Es gibt mehr als Mann und Frau
Titel-Thema Eine Revolution des Feminismus, die bis in die heutigen Gesellschaftsdebatten nachbebt: Vor 30 Jahren erschien „Das Unbehagen der Geschlechter“von Judith Butler. Seitdem wird um „Gender“-Fragen gerungen
Als Judith Butler kürzlich in Berlin eine große Festrede hielt, längst mit zahlreichen Ehrendoktorwürden geschmückt und als erste Frau überhaupt etwa auch mit dem TheodorW.-Adorno-Preis ausgezeichnet, da war natürlich das Werk wieder Thema, das sie zu einem Popstar der Wissenschaft gemacht hat. Anlass war das zehnjährige Jubiläum der Fachgesellschaft Geschlechterstudien an der Technischen Universität, „Gender e. V.“– aber eben darin zeigt sich auch, wie wirkmächtig die Gedanken waren, die sie nun vor 30 Jahren veröffentlicht hat, in „Das Unbehagen der Geschlechter“.
Es markiert einen Scheidepunkt im Feminismus, der bis heute weit in die gesellschaftlichen Debatten fortwirkt. Wenn die AfD heute gegen „Gender-Wahn“wettert, wenn im reaktionär regierten Ungarn als erstes die Gender Studies an den Universitäten eingespart werden, markiert das eine wohl erwartbare Front. Aber wenn sich die heute 64-jährige US-Amerikanerin damit auch Feindinnen unter den Kämpferinnen für Emanzipation gemacht hat, darunter etwa die deutsche Ikone Alice Schwarzer, ist da eine weitere, die in die Tiefe ihrer Gedanken weist. In Berlin sprach Butler unter anderem davon, dass die „GenderFrage“für alle Gesellschaftsbereiche von Bedeutung sei, auch für die ökologische Debatte. Was aber hat das mit Feminismus zu tun?
Was Butler vor 30 Jahren prägte, ist auf Deutsch mitunter schwer zu übersetzen. Denn das englische Gender steht ja eigentlich für das grammatikalische Geschlecht, das Geschlecht des Menschen heißt dort „Sex“. Darum hieß das Buch im Original auch „Gender Trouble“– um zu betonen, dass Geschlecht hier als soziale Konstruktion begriffen werde. An einer zentralen Stelle formuliert sie das so, was zugleich deutlich macht, wie explizit wissenschaftlich dieses Werk ist, das sich unter anderem an Foucault und Lacan abarbeitet: „Als Teil des epistemologischen Erbes der gegenwärtigen politischen Diskurse über die Identität stellt dieser binäre Gegensatz einen strategischen Schritt innerhalb eines gegebenen Komplexes von Bezeichnungsverfahren dar. Dieser Schritt stiftet das ‚Ich‘ in und durch diesen Gegensatz als Notwendigkeit, indem er den diskursiven
verschleiert, der diese Binarität selbst konstruiert. Verschiebt man dagegen die epistemologische Darstellung der Identität zu einem Modell, das die Problematik in das Gebiet der Bezeichnung stellt, wird eine Analyse möglich, die die epistemologische Darstellungsweise selbst als eine mögliche, kontingente Bezeichnungspraxis begreift. Zudem wird die Frage der Handlungsmöglichkeit umformuliert zu der Frage, wie die Signifikation und Resignifikation funktionieren.“
Als einer der Schlüsselbegriffe taucht hier auf: Binarität. Gemeint ist damit das Denken, dass die Geschlechterfrage eine binäre ist, eine von 0 oder 1 also: Ein Mensch ist entweder Mann oder Frau. Für die Autorin liegt darin bereits ein wesentliches Problem. Denn wer etwa die Aufgabe des Feminismus darin sieht, die Frau gegenüber dem Mann zu emanzipieren, der handelt sich zwei entscheidende Folgen ein: Als maßgeblich wird so auch in der Gegnerschaft noch immer die Rolle des Männlichen anerkannt; und Identitäten werden reduziert auf eine eindeutige, vermeintlich natürlich festgelegte Gegensätze mit vermeintlich natürlich bestimmter Sexualität – was aber gerade nicht der Wirklichkeit entspreche.
Es gibt nicht nur entweder Mann oder Frau – diese scheinbare, logische Voraussetzung aller Erkenntnis (epistemologisch) und damit auch die Voraussetzung der Auseinandersetzungen im Feminismus müsse als reine soziale Konstruktion entblößt werden. Und die Dominanz des Männlichen sei damit nicht im GeApparat geneinander zu bekämpfen, sondern in der Erkenntnis der tatsächlichen Vielfalt der Identitäten und Sexualitäten aufzulösen. Die Erscheinung von Transvestiten etwa ist für Butler damit ein wichtiges subversiv aufklärerisches Spiel, niemals nur Imitation des anderen Geschlechts. Und die inzwischen weitgehend eingeführte Bezeichnung eines dritten Geschlechts als „divers“das Mindeste, höchstens ein Zwischenziel.
Für gleichheitsengagierte Frauen wie Alice Schwarzer, die für die im Zitat genannte Suche nach „Handlungsmöglichkeiten“stehen, ist das zu akademisch, zu diversifizierend für die gesellschaftliche Debatte und damit eher eine Schwächung der ganz konkreten Emanzipationsbewegung. Sie markieren damit zwei Seiten einer Bewegung, die beide aus Simone de Beauvoires „Das andere Geschlecht“wurzeln, erschienen 40 Jahre vor Butlers „Das Unbehagen der Geschlechter“. Im zentralen Anliegen sind sie sich dabei bis heute, in die Zeit von #MeToo, einig. Es geht gegen das, was etwa die Britin Laurie Penny (sonst eher in Butlers unmittelbarer Folge und in fortgesetztem Streit mit Schwarzer) „toxic masculinity“nennt: Es gibt ein Gift der Männlichkeit, ein Prinzip, das sich in der Machtpolitik und dem ausbeuterischen Kapitalismus entfaltet – und damit, siehe Butler, auch in der ökologischen Frage. Und dieses Prinzip gilt es zu brechen, zu entmachten.
» Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Übs. v. Katharina Menke, Suhrkamp, 236 S., 14 ¤