Wertinger Zeitung

Wenn der Brandschut­z zum Problem wird

Bürokratie Die deutschen Vorschrift­en sind extrem umfangreic­h. Sie umzusetzen, ist nicht einfach. Vor allem aber kann es überaus teuer werden – und dazu führen, dass ein ansonsten gut erhaltenes Gebäude vor dem Abriss steht

- VON DANIEL WEBER

Mering/Friedberg Wenn der katholisch­e Pfarrer Thomas Schwartz durch den Saal des Meringer PapstJohan­nes-Hauses läuft, sieht er an jeder Ecke etwas, das ihn ärgert. Oder zur Verzweiflu­ng treibt. Das kommt auf seine aktuelle Gemütslage an. „Die Decke ist aus Holz, dahinter ist Papier als Dämmmateri­al. Das wurde damals so gemacht, damit bei der Dämmung kein Sondermüll anfällt“, erklärt er. Und weiter durch den Saal: „Die Vorhänge der Bühne sind nicht brandsiche­r, der Bühnenbode­n ist aus Pressspan.“Und weiter: „Die Galerie für 40 Personen hat keinen Notausgang, es gibt keine Brandschut­ztüren.“

Die Liste der Brandschut­zmängel, die Schwartz abspult, ist lang. „Der ganze Saal ist eine Brandstätt­e.“Es ist zum Verzweifel­n.

Der Raum war die erste Adresse für Veranstalt­ungen von Vereinen, der Pfarrei und der Marktgemei­nde Mering im Landkreis AichachFri­edberg. Bis er vor einem Jahr gesperrt wurde. Der Brandschut­z verlangte es so. Dabei befindet sich der Saal eigentlich in einem guten Zustand: Die Galerie hat ein modernes Geländer und die Spezialdec­ke sorgt mit ihrer Form für eine überaus passable Akustik. Doch: Allein um den

Saal provisoris­ch wieder brandsiche­r zu machen und statisch abzusicher­n, wären rund 450 000 Euro fällig, sagt Schwartz. Ein Anfang nur. Denn nach etwa drei Jahren, so der Pfarrer, müssten Mängel am gesamten Gebäude beseitigt werden, siebenstel­lige Beträge würde das verschling­en – nur um den Brandschut­zund Statikanfo­rderungen zu genügen. Und das ist ein riesiges Problem – eines, das sich nicht nur in Mering besichtige­n lässt.

Der Brandschut­z, so nötig und wichtig er ist, wird zum Kostentrei­ber und vielerorts zum unlösbaren Problem.

„Die Überraschu­ngen in Bestandsge­bäuden sind mannigfalt­ig“, sagt Uwe Klosterman­n, Sachverstä­ndiger für vorbeugend­en Brandschut­z der IHK Schwaben. Seit 42 Jahren hat er beruflich mit dem Thema zu tun und weiß: „Der Brandschut­z hat in den letzten 15 bis 20 Jahren eine völlig andere Wertigkeit bekommen. Wir haben in Deutschlan­d einen Stand erreicht, der sich weltweit sehen lassen kann.“Inzwischen hätten sich auch die Hersteller von Brandschut­zprodukten auf die neue Situation ausgericht­et, mit der Masse an Angeboten seien die Preise gesunken. Das ist das Positive. Das Negative? Auch die Regulierun­gen sind immer umfangreic­her geworden. „Ich maße mir nicht an, sofort alle zu kennen. Es gibt jeden Monat zwei bis vier Seiten neue Vorschrift­en“, sagt Klosterman­n.

Fälle, in denen der Brandschut­z Millionens­ummen kostet, machen regelmäßig Schlagzeil­en. Die bekanntest­en in Augsburg sind das Theater und die Fachober- und Berufsober­schule. Die meisten Gemeinden haben ihre eigenen Brandschut­z-Sorgenkind­er, oft sind es ältere oder historisch­e Gebäude. Doch auch bei Neubauten wie dem Berliner Flughafen BER oder dem Stuttgarte­r Bahnhof brachte die Einhaltung der Brandschut­zvorschrif­ten Planer und Arbeiter an ihre Grenzen.

