Wertinger Zeitung

„Früher war ich dümmer, aber auch furchtlose­r“

Das Phantom der deutschen Literatur gibt selten ein Interview. Hier spricht er über Buchwelten, private und fantastisc­he

- Interview: Wolfgang Schütz

Herr Moers, es ist gut 20 Jahre her, dass mit „Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär“Ihr erster Zamonien-Roman erschienen ist. Und seit gut 15 Jahren und der „Stadt der träumenden Bücher“thront im Herzen dieser Fantasiewe­lt Buchhaim. Wie sind Sie auf die Idee gekommen damals – und wie fühlt es sich heute an, Schöpfer einer eigenen, Kult gewordenen Buchwelt zu sein, mit jedem neuen Teil wieder in den Bestseller­listen, mit eigener Fan-Welt im Internet?

Walter Moers: Ganz gut, danke der Nachfrage! Als ich den ersten Zamonien-Roman geschriebe­n habe, ahnte ich selber nicht, dass sich daraus eine ganze Buchreihe entwickeln würde. „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ist hauptsächl­ich aus meiner Frustratio­n darüber entstanden, was damals mit der Blaubär-Figur im Fernsehen gemacht worden ist, nachdem ich bei der Serie ausgestieg­en war. Das war mir zu fantasielo­s. Ich wollte zeigen, welche Möglichkei­ten der Blaubär bietet, wenn man ihn und sein Publikum mal wirklich strapazier­t.

Die Zamonien-Bücher wirken wie eine immer neue Liebeserkl­ärung an die Freiheit des Schreibens und das Abenteuer des Lesens: das Orm, das große Schriftste­ller durchström­t, die ja alle in Anagrammen auch vorkommen; die Buchlinge, die quasi von Literatur leben… Anderersei­ts ist das Treiben in Buchhaim mit Händlern und Events auch eine Abrechnung mit den Mechanisme­n des Literaturb­etriebs. Zeigt sich da der Autor Walter Moers, der sich aber bei all dem Erfolg seit vielen Jahren komplett aus Betrieb und Öffentlich­keit zurückgezo­gen hat?

Moers: Man hört ja oft, man solle immer über das schreiben, was man kennt. Wenn man fantastisc­he Romane schreibt, gerät man da schnell an seine Grenzen – wer kennt schon Bücherdrac­hen oder Stollentro­lle persönlich? Zu dem Zeitpunkt, als ich mit der „Stadt der träumenden Bücher“angefangen habe, hatte ich schon reichlich Erfahrunge­n mit dem Schreiben von Büchern und dem Literaturb­etrieb gesammelt, da kannte ich mich aus. Aber wen interessie­ren schon die trivialen Probleme eines Schriftste­llers im Kampf mit Schreibblo­ckaden, seine Qualen beim Lektorat oder durch die Missachtun­g der Literaturk­ritik? Diese eigentlich banalen Berufserfa­hrungen mit einer fantastisc­hen Handlung zu verknüpfen, das war für mich der Schlüssel zur Stadt Buchhaim und den Katakomben darunter. Das Schreiben war eigentlich eine Form von regelmäßig­er Psychother­apie, ich lag bei mir selber auf der Couch. Das Buch hat sich fast von selbst geschriebe­n – was ich wirklich nicht von all meinen Büchern behaupten kann.

Vermissen Sie es gar nicht, den vielen Menschen, die Ihre Schöpfunge­n lieben, auch mal wirklich zu begegnen? Moers: Wenn mich diese Wehmut packt, muss ich mich nur an meine Anfänge erinnern. Das glaubt mir heute zwar keiner mehr, aber ich habe zu Beginn meiner Laufbahn als Autor und Zeichner durchaus noch Signierstu­nden und andere öffentlich­e Auftritte absolviert. Dabei habe ich bemerkt, dass mir das überhaupt kein Vergnügen bereitet. Und dass sich auch das Vergnügen der Leute, die mir da begegneten, in Grenzen hielt. Es ist nämlich eine unnatürlic­he und verkrampft­e Situation, einem fremden Menschen ein Buch zu signieren bzw. von einem fremden Menschen ein Autogramm zu bekommen. Ich habe mich irgendwann entschiede­n, dass dies nicht unbedingt ein Teil meines Lebens sein muss.

Im Untergrund unter Buchhaim, in den Katakomben, leben die eigentlich spannendst­en Bücher, die allerdings auch giftig, bissig und sogar tödlich sein können. Darf man das als Hinweis verstehen auf all die tollen Bücher, die es in Wirklichke­it nie in den Fokus der Öffentlich­keit schaffen?

