„Unser neues Leben (fast) ohne Plastik“
Hausbesuch Der Umwelt zuliebe versuchen die Kesslers aus Meitingen, auf Kunststoff zu verzichten. Hier erzählen Nicole und Johannes Kessler vom Alltag der jungen Familie
Journalisten, die sich bei Ihnen zu Hause umsehen? Dieser Gedanke war Nicole und Johannes Kessler anfangs gar nicht geheuer. Aber schließlich haben Sie sich doch entschieden, die Heimatzeitung ins Haus zu lassen. Was an den Kesslers so interessant ist? Sie versuchen, plastikfrei zu leben. Hier schildern sie ihren Alltag.
Meitingen Alles begann mit Madeleines Geburt im Jahr 2016. Es zog nicht nur neues Leben bei uns ein, sondern auch ein stärkeres Bewusstsein für die Umwelt. Wir hatten zwar davor auch so manches getan, um unseren ökologischen Fußabdruck gering zu halten (zum Beispiel Glasflaschen, regionale Produkte), jedoch war nun der Ansporn größer geworden. Nicht eisern, sondern nach und nach haben wir also zu Hause vieles ausprobiert, manches wieder verworfen und einiges umgestellt. Uns war wichtig: Es sollte auch Spaß machen und keinen großen finanziellen Mehraufwand bedeuten.
Angefangen haben wir im Badezimmer. Shampoo, Duschgel und Körperlotionen in Plastikflaschen wurden aufgebraucht und nicht nachgekauft. Stattdessen benutzen wir Seifen und Öle in Glasflaschen. Vor ein paar Monaten haben wir sogar Zahncreme in der Tube aus Zuckerrohr eines Tapfheimer Unternehmers für uns entdeckt. Da wir alle empfindliche Haut haben, kaufen wir ausschließlich Naturkosmetikprodukte (leider teilweise noch in Plastikbehältnissen).
Im Jahr 2016 beobachteten wir entzückt, wie unser Töchterchen Madeleine wächst, und sahen auch die noch schneller wachsenden Müllberge. Wegwerfwindeln, Feuchttücher, Schnuller, Plastikspielzeug etc. Zugegeben: Nicht alles lässt sich vermeiden. Aber Feuchttücher und Schnuller haben wir zum Beispiel nie gekauft. Weder für Madeleine noch für unsere zweite Tochter Josepha (geb. Sept. 2019). Die Babyausrüstung (Kleidung, Kindertrage) haben wir gebraucht von Freunden bekommen oder gebraucht erworben. Im Stubenwagen lag bereits der Papa als Baby drin, im Kinderwagen die Mama, und der Hochstuhl stammt sogar noch aus Omas Kindheit. Wir nennen das nicht altbacken, sondern Retro, und erfreuen uns daran, dass wir Geld und Ressourcen gespart haben. Bisher mussten wir kaum Neues für die Kinder erwerben.
Auch wenn Madeleine bereits selbst auswählt, was sie anzieht, gelingt es uns (noch), sie mit Secondhandkleidung glücklich zu machen.
Wenn man auf dem Flohmarkt oder im Internet etwas zauberhaftes Gebrauchtes in der passenden Größe und dazu noch preiswert entdeckt, erzeugt das bei uns Mädels in der Familie Glücksgefühle. Natürlich kaufen wir auch manches neu, achten hierbei dann aber auf Merkmale wie Qualität und Produktionsland. In der Küche haben wir seit 2016 so einiges umgestellt. Beschädigte alte Plastikschüsseln wurden durch Edelstahl und Emaille ersetzt. Am Esstisch kommen bei uns Stoffservietten statt Papierservietten zum Einsatz und statt Papierküchenrollen verwenden wir Stofftüten Dem Bäcker und dem Gemüsehändler halten wir meistens unsere Baumwolltasche unter die Nase, und der Metzger freut sich darüber, Verpackung zu sparen, wenn wir dort mit unseren Edelstahlschüsseln einkaufen. Bei unserem Lieblingswirt wird man bei der telefonischen Essensbestellung sogar gefragt, ob man bei der Abholung eigene Schüsseln mitbringt oder nicht.
