihr sehr wichtig: „Wir haben uns überlegt, welches Modell für unsere Familie am besten funktionie­rt. Das lässt sich nicht verallgeme­inern.“Es ist ihre Geschichte. Im Laufe des Gesprächs wird sie immer wieder sagen, dass sie nicht werten wolle – aber auch nicht bewertet werden möchte.

Bei der Äußerung schwingt etwas mit, das vermutlich jede Mutter kennt: Die Erwartunge­n, die die Gesellscha­ft an Mütter hat. Mütter, die früh arbeiten gehen, bekommen immer noch gesagt, sie seien Rabenmütte­r. Wer zu Hause bleibt, wird genauso seltsam beäugt. Inzwischen herrscht das Leitbild der in Teilzeit arbeitende­n Mutter vor, sagt die Forscherin Sabine Diabaté. Das belegen Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s. Demnach arbeiten rund 69 Prozent der Frauen mit minderjähr­igen Kindern in Teilzeit. Frauen hätten zwar für ihre Gleichstel­lung im Berufslebe­n gekämpft, Männer hätten im Fürsorgebe­reich aber nicht aufgeholt, sagt Diabaté. Die Folge: Mütter spüren eine Doppelbela­stung.

Das Gefühl kennt auch Davids. Nach der Geburt ihrer Kinder habe sie gemerkt, gleichzeit­ig arbeiten und Mama sein, das hätte sie nicht geschafft: „Egal, was ich tue, ich will es zu 100 Prozent tun“, sagt sie. Aber zu 100 Prozent Lehrerin sein, während zu Hause zwei kleine Kinder betreut werden wollen? „Für mich wäre das nicht gegangen.“Sie habe größten Respekt vor Müttern, die das schaffen. Genau das, was Davids beschreibt, ist ein Problem, das laut Diabaté fast alle Mütter kennen. „Das kann doch gar nicht funktionie­ren. Eine Lösung ist, sich mit weniger zufriedenz­ugeben.“

Für Familie Davids war die Lösung, dass Birgit zu Hause bleibt. Das hatte auch finanziell­e Gründe. Ihr Mann steht schon länger im Berufslebe­n – bekommt deshalb ein höheres Gehalt. Auf ihr Einkommen zu verzichten, war also die kleinere finanziell­e Einbuße. Aber es ist eine Einbuße. „Wir waren mit den Kindern noch nie größer im Urlaub, wohnen zur Miete und überlegen auch sonst, was wir uns leisten könstarb nen und wollen“, sagt sie. Hätten sie und ihr Mann zur Zeit der Geburt von Magdalena gleich viel verdient, hätten sie sich auch vorstellen können, Beruf und Kinderbetr­euung halbe-halbe aufzuteile­n. „Aber ich hätte nie Vollzeit arbeiten können, während mein Mann komplett zu Hause geblieben wäre“, sagt Davids. „Die Zeit mit den Kindern hätte mir zu sehr gefehlt.“Aber ja, manchmal fehle ihr die Herausford­erung.

Vor gar nicht allzu langer Zeit habe sie ein Jobangebot bekommen. Eine Schule in der Nachbarsch­aft suchte eine Lehrerin. „Das wäre mein Traumjob gewesen“, sagt Davids. Sie lehnte nach langem Zögern ab. „In einem oder eineinhalb Jahren werde ich hoffentlic­h wieder eine gute Stelle finden. Die Zeit mit den Kindern geht vor“, sagt Davids. „Ich möchte ihnen vermitteln, dass das hier ihr sicherer Hafen ist, dass sie immer zu uns kommen können und wir immer uneingesch­ränkt für sie da sind.“Aus ihrer Sicht heißt das auch: Die ersten drei Jahre bleibt sie daheim. Ist uneingesch­ränkt da. „Ich persönlich hätte einfach ein Problem damit, wenn jemand anders die wichtigste Bezugspers­on für meine Kinder wäre.“Das meint sie nicht wertend. Es ist ihre Antwort auf die Frage: Wie erziehe ich meine Kinder am besten?

Die Frage, auf die alle Mütter eine Antwort finden wollen. „Aber es gibt eben kaum Vorbilder“, sagt die Forscherin Diabaté. Es gebe nur zwei Muster: das der Mutter, die zu Hause bleibt. Und das der Mutter, die einem Beruf nachgeht. „Aber keines dieser Muster passt zu irgendwem komplett. Das ist das Anstrengen­de, aber auch die neue Freiheit, die wir haben. Man muss sein eigenes Modell finden.“

Um diese Modelle ist eine polarisier­ende Debatte entstanden. Wer hat recht, wer macht es gut, wer besser? Auch Birgit Davids kennt das: „Mich ärgert das Wörtchen ,nur‘ sofort“, sagt sie. „Wenn Menschen sagen: ,Du bist doch nur zu Hause.‘ Wenn ich Besuch bekomme und sage: ,Sorry, hier ist es gerade etwas chaotisch.‘ Und merke, wie die Menschen denken: ,Wie kann das sein? Die ist doch immer zu Hause.‘“Aber inzwischen habe sie gelernt loszulasse­n. Sie rechtferti­ge sich nicht mehr. Und wirklich „nur“zu Hause ist Davids nicht. Nebenbei ist sie erste Vorsitzend­e des Augsburger Pop- und GospelChor­s Voices of Joy. Sie arbeitet auf 450 Euro-Basis für einen Arzt und gibt Nachhilfe-Stunden. „Das gehört eben auch zu mir.“

Während seine Mutter erzählt hat, ist Benjamin munter geworden. Er und seine Schwester turnen auf dem Sofa herum. Benjamin lacht, ein lautes Zweijährig­enlachen. Dann rennt er um den Wohnzimmer­tisch, auf die Balkontür zu und seiner Mama, die immer noch am Esstisch sitzt, in die Arme.

„Mich ärgert das Wörtchen ,nur‘. Wenn jemand sagt: Du bist doch nur zu Hause.“Birgit Davids, Mutter von Magdalena, 5, und Benjamin, 2

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 ?? Foto: Uli Wagner ?? Birgit Davids ist Lehrerin. Bis ihre Kinder Benjamin, 2, und Magdalena, 5, beide im Kindergart­en sind, hat sie entschiede­n, zu Hause zu bleiben.
Foto: Uli Wagner Birgit Davids ist Lehrerin. Bis ihre Kinder Benjamin, 2, und Magdalena, 5, beide im Kindergart­en sind, hat sie entschiede­n, zu Hause zu bleiben.

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