Esst mehr Obst!
Ausstellung Schmeckt die Kunst süß oder schmeckt sie bitter? Eine Ausstellung im Tinguely-Museum von Basel widmet sich dem gustatorischen Genuss – und dessen Gegenteil
Basel Der Mensch hat so seine Bedürfnisse. Deswegen gibt es auch Bedürfnisanstalten. Daneben muss er atmen, schlafen (mit und ohne Nachwuchsfolgen), trinken, essen. Vor allem das Schlafen, das Trinken und Essen versucht er zu perfektionieren – bis hin zur hohen Kunst.
Und so gibt es auch Kochkünstler. Und Künstlerköche wie Daniel Spoerri, ein grundlegender Meister der sogenannten Eat-Art. „Wenn alle Künste untergehn, die edle Kochkunst bleibt bestehn ...“gab er 1968 nach Wilhelm-Busch-Manier als Losung aus. Was auch zeigt: Der Mensch ist sich selbst – und seiner Versorgung – am Nächsten.
Nun hat das Tinguely-Museum in Basel, immer gut für ausgefallene, grenzüberschreitende Ausstellungen, eine Schau zum Geschmack angerichtet (nach Präsentationen zu zwei anderen Sinnen: dem Tasten und Riechen). Was ganz klar heißt: Es geht nicht um den Erwerb und die Pflege eines ästhetischen Geschmacks (oder allenfalls nebenbei), sondern um das Schmecken – was ja häufig auch fortbildungsnötig ist.
Und so gliedert sich die Exposition zu einem wesentlichen Teil in die fünf Geschmacksrichtungen süß, bitter, salzig, sauer und umami – was so viel bedeutet wie würzig.
Man glaubt ja gar nicht, wie viel Essen, wie viele Nahrungsmittel, wie viel umami von Künstlern seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Bild und Objekt gesetzt wurden – weit nachdem uns die barocken Stillleben-Maler mit süßen, saftigen, frischen Früchten oder deftigen Fleisch- und Fischhappen das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Besagter Spoerri erklärte 1968, als er sein Düsseldorfer Restaurant „Sieben Sinne“eröffnete, Rollmöpse im Einmachglas zu „Achtung Kunstwerk“; sein Wirt Carlo Schröter wiederum deklarierte acht Spoerri-Suppen-Dosen zum Sammelobjekt; George Brecht stellte eine Packung „Sonnensalz“unter Glassturz (1969); Cildo Meireles aus Brasilien beschriftete Cola-Flaschen politisch-kritisch neu und schmuggelte sie wieder ins Verkaufsregal (1970), der nigerianische Emeka Ogboh braut schon länger tiefdunkles Bier und vertreibt es unter der provokanten Marke „Wer hat Angst vor Schwarz?“; Elisabeth Willig – wir sind in der Schweiz – tapeziert eine Wand mit verpackten SchoggiRiegeln, was ein wenig nach sauber aufgeräumtem El Anatsui ausschaut; der gute, alte Joseph Beuys aber kombinierte 1972 Kants „Kritik der reinen Vernunft“mit einer Maggi-Würzflasche und füllte 1979 Honig in Dosen ab. So, wie 40 Jahre später Jorinde Voigt im Glas – verfeinert mit Cannabis, beigelegt eine Ausgabe von „Alice im Wunderland“.
Das alles ist mehr oder weniger appetitanregend und bewusstseinserweiternd – in ästhetischer Hinsicht auch die neun Salzlecksteine, die der Franzose Nicolas Momein durch eine Kuhherde – wir sind in der Schweiz – tatsächlich außergewöhnlich formschön zusammenschlutzen ließ. Vielleicht das originellste Werk der Schau. Wirklich spannend aber wird diese dann, wenn nicht der gustatorische Genuss, sondern sein Gegenteil, der Ekel und das Widerliche, ins Spiel kommt – beispielsweise das Nahrungsmittel im Prozess des Faulens, Schimmelns, Gärens. Dann sind wir ganz und gar nicht mehr beim Affirmativen.
Noch einmal sehen wir das faszinierende Video „Still Life“von Sam Taylor-Johnson (einst: TaylorWood) , bei dem im Zeitraffer ein Arrangement leckerer Früchte vollkommen vermodert (2001); noch einmal sehen wir Dieter Roths „Großes Schimmelbild“, bei dem zwischen Glasplatten ein Gemisch aus Bohnen, Mehl und Rotkohl bis zur Unidentifizierbarkeit verwest (1969). Und zum Vegetarier kann werden, wer – ein letztes Mal sein Name – Daniel Spoerris Film „Resurrection“sieht (1969), der eine Verwertungsgeschichte rückwärts und ausgesprochen präzise zeigt: Das menschliche Ausscheiden einer Mahlzeit, das Essen eines Steaks, dessen Zubereitung, das Schlachten eines Rindes gefolgt von seiner Tötung, das Rind, wie es noch auf der Weide steht und in Fladenform fallen lässt, was auch der Mensch von sich gab nach Verdauung des Steaks.
Auch Constantino Ciervos SreenWand ist nicht ohne: Da sieht man Menschen frontal, wie sie von einer vor ihnen platzierten Glasscheibe allerlei Symbole aus Zuckerguss ablecken: Dollar- und Euro-Zeichen, Halbmond und Davidsstern, Panzer und christliches Kreuz. Das Ganze: So visuell anziehend wie visuell abstoßend. Auch darauf einen Dujardin – einzunehmen wahlweise in dem in diese Schau integrierten Café Kyoto von Jean Tinguely oder in der integrierten Bar von Dieter Roth. ⓘ
Der Geschmack der Kunst