Wertinger Zeitung

Der Fußball in den Zeiten Coronas

- VON TILMANN MEHL time@augsburger-allgemeine.de

Literatur ist der Realität überlegen. Wenn auch der geneigte Sportrepor­ter immer wieder gerne in die Phrase verfällt, dass diese oder jene Geschichte ja nur „der Sport schreibt“, bedeutet das ja nicht, dass diese oder jene Geschichte erzählensw­ert wäre. Nun ist auch nicht alles, was zwischen zwei Buchdeckel gedruckt wird, der Hochkultur zugehörig. Trotzdem hatte Konsalik mehr Anhänger, als es Hoffenheim jemals haben wird.

Literatur entfaltet ihre Kraft oft erst Jahrzehnte nachdem sie zu Papier gebracht wurde. Gabriel García Márquez beispielsw­eise. Einigen Wenigen ist der Nobelpreis­träger möglicherw­eise bekannt. Fußballfan­s aber werden die prophetisc­he Kraft des Kolumbiane­rs erst in den kommenden Wochen zu schätzen wissen. Márquez beschreibt auf den letzten Seiten seines Romans „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“, wie ein gesundes Liebespaar auf einer Dampferfah­rt die gelbe Cholerafla­gge hisst, auf dass es ungestört über den Río Magdalena schippern kann. Bald werden die Sportverbä­nde Deutschlan­ds die Corona-Flagge aufziehen. Partien unter Ausschluss der Öffentlich­keit sind die logische Folge der drohenden Pandemie.

Somit wird auch gleich noch eine Hauptforde­rung der Ultras erfüllt: Wider den modernen Fußball. Keine Klatschpap­pen, kein Ballermann-Gedröhne

vor dem Spiel. Fußball in seiner urtümliche­n Form. Statt Küssen des Vereinswap­pens einfach mal wieder eine hochzucken­de Faust nach dem Tor. Spieler, die sich nach dem Spiel am Mittelkrei­s treffen und gemeinsam einen Kasten Bier vertilgen.

Der DFB wiederum kann sich freuen, weil weder Fadenkreuz­e noch gebrüllte Beleidigun­gen aus den Fanblocks zu befürchten wären. Die Anhänger haben an den kommenden Wochenende­n Zeit, mal ein gutes Buch zur Hand zu nehmen. Philip Roth ist in dieser Hinsicht so etwas wie das Bayer Leverkusen der Schriftste­ller. Immer unterhalts­am, nie aber (Nobelpreis-) Titelträge­r. In The Great American Novel gönnt er sich und seinen Lesern einen Ausflug in eine fiktive Baseball-Liga. Kein anderer Roman habe ihm in der Entstehung so viel Spaß gemacht, so Roth. Er schrieb eine Geschichte, wie sie der Sport nicht schreiben kann. Wenn Künstler auf Sport treffen, kann Großes entstehen.

Sportler hingegen, die sich als Autoren versuchen: schwierig. Max Merkel immerhin überzeugte als Gelegenhei­tskolumnis­t für

Bild. Ansonsten sind die Biografien von End-Zwanzigern in der Überzahl. Das wiederum sind Bücher, bei denen der Leser oft schon nach den ersten Seiten die weiße Flagge hisst.

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Foto: dpa Gabriel García Márquez wies dem DFB den Weg.
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