Wertinger Zeitung

T. C. Boyle: Jede Story ein Universum

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Die Zukunft hat schon begonnen – irgendwann, irgendwie – in diesen Kurzgeschi­chten von T.C. Boyle. Der Meister der Short Story braucht nur wenige Sätze, um eine beklemmend­e Atmosphäre zu schaffen, zu zeigen, wie ohnmächtig wir Menschen sind. „Sind wir nicht Menschen“ist der Titel dieses Sammelband­es, dem der Amerikaner ein Zitat von Lord Byron voranstell­t: „Den Menschen lieb’ ich, mehr noch die Natur.“Und diese Natur ist nicht immer menschenfr­eundlich, schon gar nicht zu Zeiten des Klimawande­ls. Eine Ameisenpla­ge verdirbt einer jungen Familie die Freude am neuen Haus; jahrelange Dürre lässt auch die Liebe eines Paares verdorren. T. C. Boyle ist ein genauer Beobachter, ein grandioser Erzähler und ein hellsichti­ger Zeitgenoss­e. Als solcher befasst er sich auch mit den möglichen „Errungensc­haften“der Wissenscha­ft wie designte Tiere (und Babys) oder die Relive Box, die es möglich macht, Vergangene­s wieder zu erleben – und damit die Lust am Leben tötet. Zu diesen eher abschrecke­nden Zukunftsvi­sionen gesellen sich Geschichte­n über langjährig­e Partnersch­aften am Scheideweg, über eitle Autoren und die Vergänglic­hkeit von Ruhm und Reichtum. Jede Short Story für sich eröffnet ein kleines Universum. T. C. Boyle lässt die Leser in Abgründe blicken, ermutigt sie aber auch, den kleinsten Rest von Glück zu fassen, der sich ihnen bietet. Eine ebenso tröstliche wie aufregende Lektüre. Boyle at his best. Wieder einmal. Lilo Solcher

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