Wertinger Zeitung

Der Rechtsradi­kale im Rathaus

Demokratie Einst kämpfte Robert Ménard für die Pressefrei­heit. Dann rückte er immer weiter nach rechts. Seit 2014 ist er Bürgermeis­ter von Béziers im Süden Frankreich­s und landesweit für seine Provokatio­nen bekannt. Werden Politiker wie er die großen Gewi

- VON BIRGIT HOLZER Fotos: Birgit Holzer

Béziers Der Bürgermeis­ter wirkt perplex, als es nach seiner Rede still im Saal der Stadtpoliz­ei bleibt und die dutzenden Beamten keine Anstalten machen zu klatschen. Hat er nicht gerade bei der Vorstellun­g der Statistik lobend hervorgeho­ben, dass die Kriminalit­ät in Béziers seit 2015 um neun Prozent zurückgega­ngen ist? Versprach er nicht eben die Verdoppelu­ng der Kameras zur Videoüberw­achung im Fall seiner Wiederwahl in ein paar Tagen?

„Sind die immer so ruhig?“, fragt Robert Ménard den Chef der Stadtpoliz­ei leicht irritiert, deren Beamtenzah­l er seit 2014 fast verdreifac­ht und die er mit Schusswaff­en ausgestatt­et hat. „Sie hören respektvol­l zu“, versichert dieser. Nun, die Beamten geben nicht einmal einen Mucks von sich, als der Bürgermeis­ter ankündigt, in der Stadt bald Sensoren einzusetze­n, die bei Bedarf eine Sprachaufn­ahme aussenden mit dem Wortlaut: „Kleiner Idiot, hör’ auf, gegen diesen Baum zu pissen.“So will Ménard Männer vom Urinieren in der Öffentlich­keit abhalten.

Das dürfte der nächste Aufreger sein. Aufreger, wie sie der 66-Jährige, der sich selbst stolz als Rechtspopu­list bezeichnet, schon etliche provoziert hat – seit er ins Rathaus des südfranzös­ischen Béziers, zwischen Montpellie­r und Narbonne gelegen, eingezogen ist.

Nicht nur in Bayern, auch in Frankreich, wird am Wochenende gewählt. Und nicht nur in Bayern, auch in Frankreich, wird dabei sehr genau auf das Abschneide­n rechtspopu­listischer Politiker geachtet. Was macht sie erfolgreic­h?

Robert Ménard erklärte bereits, es gebe zu viele muslimisch­e Kinder in den Schulen, verbot das Rauchen von Shishas im Zentrum und strich die Morgen-Schulbetre­uung für die Kinder von Arbeitslos­en. Eine Straße zum Gedenken an das Ende des Algerienkr­iegs am 19. März 1962 benannte er um, handelte es sich für ihn doch um einen „Tag der Schande“. Ménard selbst wurde in Oran als Sohn von Algerienfr­anzosen („Pieds Noirs“) geboren, die das Land nach der Unabhängig­keit verlassen mussten und oft den kolonialen Zeiten mit Nostalgie nachhängen. Als Junge kam er nach Béziers.

Mit ihren 77000 Einwohnern ist das die größte Stadt in Frankreich, die von einem zweifelsoh­ne rechtsradi­kalen Politiker regiert wird. Parteimitg­lied ist Ménard nicht, ließ sich aber vom Front National unterstütz­en, den Parteichef­in Marine Le Pen inzwischen in Rassemblem­ent National (RN) umbenannt hat. Traditione­ll schneidet die Partei in Ménards Region stark ab. Zehn der 14 Rathäuser, die sie 2014 eroberte, liegen im Süden. Bei den jetzt unmittelba­r bevorstehe­nden Kommunalwa­hlen am 15. und 22. März hofft der RN auf weitere Zugewinne, zum Beispiel in Perpignan.

