Corona: Wieso spielt Gladbach vor 50 000 Fans?
Gesundheit Schulen und Kitas in Heinsberg sind dicht, aber zehn Kilometer weiter findet ein Bundesligaspiel statt. Ein Experte kritisiert das. Die Stadt sieht keine erhöhte Gefahr, rät Alten und Kranken jedoch vom Stadionbesuch ab
Mönchengladbach Am Samstag steigt das Borussen-Duell in der Bundesliga vor über 50000 Zuschauern – Mönchengladbach gegen Dortmund. Dabei ist das Rheinland deutschlandweit am stärksten vom Coronavirus betroffen. Gleichzeitig fallen international viele Sportveranstaltungen aus oder finden unter Ausschluss der Zuschauer statt. Wie kommt die Entscheidung zustande? Ein Virologe kritisiert die Verantwortlichen in Gladbach.
„Volle Stadien mit Zehntausenden von Fans – gerade in Gegenden wie dem vom Coronavirus jetzt stark betroffenen Rheinland – müssten aus medizinischer Sicht eigentlich gestoppt werden“, meint Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Berliner Charité gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung. Schließlich liegt der Kreis Heinsberg, in dem zahlreiche Menschen infiziert sind, nur zehn Kilometer vom Borussia-Park entfernt.
NRW-Gesundheitsminister Karl Josef Laumann hatte dagegen keine Veranlassung für eine Absage gesehen. Gleichzeitig aber sind im Kreis Heinsberg bis Ende kommender Woche alle Schulen und Kitas dicht. „Ich würde mir natürlich wünschen, dass man das mal näher erklärt“, sagt der Heinsberger Landrat Stephan Pusch. „Beispielsweise, welche Risikoabwägung dem zugrunde liegt, warum man davon ausgeht, dass vielleicht die Ansteckungsgefahr geringer ist als üblich.“
Fakt ist: Nur die lokalen Gesundheitsbehörden sind befugt, Spiele abzusagen. Zwar stehen DFL und DFB mit ihnen in engem Austausch. Da sie aber nicht Veranstalter der Partien sind, dürfen sie auch nicht über deren Ausfall entscheiden. Wolfgang Speen von der Stadt Mönchengladbach erklärt: „Entscheidend war die Einschätzung unseres Gesundheitsamts. Aber natürlich ist das ein Spagat zwischen dem Schutz der Öffentlichkeit und dem Ermöglichen des gewohnten öffentlichen Lebens.“Vier Infizierte in Mönchengladbach
selbst seien eine überschaubare Zahl. „Es wäre fatal, das öffentliche Leben deshalb so einzuschränken wie in Italien.“Alle Erkrankten sowie deren Kontaktpersonen befänden sich in Quarantäne. Das gelte auch für die vielen Coronapatienten aus dem Kreis Heinsberg. „Es sollten somit im Stadion keine erhöhten Risikofaktoren vorhanden sein“, teilt Speen mit.
Die Stadt rät allerdings älteren und chronisch kranken Personen mit Lungen- und Herzerkrankungen, Immunschwächen oder ähnlichem von einem Stadionbesuch ab. Auch, wer eine Erkältung hat, solle fern bleiben. Borussia Mönchengladbach ergreift in Form von Seifenspendern mit medizinischer Seife über Händedesinfektionsmittelständer Schutzmaßnahmen.
Der Trainer des FC Augsburg,
Martin Schmidt, sagt: „Ich glaube, Deutschland bereitet sich so vor, wie es muss. Es wird aber mehr Veranstaltungen ohne Zuschauer geben.“Auch bei Bundesligaspielen hält Schmidt dies für denkbar. Intern ist Corona beim FCA ein Thema, wie Schmidt bestätigt: „Dazu gehören Maßnahmen wie Hände waschen oder das Vermeiden des Besuchs von Bahnhöfen, Flughäfen oder Restaurants. Es gibt interne Verhaltensregeln bei uns.“
Die DFL lässt wissen, dass sie auch Szenarien mit Spielabsagen bereits durchgespielt hat. Da es allerdings kaum Ausweichtermine gibt, dürften Begegnungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit die wahrscheinlichere Variante sein.
Insgesamt unterscheidet sich der Umgang bei Sportgroßveranstaltungen derzeit sehr stark. In der
Schweiz wurden alle Fußball-Profispiele bis April abgesagt, in der dänischen Liga finden sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das gilt auch für die Serie A sowie alle weiteren größeren Sportveranstaltungen in Italien bis zum 3. April. Betroffen sind auch internationale Fußball-Begegnungen von Vereinen aus Italien und Dänemark. Atalanta Bergamo, Inter Mailand und der FC Kopenhagen treten kommende Woche im Europapokal vor Geisterkulissen an - teilweise auswärts.
Italien ist mit tausenden Fällen europaweit am stärksten vom Coronavirus betroffen. Ein Testländerspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Italien in Nürnberg am 31. März steht dem dortigen Sozialreferenten Peter Pluschke zufolge deshalb auf der
Kippe. International gibt es etliche weitere Änderungen – in Sportarten von Marathon bis Motorrad.
Teilweise nehmen die Folgen kuriose Ausmaße an: Beim BiathlonWeltcup im tschechischen Nove Mesto sind keine Zuschauer erlaubt. Journalisten führen aber Interviews mit den Sportlern – und halten dabei einen Mindestabstand von eineinhalb Metern. Borussia Mönchengladbach hatte Fans aus dem Kreis Heinsberg angeboten, ihre Karten für das Topspiel zurückzugeben.
Unterschiedlich ist der Umgang mit Corona auch innerhalb von Vereinen. Der SC Freiburg verzichtet derzeit auf die üblichen Begrüßungsformeln. Borussia Dortmund fliegt am Dienstag nicht wie gewohnt mit Sponsoren und Medienvertretern zusammen zum Champions-League-Spiel nach Paris.