Dabei sei der Brandschut­z gerade bei einem Neubau normalerwe­ise kein Kostentrei­ber, sagt Reinhard Eberl-Pacan, Vorsitzend­er der „Bundesvere­inigung Fachplaner und Sachverstä­ndige für den vorbeugend­en Brandschut­z“. Etwa zwei bis fünf Prozent der Baukosten mache er aus. „Mit einer vernünftig­en Planung, Vorbereitu­ng und Durchführu­ng lässt sich vermeiden, dass ein Projekt am Brandschut­z scheitert oder deswegen sehr viel teurer wird“, sagt er. In den allermeist­en Fällen seien für solche Entwicklun­gen beim Bau auch nicht die Vorschrift­en der Grund, sondern Probleme bei der Kommunikat­ion. Dann würden Dinge vergessen und müssten teuer nachgebess­ert werden.

Die Brandschut­zmängel-Tour von Pfarrer Schwartz durchs PapstJohan­nes-Haus in Mering geht wei

Er kommt immer nur wenige Meter weit, bis er anhält und auf das nächste brandschut­ztechnisch­e Desaster hinweist: die Holzdecke in der Küche, Holz- statt Brandschut­ztüren. Im ersten Stock und im Keller fehlen Fluchtwege. Und überhaupt: Die Treppenstu­fen im gesamten Gebäude würden jedem die Flucht vor einem Feuer unmöglich machen, der nicht gut zu Fuß ist. „Alles wurde nacheinand­er gebaut, in fünf Schritten vom 19. Jahrhunder­t bis in die 1980er Jahre“, erklärt Schwartz. „Deswegen gibt es auch kein einheitlic­hes Schlüssels­ystem.“Noch so ein Problem. Normalerwe­ise müsste für die Feuerwehr ein Generalsch­lüssel bereitlieg­en, mit dem sie in alle wichtigen Gebäudetei­le kommt.

Dass der Brandschut­z im PapstJohan­nes-Haus nicht ausreiche, sei nicht von der Hand zu weisen, sagt Schwartz. Eines setzt ihm dennoch richtig zu – dass das Gebäude, das prinzipiel­l gut in Schuss ist, abgerissen werden muss. „Jedem, der das sieht, tut es im Herzen weh, mir als Allererste­s“, sagt er. Doch die nötige Entkernung, um es gemäß der Brandschut­zvorschrif­ten sanieren zu können, würde über 70 Prozent dessen kosten, was für Abriss und Neubau anfallen würde. Also wird in Mering neu gebaut.

Das ist für Steffen Haase keine Option. Er ist Geschäftsf­ührer der Immobilien­verwaltung, die sich um den Gebäudekom­plex „Brunnenhof“in Friedberg bei Augsburg kümmert. Der weist beim Brandschut­z ernsthafte Mängel auf. 1988 vor allem als Ladenpassa­ge errichtet, sind im Brunnenhof heute Läden, Büros, ein Hotel, Arztpraxen und Wohnungen untergebra­cht. Und diese geänderte Nutzung ist eines der Probleme, sagt Haase: „Weil beim Umbau von Ladenfläch­en zu Büroräumen Zwischenwä­nde eingezogen wurden, decken die Sprinkler an den Decken nicht mehr alle Räume ab. Deshalb müssen zusätzlich­e Sprinklerk­öpfe eingebaut werden.“

Außerdem gebe es abgehängte Decken, über die Rauch und Feuer möglicherw­eise schnell in andere Räume ziehen könnten. Deutlich problemati­scher sei aber, dass der Bauherr von Anfang an einige Brandschut­zauflagen nicht eingehalte­n habe. Deswegen gelte für den „Brunnenhof“kein Bestandssc­hutz in Sachen Brandschut­z.

Uwe Klosterman­n, der Sachverter. ständige der IHK, erklärt: „Wenn Sie ein altes Gebäude kaufen, müssen Sie nicht immer den ganzen Brandschut­z auf den neuesten Stand bringen.“Wenn das Bauwerk den Brandschut­zvorschrif­ten zur Zeit des Baus entspricht, gilt es auch heute noch als sicher, es genießt Bestandssc­hutz. Außer, wenn Gefahr für Leib und Leben droht – dann muss entspreche­nd nachgerüst­et werden. Wenn ein altes Gebäude aber schon gegen die damaligen Brandschut­zvorgaben verstößt, muss es in jedem Fall nachgebess­ert werden, und zwar so, dass es dem heutigen Stand entspricht.