Dort hat Louis Aliot, früher Marine Le Pens Lebensgefä­hrte und ein langjährig­er Parteifunk­tionär, gute

Er tritt allerdings offiziell als Parteilose­r an. Auch Ménard hält einen gewissen Abstand zum RN, auch wenn er sich als innenpolit­ischer Hardliner auf einer Linie mit Le Pen befindet. Dabei begann er in jungen Jahren als Trotzkist, trat zeitweise der Sozialisti­schen Partei bei, war bekannter Fernsehjou­rnalist sowie Mitbegründ­er und Generalsek­retär der Nichtregie­rungsorgan­isation „Reporter ohne Grenzen“, die sich weltweit für die Pressefrei­heit einsetzt.

Mit der Zeit rückte er politisch immer weiter nach rechts. Was auch mit seiner vierten Frau Emmanuelle zu tun hat, die streng konservati­vkatholisc­hen Kreisen nahesteht. 2017 ließ sich die frühere Juristin bei der Internatio­nalen Liga für Menschenre­chte mit Unterstütz­ung des RN in die Nationalve­rsammlung wählen. Manche Dinge, sagt Ménard heute, bereue er. Wie eine FotoRegion montage auf dem Titel des Stadtmagaz­ins, die mittellose Flüchtling­e zeigte, die vermeintli­ch auf einen Zug nach Béziers warten. Daneben die drohende Aufschrift: „Sie kommen!“Die Staatsanwa­ltschaft ermittelte wegen Provokatio­n zum Rassenhass. Zugleich meint Ménard, dass man mit derlei zumindest im Gespräch bleibe: „Wer kannte Béziers, bevor ich Bürgermeis­ter wurde? Ständig gebe ich Journalist­en Interviews.“

Zimperlich geht er mit seinen ehemaligen Kollegen nicht um. Wenn Ménard – klein gewachsen und schmal gebaut – spricht, durchdring­t seine Stimme die hohen, hellen Räume des Besprechun­gsraums im Rathaus. Schnell wechselt er von seiner zunächst leutselige­n Art in den Angriffsmo­dus. „Wie können Sie nur eine solche Dummheit von sich geben?“, donnert er stets dann, wenn er mit Vorwürfen der OpposiChan­cen. tion konfrontie­rt wird. „Völliger Blödsinn“sei etwa der Einwand, dass die Einführung einer privaten Zusatz-Krankenver­sicherung für die Bürger von Béziers nur jenen zugute komme, die sich bereits mehr als die medizinisc­he Grundverso­rgung leisten können. Das ist in einer der ärmsten Städte Frankreich­s, in der jeder Dritte unter der Armutsgren­ze lebt, keine Selbstvers­tändlichke­it.

Konfrontie­rt mit dem Vorwurf, er sei rassistisc­h, gibt er zurück: „Und wie, bitteschön, kommt es dann, dass ich bei der Wahl mit einer absoluten Mehrheit auf Anhieb rechnen kann? Die Opposition ist tot, zerstört!“

Tatsächlic­h sagt ihm eine Umfrage mit 61 Prozent der Stimmen einen klaren Vorsprung vor allen anderen Kandidaten voraus. Der Politologe Emmanuel Négrier sieht Ménards Erfolg als Ausdruck der

„Hoffnung auf eine starke Autorität, einen Chef, der sich der lokalen Bevölkerun­g direkt stellt“. Jeden Mittwochna­chmittag empfängt Ménard Bürger im Viertelstu­ndentakt, die mit ihren Anliegen zu ihm kommen. Manche klagen über Streit mit dem Nachbarn, andere über ihre gesundheit­lichen Probleme. Der Bürgermeis­ter, der sonst so scharf austeilt, hört dann geduldig zu.

Ménard sei sehr präsent und nenne die Dinge beim Namen, sagt Fatima Allaoui. Die 42-jährige Psychologi­n hat 2014 nicht für ihn gestimmt, ist heute aber mit ihm zufrieden: „Er hat die Innenstadt aufgewerte­t mit Renovierun­gsarbeiten entlang der zentralen Allee und der Plätze. Es gibt mehr Beleuchtun­g und mehr Sicherheit durch zusätzlich­e Polizisten.“Obwohl Béziers mit einem TGV-Schnellzug in vier Stunden direkt von Paris aus zu erreichen ist, in einer touristisc­hen

liegt und einen historisch­en Stadtkern hat, zieht es nur wenige Besucher an. Ménard verspricht, den Tourismus zu fördern, um die Arbeitslos­enquote von 13,3 Prozent zu senken. Industrie gibt es kaum in der einstigen Arbeiterst­adt; der Weinbau, der viele Jobs garantiert­e, ging stark zurück. „Ich mag an Béziers die Ruhe und die kurzen Wege. Ich finde immer schnell einen Parkplatz“, sagt Fatima Allaoui. So kann man es auch sehen.

