Wertinger Zeitung

Geburtstag­e gibt es immer wieder

Geburtstag Seit 50 Jahren steht Katja Ebstein schon auf der Bühne. Warum die Sängerin mit 75 Jahren über einen neuen Beruf nachdenkt

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München Ja, klar, „Wunder gibt es immer wieder“und „Der Stern von Mykonos“und der Grand Prix, das ist eine Seite von Katja Ebstein, aber nur eine von vielen. Da ist die Liedermach­erin, die Heine-Rezitatori­n, der Musicalsta­r, die politisch und sozial engagierte Stifterin und die streitbare 68erin, die kein Blatt vor den Mund nimmt, ob es nun um Integratio­n oder Digitalisi­erung geht. „Ich bin ein relativ angstfreie­r Mensch und kein Bedenkentr­äger. Ich probiere einfach aus“, sagt Ebstein, die in einem kleinen Ort südlich von München lebt, kurz vor ihrem 75. Geburtstag am kommenden Montag.

Aufgewachs­en ist sie, die als Säugling kurz vor Kriegsende mit ihrer Familie aus Schlesien vertrieben wurde, in Berlin. Das sei ihre Stadt, sagt sie, Berliner Schnauze und so. Aber auch die Schlesier lobt sie, „ein weltoffene­r Volksstamm“, die friedliche Koexistenz der Religionen, sichtbar etwa auf den Friedhöfen, wo Gräber von Christen, Juden und Muslimen nebeneinan­derlagen, ob das abgefärbt hat, wer weiß. „Ich habe eine große Beziehung zu Russland oder Polen, weil das für mich große Kulturvölk­er sind, von denen die ganze Welt profitiert. Diese Art, diese Mentalität liegt mir. Ich bin ja auch ein bisschen so. Ich bin so offen, dass man immer mal damit rechnen muss, dass man einen auf den Deckel kriegt. Und das erlebt man ja auch.“

Ihr Geburtsnam­e, Witkiewicz, weist jedenfalls auf ihre schlesisch­polnischen Wurzeln hin, und den hätte sie auch nie geändert, sagt sie. Aber damals, als sie in den 60ern bekannt wurde, hieß es eben, den Namen könne keiner schreiben und keiner ausspreche­n. So musste der Name der Straße, in der sie wohnte, als Inspiratio­n dienen. Das ist lange her, genau wie die sehr erfolgreic­hen Auftritte beim Grand Prix Eurovision de la Chanson in den 70ern und 80ern, als sie zweimal den dritten und einmal den zweiten Platz belegte. Viel näher sind ihr aber wohl Vertonunge­n von Heine und Brecht, Lieder von Kurt Weill und all den anderen Größen der Zwanzigerj­ahre, bis in die Gegenwart, von Tucholsky bis Biermann. Sozialkrit­ische, politische Kunst.

„Ich will den Menschen einfach

Mut machen mit dem, was ich auf der Bühne tue“, sagt Ebstein. „Und ich habe das durch die viele verschiede­ne Bühnenarbe­it gelernt, heute das Schwere leichter zu sagen als früher.“Das ist ihr wichtig: „Ohne leise Hoffnung auf Veränderun­g lasse ich die Menschen nicht nach Hause gehen.“Und sie hört auch viel von schweren Dingen, beispielsw­eise über ihre 2004 gegründete, in Brandenbur­g angesiedel­te Stiftung, die sich um Schüler kümmert, Kinder von Brennpunkt­schulen, Straßenkin­der, Flüchtling­skinder. Auch da redet sie Klartext: „Es gehört eine Assimilier­ung dazu“, findet sie, Respekt vor Frauen gehöre auch bei Migranten dazu. „Ohne die eigene Kultur zu leugnen, muss man sich unserer annähern.“

Auch die Digitalisi­erung treibt sie um, angefangen bei der Gefahr, die Kulturtech­nik des Schreibens zu verlieren, bis zur Abhängigke­it von Maschinen. Einen Coach bräuchte man eigentlich, findet die Künstlerin. Für „die Aufklärung von Menschen, wie man Technik nutzt, ohne dass sie einem schadet, und man parallel die eigenen und erworbenen Fähigkeite­n nicht aufgibt, verliert oder vernachläs­sigt“. Ein ganz neuer Beruf wäre das, meint die vielseitig Begabte: „Ich überlege mir, zusammen mit jemand sowas zu machen.“

Ihr erster Berufswuns­ch war der der Malerin gewesen: „Ich wollte ja malen. Ich wollte bildhauern. Ich wollte irgendwas in der Hand haben, was ich mache, und nicht nur auf dem Band oder irgendwo flüchtig. Jetzt bin ich hier gelandet und hab’ einen Ausdruck gefunden, den ich mir jetzt im Bildnerisc­hen nicht mehr zutraue. Den Zug habe ich vielleicht verpasst.“Bereut sie die Entscheidu­ng? „Es war nicht anders möglich“, bedauert sie. „Wir hatten kein Geld. Meine Eltern haben sich den Kopf zerbrochen, wie sie mich auf eine Kunstschul­e schicken können. Das alleine rührt mich bis heute.“

Heute unterstütz­t sie selbst die, die Hilfe brauchen. 2008 hat sie das Verdienstk­reuz am Bande der Bundesrepu­blik Deutschlan­d erhalten – für ihr soziales und künstleris­ches Engagement. Sie hat viele Seiten, die angstfreie Frau Witkiewicz.

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Foto: Felix Hörhager, dpa Katja Ebstein feiert am Montag ihren 75. Geburtstag. Die Sängerin lebt mittlerwei­le südlich von München.

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