Ein Roman im Comedy-Format
Thomas Brussig Nach klugen deutsch-deutschen Komödien dreht der Erfolgsautor jetzt ab
Was für ein Quatsch! Futtern zwei 16-Jährige – ein bisschen verknallt, abenteuerlustig und in einem mecklenburgischen Kaff allzu gelangweilt – nach Internet-Anleitung fünf Beerensorten und stellen sich dann ein Seifen-, Spül-, und Trockenprogramm lang in die Autowaschanlage. Und siehe da, Fibi und Aram werden: Beeren + Wasch = Waschbären! Echt jetzt. Das ist der Ausgangspunkt des neuen Romans von Thomas Brussig.
Der war zwar auch schon im Verarbeiten der deutsch-deutschen Geschichte mit „Helden wie wir“, „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“und „Wie es leuchtet“ein gewitzter Unterhalter – mit Millionenerfolgen in Buch, Film und Theater. Und der verpasste als Verfasser des Librettos auch dem Erfolgsmusical „Hinterm Horizont“über das Leben des Udo Lindenberg den passend leichten Ton. Aber jetzt, quasi in Fortsetzung all der klassischen Mensch-Tier-Metamorphosen von der Antike bis zu Kafkas „Die Verwandlung“: Waschbären?
„Die Verwandelten“heißt das Buch des 55-jährigen Berliners jedenfalls. Und wie immer stellt sich bei solchen Kniffen die Frage: Wozu? Doch nicht etwa, um das (göttliche?) Geheimnis von der im
Dasein wandelnden Seele zu ergründen oder das Absurde der Existenz zu verdichten? Nein, literarisch kommt man Brussig nicht auf die Spur. Denn so offenkundig er um die eigentliche Tiefe des Motivs weiß, so eindeutig interessiert ihn diese überhaupt nicht. Er hat einfach Spaß mit den Waschbären und dem, was diese auslösen, zunächst in ihrem Umfeld, dann über alle rauschenden Medienkanäle in Deutschland und der Welt. Solange sie eben noch die neuste und irrste Sensation sind, die viral geht und zu vermarkten ist. Denn als nichts anderes kann diese unsere Zeit selbst mit so etwas wie einem Wunder umgehen.
Ist „Die Verwandlung“deshalb ein Gesellschaftsroman, wie Brussigs Verlag posaunt? Dann aber müsste man Bühnenprogramme von Mario Barth und Bücher von Tommy Jaud auch zeitgeistkritisch nennen. Also: nö. Denn das ist nicht Kabarett, sondern Comedy – eine Nummern-Revue an komischschrillen Ideen, die mit durchaus ordentlicher Quote über Kalauer hinausgehen und auch zünden. Weil Brussig einen guten Blick für Menschen hat und deren Spracheigenheiten auch trifft – selbst die der 16-Jährigen. Sodass man sich „Die Verwandlung“gut auch verfilmt vorstellen kann, wie nun ja auch mit digital animiertem Tier „Die Känguru-Chroniken“im Kino laufen.
Die zum Waschbär gewordene Fibi jedenfalls ist eine Schau, die es weiter wild plaudernd und pubertierend sogar zu einer Show mit Besuchen von Weltstars bringt. Ihre Mutter, eine Psychologin, und ihr Vater, der Oberbürgermeister von Bräsefeld, wanken zwischen Sorgenkrankheit und Profitkalkulation – während die Eltern von Aram, dem anderen Verwandelten, nur noch verzweifeln. Denn der Junge, der sich eigentlich Hoffnungen machen konnte, Fußball-Profi zu werden, verkriecht sich verzweifelt, spricht nicht und findet dann zusehends Gefallen am Instinktleben als Tier. Dazu dreht Brussig im kapitelweisen Perspektivwechsel auch zwischen knallharten Medienmachern und Nobelpreis-sehnsüchtigen Medizinern, paragrafenstarrem Anwaltrentner und entflammtem Ed Sheeran immer weiter auf und auch gerne mal total ab.
Oder sollte man so was ernst nehmen wie die Erwägungen von Fibis Mutter? „Seit zehntausend Jahren versucht die Zivilisation, der Natur immer rücksichtsloser die Zähne zu ziehen. Aber jetzt schlägt die Natur zurück, mit neuen Methoden. Deshalb wird die Wissenschaft, die ja eine Tochter der Zivilisation ist, nichts finden. Sie wird keine Ursache finden und keinen Weg, Fibi zurückzuverwandeln…“Besser nicht. Der Leser erfährt schon früh im Buch, dass die Verwandlung völlig zufällig auf frei erfundenes QuatschGeposte eines Komikers zurückgeht und weiß: Es geht hier deutlich mehr Richtung „Alvin and the Chipmunks“als Richtung Kafka. Wer aber nicht mehr als Comedy erwartet, wird von Brussig nicht enttäuscht. Wolfgang Schütz