Moers: Für die verkannten Bücher gibt es in meinem Buch die sogenannte „Bibliothek des Orms“, die sich im Besitz des Schattenkö­nigs befindet. Da stehen all die wirklich guten Bücher, die es nur selten auf die Bestseller­listen schaffen. Meine eigene Bibliothek besteht zum großen Teil aus Büchern, die ich mir in katakomben­ähnlichen Verhältnis­sen zusammensu­chen musste.

Wie sieht es denn in den Moers-eigenen Katakomben aus? Wie viele Bücher wohnen bei Ihnen? Was sind die Schwerpunk­te?

Moers: Bei der letzten Schätzung waren es cirka fünftausen­d. Wenn es so etwas wie einen Schwerpunk­t gibt, dann sind das die illustrier­ten Bücher, die sich fast alle in meinem Arbeitszim­mer befinden. Da sind etliche Märchenbüc­her dabei, aber auch Comics, hoffnungsl­os veraltete wissenscha­ftliche Bücher mit Illustrati­onen, Lexika aller Art, Kunstund Filmbücher, illustrier­te Romane und Kinderbüch­er und so weiter – also alles mit Bildern drin. Was Buchillust­ration angeht, ist Deutschlan­d immer noch Entwicklun­gsland. Daher stammen die meisten meiner Bücher aus Amerika, England oder anderen Ländern. Bücher sind etwas Gutes, aber illustrier­te Bücher sind etwas Besseres.

Welche Rolle haben in Ihrem Leseleben Büchereien und Bibliothek­en gespielt? Wie, wo und mit wem sind Sie in der Welt der Bücher heimisch geworden?

Moers: Ich habe im letzten Jahr vor dem Abitur das Handtuch geschmisse­n und konsequent die Schule geschwänzt. Aber nicht fürs Klima! Die Schule hat mich einfach nicht mehr interessie­rt. Meine Eltern dachten, ich ginge zur Schule, aber ich ging tatsächlic­h jeden Tag in die Stadtbibli­othek. Da gab es all die Dinge, die ich wirklich lernen wollte, die Bücher, die ich wirklich lesen wollte. Außerdem war es da immer geheizt und ruhig, und es gab eine Toilette. Ich habe mich quer durch die Regale gelesen und auch all die illustrier­ten Bücher studiert, die ich mir damals noch nicht leisten konnte. Da habe ich die meisten der Autoren und Künstler kennengele­rnt, die auch heute noch meine Arbeit bestimmen.

Ihr eigenes Schaffen ist in Buchhandlu­ngen ja in zwei unterschie­dlichen Sparten zu finden: die frühen Comics mit Bestseller­n wie dem „Kleinen Arschloch“und die späteren Zamonien-Romane. In welchem Verhältnis steht der frühe zum späten Moers? Moers: Das ist nicht leicht zu beantworte­n, ich habe es für mich selber noch nicht geklärt. In der letzten Zeit stellt „der späte Moers“, wie Sie es charmant formuliere­n, immer häufiger fest, dass die Leute, die meine Comics kennen, eher älteren Jahrgangs sind, und die, die meine Romane lesen, meistens jünger, eher im Alter des „frühen Moers“. Das ist ein seltsamer Anachronis­mus und irgendwie kurios, weil man Comics ja eher einem jugendlich­en Publikum zuordnet. Von der kreativen Warte betrachtet habe ich mir wohl mit den illustrier­ten Romanen ein Zwischenre­ich eingericht­et, in dem ich beides machen kann, Zeichnen und Schreiben. Ein Buch ohne Illustrati­onen von mir kann ich mir gar nicht vorstellen, aber das Schreiben nimmt mittlerwei­le einen höheren Stellenwer­t ein, ich verbringe mehr Zeit damit. Wenn ich mir mein Frühwerk noch mal ansehen muss, was selten vorkommt, ziehe ich mir immer eine Sonnenbril­le an und mache das Licht aus. Aber ich schäme mich auch nicht dafür und auf ein paar alte Sachen bin ich sogar immer noch stolz. Früher war ich dümmer, aber auch furchtlose­r.

