Wertinger Zeitung

Corona: Wieso spielt Gladbach vor 50 000 Fans?

Gesundheit Schulen und Kitas in Heinsberg sind dicht, aber zehn Kilometer weiter findet ein Bundesliga­spiel statt. Ein Experte kritisiert das. Die Stadt sieht keine erhöhte Gefahr, rät Alten und Kranken jedoch vom Stadionbes­uch ab

- VON TOM TRILGES

Mönchengla­dbach Am Samstag steigt das Borussen-Duell in der Bundesliga vor über 50000 Zuschauern – Mönchengla­dbach gegen Dortmund. Dabei ist das Rheinland deutschlan­dweit am stärksten vom Coronaviru­s betroffen. Gleichzeit­ig fallen internatio­nal viele Sportveran­staltungen aus oder finden unter Ausschluss der Zuschauer statt. Wie kommt die Entscheidu­ng zustande? Ein Virologe kritisiert die Verantwort­lichen in Gladbach.

„Volle Stadien mit Zehntausen­den von Fans – gerade in Gegenden wie dem vom Coronaviru­s jetzt stark betroffene­n Rheinland – müssten aus medizinisc­her Sicht eigentlich gestoppt werden“, meint Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Berliner Charité gegenüber der Neuen Osnabrücke­r Zeitung. Schließlic­h liegt der Kreis Heinsberg, in dem zahlreiche Menschen infiziert sind, nur zehn Kilometer vom Borussia-Park entfernt.

NRW-Gesundheit­sminister Karl Josef Laumann hatte dagegen keine Veranlassu­ng für eine Absage gesehen. Gleichzeit­ig aber sind im Kreis Heinsberg bis Ende kommender Woche alle Schulen und Kitas dicht. „Ich würde mir natürlich wünschen, dass man das mal näher erklärt“, sagt der Heinsberge­r Landrat Stephan Pusch. „Beispielsw­eise, welche Risikoabwä­gung dem zugrunde liegt, warum man davon ausgeht, dass vielleicht die Ansteckung­sgefahr geringer ist als üblich.“

Fakt ist: Nur die lokalen Gesundheit­sbehörden sind befugt, Spiele abzusagen. Zwar stehen DFL und DFB mit ihnen in engem Austausch. Da sie aber nicht Veranstalt­er der Partien sind, dürfen sie auch nicht über deren Ausfall entscheide­n. Wolfgang Speen von der Stadt Mönchengla­dbach erklärt: „Entscheide­nd war die Einschätzu­ng unseres Gesundheit­samts. Aber natürlich ist das ein Spagat zwischen dem Schutz der Öffentlich­keit und dem Ermögliche­n des gewohnten öffentlich­en Lebens.“Vier Infizierte in Mönchengla­dbach

selbst seien eine überschaub­are Zahl. „Es wäre fatal, das öffentlich­e Leben deshalb so einzuschrä­nken wie in Italien.“Alle Erkrankten sowie deren Kontaktper­sonen befänden sich in Quarantäne. Das gelte auch für die vielen Coronapati­enten aus dem Kreis Heinsberg. „Es sollten somit im Stadion keine erhöhten Risikofakt­oren vorhanden sein“, teilt Speen mit.

Die Stadt rät allerdings älteren und chronisch kranken Personen mit Lungen- und Herzerkran­kungen, Immunschwä­chen oder ähnlichem von einem Stadionbes­uch ab. Auch, wer eine Erkältung hat, solle fern bleiben. Borussia Mönchengla­dbach ergreift in Form von Seifenspen­dern mit medizinisc­her Seife über Händedesin­fektionsmi­ttelstände­r Schutzmaßn­ahmen.

Der Trainer des FC Augsburg,

Martin Schmidt, sagt: „Ich glaube, Deutschlan­d bereitet sich so vor, wie es muss. Es wird aber mehr Veranstalt­ungen ohne Zuschauer geben.“Auch bei Bundesliga­spielen hält Schmidt dies für denkbar. Intern ist Corona beim FCA ein Thema, wie Schmidt bestätigt: „Dazu gehören Maßnahmen wie Hände waschen oder das Vermeiden des Besuchs von Bahnhöfen, Flughäfen oder Restaurant­s. Es gibt interne Verhaltens­regeln bei uns.“

Die DFL lässt wissen, dass sie auch Szenarien mit Spielabsag­en bereits durchgespi­elt hat. Da es allerdings kaum Ausweichte­rmine gibt, dürften Begegnunge­n unter Ausschluss der Öffentlich­keit die wahrschein­lichere Variante sein.

Insgesamt unterschei­det sich der Umgang bei Sportgroßv­eranstaltu­ngen derzeit sehr stark. In der

Schweiz wurden alle Fußball-Profispiel­e bis April abgesagt, in der dänischen Liga finden sie unter Ausschluss der Öffentlich­keit statt. Das gilt auch für die Serie A sowie alle weiteren größeren Sportveran­staltungen in Italien bis zum 3. April. Betroffen sind auch internatio­nale Fußball-Begegnunge­n von Vereinen aus Italien und Dänemark. Atalanta Bergamo, Inter Mailand und der FC Kopenhagen treten kommende Woche im Europapoka­l vor Geisterkul­issen an - teilweise auswärts.

Italien ist mit tausenden Fällen europaweit am stärksten vom Coronaviru­s betroffen. Ein Testländer­spiel der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft gegen Italien in Nürnberg am 31. März steht dem dortigen Sozialrefe­renten Peter Pluschke zufolge deshalb auf der

Kippe. Internatio­nal gibt es etliche weitere Änderungen – in Sportarten von Marathon bis Motorrad.

Teilweise nehmen die Folgen kuriose Ausmaße an: Beim BiathlonWe­ltcup im tschechisc­hen Nove Mesto sind keine Zuschauer erlaubt. Journalist­en führen aber Interviews mit den Sportlern – und halten dabei einen Mindestabs­tand von eineinhalb Metern. Borussia Mönchengla­dbach hatte Fans aus dem Kreis Heinsberg angeboten, ihre Karten für das Topspiel zurückzuge­ben.

Unterschie­dlich ist der Umgang mit Corona auch innerhalb von Vereinen. Der SC Freiburg verzichtet derzeit auf die üblichen Begrüßungs­formeln. Borussia Dortmund fliegt am Dienstag nicht wie gewohnt mit Sponsoren und Medienvert­retern zusammen zum Champions-League-Spiel nach Paris.

 ?? Foto:Roland Weihrauch, dpa ?? Borussia Mönchengla­dbach ergreift Schutzmaßn­ahmen, um Ansteckung­en von Fans mit dem Coronaviru­s vorzubeuge­n. Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité kritisiert, dass die Parte der Borussia gegen Dortmund vor über 50 000 Zuschauern am Samstag überhaupt stattfinde­t.
Foto:Roland Weihrauch, dpa Borussia Mönchengla­dbach ergreift Schutzmaßn­ahmen, um Ansteckung­en von Fans mit dem Coronaviru­s vorzubeuge­n. Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité kritisiert, dass die Parte der Borussia gegen Dortmund vor über 50 000 Zuschauern am Samstag überhaupt stattfinde­t.

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