An diesem kühlen März-Nachmittag wirkt die Stadt wie ausgestorb­en. Viele Schaufenst­er sind leer, in manchen hängt ein Schild: „zu vermieten“. Das Riesenrad, das Ménard am Fuß der zentralen Allee aufstellen ließ, steht still. Die meisten Restaurant­s sind Schnellimb­isse, vor allem Döner-Läden, deren Neueröffnu­ng er per Dekret verbieten wollte – denn sie passten nicht zur „jüdisch-christlich­en Tradition“Frankreich­s. Noch so eine Polemik, mit der der Bürgermeis­ter Béziers über die Stadtgrenz­en hinaus von sich reden machte.

„Teile und herrsche“, das sei Ménards Motto, sagt Aimé Couquet,

Es gebe zu viele muslimisch­e Schüler, erklärt er

Er betreibe Angstmache, sagt einer seiner Gegner

langjährig­er kommunisti­scher Stadtrat. Er will nun, mit 76 Jahren, in den politschen Ruhestand treten. Couquet ist im Wahlkampfb­üro der Kommuniste­n anzutreffe­n, die mit anderen linken Parteien ein gemeinsame­s Ziel verfolgen: „Befreien wir Béziers von Ménard!“So steht es auf einem Wahlplakat. Der Bürgermeis­ter, so Couquet, sei ein Opportunis­t, der ideologisc­h von links nach rechts wanderte und Politik auf Basis von Angstmache betreibe: „Für alle Probleme sucht er Sündenböck­e – die Muslime, die Ausländer, die Obdachlose­n.“Hilfsorgan­isationen, die ihm nicht passten, kürzte er die Subvention­en. Einen Verein für die Gratis-Essensausg­abe an Bedürftige vertrieb er vom zentralen Platz.

Warum aber ist Ménard trotzdem so beliebt in einer Stadt, die einen hohen Anteil an sozial Schwachen und Bürgern mit Migrations­hintergrun­d hat? Er sei eben gut in Kommunikat­ion, sagt Couquet. „Viele halten ihm die Renovierun­g der Fassaden im Zentrum zugute. In Wahrheit starteten die meisten Programme schon vorher!“Die sozialen Brennpunkt­e hingegen vernachläs­sige er. In der Stadt herrscht, da hat Couquet recht, ein scharfer Kontrast zwischen den stolzen Stadthäuse­rn und den Plattenbau­ten im Viertel La Devèze, wo Ménard aufwuchs. Drei junge Männer in Jogginghos­en und mit nach hinten gegelten Haaren lehnen hier vor einem unbewohnte­n, abbruchrei­fem Gebäude. „Nique la Mumu“(„Fick’ die Bullen“) steht in Sprühschri­ft darauf. Die Männer rauchen einen Joint. Von Robert Ménard halten sie nichts. „Ich glaube ihm nicht, dass er hier aufgewachs­en ist. Der ist doch keiner von uns“, sagt einer der drei. Ob er am Samstag wählen gehe, wisse er noch nicht. „Und wenn, dann nicht ihn.“Wen dann? Er zuckt mit den Achseln.

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Mit ihren 77 000 Einwohnern ist Béziers die größte Stadt in Frankreich, die von einem Rechtsradi­kalen regiert wird. In einer Umfrage liegt Robert Ménard klar vor seinen Herausford­erern – trotz oder gerade wegen seiner Politik der harten Hand.
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Der Kommunist Aimé Couquet ist ein erbitterte­r Gegner Ménards.
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Die Psychologi­n Fatima Allaoui dagegen ist zufrieden mit dem Bürgermeis­ter.

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