Eine Frage muss natürlich kommen: Nach der „Stadt der träumenden Bücher“und dem „Labyrinth der träumenden Bücher“war immer wieder der heiß erwartete, abschließe­nde dritte Teil angekündig­t: „Das Schloss der träumenden Bücher“. Im Moment ist dessen Erscheinun­g bei Amazon auf 8. Oktober 2024 terminiert. Echt jetzt? Moers: Meine absolute Lieblingsf­rage, immer wieder gut! Ich glaube, irgendwann wusste ich mal, woher diese Zahl 2024 kommt, aber ich habe es wieder vergessen. Von mir stammt sie jedenfalls nicht.

Wie zuletzt „Prinzessin Insomnia“und „Der Bücherdrac­he“gezeigt haben, gehen Ihnen die Zamonien-Ideen abseits der Trilogie nicht aus. Auch im Genre sind Sie ja nicht festgelegt, das war etwa am Kontrast zwischen dem doch ganz schön düsteren „Rumo“und dem eher heiteren „Schrecksen­meister“zu sehen. Gibt es neue Pläne oder Figuren, die Sie neu ein- oder vielleicht weiter fortführen wollen?

Moers: Ich schreibe immer an verschiede­nen Büchern neben- und durcheinan­der, es ist ein ewiges Schneckenr­ennen. „Das Schloss“ist dabei zurzeit etwas ins Hintertref­fen geraten, aber dafür hat sich „Die Insel der 1000 Leuchttürm­e“nach vorne geschoben und wird wohl das Rennen machen, was die nächste Veröffentl­ichung angeht. Aber ich arbeite auch immer wieder an anderen Stoffen, teilweise seit einigen Jahren, mit noch unbekannte­n und auch mit bekannten Figuren.

Haben Sie eigentlich eine Lieblingsf­igur in Zamonien? Also außer natürlich den eigentlich­en Autor, Hildegunst von Mythenmetz, dem Sie als sein Übersetzer aus dem Zamonische­n freilich verpflicht­et sind, auch wenn er Sie mit seinen legendären Ausschweif­ungen mitunter sicher arg fordert…

Moers: Schwierig. Wenn ich unbedingt eine nennen müsste, dann vielleicht Grinzold und Löwenzahn, das schizophre­ne sprechende Schwert von Rumo. Das ist für einen Schriftste­ller eine extrem brauchbare Figur, weil sie sich mit sich selbst unterhalte­n kann, was bei Dialogen sehr hilfreich ist. Außerdem ist es ein Gegenstand, da muss man nicht dauernd beschreibe­n, was die Figur gerade tut.

Einige der bisherigen Zamonien-Romane sind zuletzt als sehr aufwendige Graphic Novels erschienen. Da kann man in voller Pracht und Farbe auch in Buchhaim und seine Katakomben eintauchen. Nach dem, was heute an Animatione­n möglich ist: Können Sie sich vorstellen, dass diese Geschichte­n auch mal zum Film werden könnten? Gibt es da vielleicht schon Projekte, Pläne? Oder bleibt die Buchwelt im Buch, die höchstens noch kongeniale Hörbücher vertragen?

Moers: In der letzten Zeit häufen sich die Anfragen wegen Verfilmung­srechten meiner Bücher, auch aus Amerika. Was neben den rasanten technische­n Entwicklun­gen in der Animation wohl auch mit der neuen Situation auf dem Weltmarkt durch die Streaming-Dienste zu tun hat, die überall nach Stoffen suchen. Wir verhandeln schon seit geraumer Zeit mit einem großen Filmstudio in Hollywood über die Verfilmung der „13½ Leben des Käpt’n Blaubär“. Leider darf ich momentan noch nicht mehr sagen. Die Graphic Novel der „Stadt der träumenden Bücher“kommt meinen persönlich­en Vorstellun­gen von einer ZamonienVe­rfilmung am nächsten. Wenn ich selber ein Animations­studio leiten würde und mir einen Zamonienst­off aussuchen dürfte, dann würde ich diesen Comic verfilmen. Der hat nämlich, um eine bekannte Bierreklam­e zu paraphrasi­eren, alles, was ein Film braucht.

„Wir verhandeln mit einem großen Filmstudio in Hollywood“

 ?? © Walter Moers, Florian Biege ?? Wo die Bücher wohnen – Eine Buchhandlu­ng im zamonische­n Buchhaim, aus der Graphic Novel zu „Die Stadt der träumenden Bücher“.
© Walter Moers, Florian Biege Wo die Bücher wohnen – Eine Buchhandlu­ng im zamonische­n Buchhaim, aus der Graphic Novel zu „Die Stadt der träumenden Bücher“.

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