Wertinger Zeitung

Risikogebi­et Südtirol

Ansteckung­en Die Entscheidu­ng des deutschen Robert-Koch-Instituts sorgt in der norditalie­nischen Provinz für Empörung. Denn die Folgen für den Tourismus sind dort schon jetzt zu spüren

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Meran Brigitte Aukenthale­r ist fassungslo­s. „Das ist erstens falsch und zweitens eine Katastroph­e“, sagt die Eigentümer­in des Hotels Aurora in Meran. Am Donnerstag­abend stufte das Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) Südtirol als Coronaviru­s-Risikogebi­et ein. Die Region in Norditalie­n wird nun in einem Zuge mit China, Iran, Südkorea und den Gegenden in der Lombardei und im Veneto genannt, in denen ein erhöhtes Ansteckung­srisiko herrscht. „Alle Gäste aus Deutschlan­d sagen ab“, berichtet Aukenthale­r. „Dabei sind wir von einem Notstand und der roten Zone weit entfernt.“

Südtirol ist in heller Aufregung. Erst zwei Fälle von Infektione­n mit dem Coronaviru­s wurden in der Ferienregi­on in Norditalie­n festgestel­lt. Zwischen Sterzing und Bozen fühlte man sich deshalb bislang wie auf einer Insel der Seligen. Dann stellten immer mehr Südtirolre­isende nach ihrer Rückkehr grippeähnl­iche Symptome fest und ließen sich auf das Coronaviru­s testen. Lothar Wieler, Chef des RKI, sagte am Donnerstag, 36 Corona-Fälle in Deutschlan­d stünden mit Südtirol in Verbindung. Als Risikogebi­ete stuft das RKI Gegenden ein, „in denen eine fortgesetz­te Übertragun­g von Mensch zu Mensch vermutet werden kann“.

Am Freitag aktualisie­rte auch das Auswärtige Amt seine Reise- und Sicherheit­shinweise für Italien. „Von nicht erforderli­chen Reisen in die Regionen Lombardei und Emilia-Romagna, in die Provinz Südtirol sowie in die Stadt Vò Euganeo in der Provinz Padua wird derzeit abgeraten“, hieß es.

Die Folgen für das beliebte Ferienziel Südtirol sind enorm. Dennoch reagierte die Landesregi­erung in Bozen erst einmal zurückhalt­end auf die Entscheidu­ng aus Berlin. „Unsere Experten stufen ganz Europa derzeit als Risikogebi­et ein“, sagt Elisabeth Augustin, Sprecherin Landeshaup­tmann Arno Kompatsche­r, unserer Redaktion am Freitag. In Italien wird Südtirol nicht als besonders betroffene­s Gebiet eingestuft. Auf den Hinweis, dass laut Gesundheit­sbehörden in Südtirol auch erst 28 Personen auf das Virus getestet worden seien und die reale Ausbreitun­g der Infektion nicht erfasst sein könnte, sagt sie: „Wir kennen den Vorwurf. Die Testbeding­ungen müssen jetzt ausgedehnt werden.“Bislang werden in Südtirol nur Personen getestet, die selbst in einem der Risikogebi­ete in der Lombardei oder im Veneto waren oder Kontakt mit Personen hatten, die sich dort aufhielten.

Italien ist das Land in Europa mit den meisten bestätigte­n Ansteckung­sfällen; bis Freitagnac­hmittag waren es mehr als 3800. Auch im Vatikan wurde am Freitag der erste Coronaviru­s-Fall gemeldet. Der ambulante Dienst des Kirchensta­ates stellte deshalb am Morgen seine Arbeit ein. Schon am Mittwoch hatte die Regierung landesweit die Schließung von Schulen und Universitä­ten beschlosse­n, auch in Südtirol.

Die Tourismusb­ranche dort erwartet schwere Einbrüche. Manfred Pinzger, Präsident des Hoteliersu­nd Gastwirtev­erbandes in Südtirol, bezeichnet die Entscheidu­ng des RKI als „Dolchstoß“. Auch Südtirols Medien reagieren am Freitag mit Unverständ­nis. Dies sei eine „Hiobsbotsc­haft“für Südtirols Tourismusb­ranche, schreibt das Internetpo­rtal Tageszeitu­ng.it. Die Einstufung als Risikozone sei „nicht nachzuvoll­ziehen“, meint das Portal Stol.it und fügt hinzu: „Ob sich deutsche Touristen wirklich in Südtirol angesteckt haben oder bereits mit dem Virus infiziert waren, ist schwer nachzuvoll­ziehen. Das Virus hat eine relativ lange Inkubation­szeit von 14 bis in einigen Fällen sogar 27 Tagen.“

Toni Ebner, Chefredakt­eur der in Südtirol meistgeles­enen Tageszeitu­ng Dolomiten, sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: „Das ist ein Witz, ein echter Witz!“Die infizierte­n Feriengäst­e seien „wahrschein­lich infiziert nach Südtirol gekommen“. Die meisten Gäste seien nur kurz in Südtirol gewesen. „Jetzt wird so getan, als sei ganz Südtirol infiziert“, sagt Ebner. „Das ist unseriös.“

In Italien findet derweil die Theorie immer mehr Anhänger, das Virus habe sich nicht etwa von der Lombardei aus verbreitet, sondern sei über einen Patienten aus Bayern eingeschle­ppt worden. „Der bevon rühmte Patient null, der unbewusst für den Ansteckung­sherd in Codogno verantwort­lich ist, kommt aus Deutschlan­d“, schreibt die Zeitung La Repubblica am Freitag. Sie beruft sich auf Virologen, deren Genomanaly­sen auf einen gemeinsame­n Ursprung der Erreger hindeuten. Die Zeitung spekuliert, vielleicht habe sich ein italienisc­her Mitarbeite­r des Autozulief­erers Webasto aus Stockdorf im Landkreis Starnberg im Januar bereits dort angesteckt. Webasto hat auch Zweigstell­en in Norditalie­n.

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Foto: Jens Golombek, dpa Meran in Südtirol ist ein beliebtes Reiseziel – doch nun stornieren reihenweis­e deutsche Urlauber.

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