Vieles kann man im Glas kaufen wie Milch, Joghurt, Sahne. Einiges kann man auch ohne großen Aufwand und günstiger selbst herstellen. Vanillezucker, Backpulver, Frischkäse und Obazda zum Beispiel. An der Herstellung von Butter und Veggie-Salami haben wir uns auch bereits probiert. Beides blieb jedoch bei Versuchen. Manches ist eben für uns nicht alltagstauglich. Einen weiteren Beitrag zum Umweltschutz leisten wir, indem wir gar kein bzw. wenig Fleisch essen. Bereits seit Teenagerzeiten verzichte ich, Nicole, auf Fleisch. Dies war damals für das Umfeld noch sehr exotisch. Insbesondere nachdem ich auf dem Land groß geworden bin. Aber ich habe trotzdem überlebt, bin gesund und munter und kenne nun alle Pflanzenfresser-Witze. Von unserem eigenen Gemüse- und Salatanbau werden wir noch nicht satt. Fürs nächste Jahr haben wir uns allerdings schon vorgenommen, erneut einige Pflänzchen zu setzen. Dagegen haben wir mit unserer Tierhaltung mehr Glück. Im Jahr 2017 haben wir (Schwieger-)Papas Hühnerschar aufgekauft und musscher.
seitdem keinerlei Eier mehr dazukaufen. Die Hühner waren uns sicher auch dankbar, wären sie sonst wohl im Kochtopf gelandet, nachdem (Schwieger-)Papa seine MiniGeflügelfarm aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr betreiben konnte. Auch den Großteil unseres Putzmittels stellen wir preiswert und schnell selbst her (der einzige Mann mit Glatze und Sixpack, der bei uns ins Haus darf, ist Bruce Willis und nicht etwa ein putzsüchtiger durchtrainierter Meister). Spülmittel ist ebenso zügig zusammengemischt. Lediglich an der passenden Konsistenz haben wir eine Weile herumgefeilt. Beim Kauf von neuen Elektrogeräten setzen wir auf Qualität und Langlebigkeit (das Handy von mir, Nicole, ist mit 14 Jahren immer noch im Einsatz). Schon (Schwieger-)Mama, die im Elektrogeschäft arbeitete, prägte uns mit dem Satz: „Ich habe nicht so viel Geld, dass ich mir was Billiges kaufen kann.“So geben wir lieber etwas mehr Geld für Qualität aus und warten nach Möglichkeit mit der Anschaffung, bis wir das Geld angespart haben. Die Küchenmaschine war zum Beispiel so eine lange durchdachte und exklusivere Anschaffung.
Auch mit der vor einem guten Jahr nach langem Überlegen angebrachten PV-Anlage sind wir sehr zufrieden. So produzieren wir den Großteil unseres Stroms selbst und speisen an guten Tagen auch ein.
Seitdem wir uns intensiver dem Umweltschutz gewidmet haben, sind wir auch regelmäßig an Infoständen des Plastikfrei-Stammtisches anzutreffen. Es macht immer wieder Spaß, sich mit anderen Menschen über das Thema Plastikfrei zu unterhalten, selbst neue Anregungen zu bekommen und mittlerweile sogar einen regen Tausch ins Rollen gebracht zu haben (unsere Währung sind Hühner- und Wachteleier).
Es ist uns wichtig zu betonen, dass unserer Meinung nach 100 Prozent plastikfrei in naher Zukunft (noch) nicht umsetzbar ist. Wir selbst sind auch noch meilenweit entfernt, uns Plastikfrei-Experten zu nennen. Nachdem wir des Öfteren von mehreren Bekannten neben altem Brot und Salat für die Hühner auch abgelaufene, aber noch essbare Lebensmittel zum Großteil in viel Plastik verpackt bekommen, ist unser Gelber Sack auch immer gut voll. Dennoch sind wir ein bisschen stolz darauf, unseren vormaligen gigantischen ökologischen Fußabdruck zwischenzeitlich gut reduziert zu haben.