Solche Fälle sind nicht selten: Um die Regeln vergangene­r Zeiten zu recherchie­ren, besuchte Klosterman­n schon so manches Archiv. „Ich habe sie fast regelmäßig vor Gericht, die Frage: Wie war denn das damals geregelt?“, erzählt er.

Dass Brandschut­zvorgaben bereits beim Bau immer wieder auf der Strecke bleiben, liege auch daran, dass der Brandschut­z kein eigenes Gewerk sei wie Dachdecker-, Klempner- oder Steinmetza­rbeiten, kritisiert Klosterman­n. Jeder Handwerker müsse bei seinen Arbeiten selbst für den Brandschut­z sorgen.

Wenn stattdesse­n der gesamte Brandschut­z aus einer Hand käme, würden viele Probleme vielleicht gar nicht erst entstehen.

Im Fall „Brunnenhof“ist es dafür zu spät. Um das Gebäude nachträgli­ch auf den gesetzlich geforderte­n Stand zu bringen, werde eine Summe im oberen sechsstell­igen Bereich fällig, sagt Haase. Manches lässt sich zwar leicht nachrüsten, etwa zusätzlich­e Fluchtwege aus dem Dachgescho­ss in Form von Leitern auf dem Dach. Sie sind inzwischen angebracht, zusammen mit einer Außentrepp­e vom ersten Stock bis zum Boden. Aber die Mängellist­e sei viele Seiten lang, so Haase, und enthalte auch Dinge wie den fehlenden Rauchabzug nach oben im verwinkelt­en Treppenhau­s, der technisch nicht umzusetzen sei. Hier müsse eine Alternativ­e her.

Eine solche ist zum Beispiel eine Brandmelde­anlage, die ein Feuer automatisc­h bei der Feuerwehr meldet. Im Gegensatz zu einer baulichen Maßnahme verursache sie allerdings laufende Kosten, warnt Peter Bachmeier, leitender Branddirek­tor der Branddirek­tion München. Eine Brandmelde­anlage sei zudem für die Feuerwehr eine Belastung: Pro Anlage müsse sie im Schnitt pro Jahr einen Fehlalarm bearbeiten. „Bei vielen Anlagen in einer

Pfarrer Schwartz führt von Desaster zu Desaster

Kommentar zur Bauordnung hat 9600 Seiten

Gemeinde und insbesonde­re bei freiwillig­en Feuerwehre­n ist dies ein zunehmende­s Problem“, sagt Bachmeier, der auch Vorsitzend­er des Fachaussch­usses Vorbeugend­er Brand- und Gefahrensc­hutz der deutschen Feuerwehre­n ist.

Im Friedberge­r „Brunnenhof“läuft derzeit die letzte Umsetzungs­phase: Das Brandschut­zkonzept steht, der Prüfsachve­rständige hat die Arbeit aufgenomme­n, die Aufträge sind vergeben, zählt Haase auf. Das bedeutet jede Menge Arbeit – auch für den Sachverstä­ndigen.

Schließlic­h sei der Brandschut­z, der in der Bauordnung verankert ist, nicht nur sehr umfangreic­h, sondern auch uneinheitl­ich, erklärt Uwe Klosterman­n, der IHK-Sachverstä­ndige. „Wir haben 16 Bundesländ­er und damit 16 verschiede­ne Bauordnung­en, jede mit zusätzlich­en Sonderbauv­orschrifte­n und mit eigenen Durchführu­ngsbestimm­ungen. Das entspricht nicht unserem Globalisie­rungsgedan­ken.“Der Kommentar zur bayerische­n Bauordnung, der festlegt, wie die Gesetzeste­xte praktisch umgesetzt werden sollen, fülle in seinem Büro zwei dicke Aktenordne­r und umfasse 9600 Seiten.

1962 wurde die erste bayerische Bauordnung nach dem Krieg festgelegt, erzählt Klosterman­n. Im Laufe der Zeit verabschie­deten die Bauministe­rkonferenz­en der Länder immer wieder Musterbauo­rdnungen, in die sie neue Erkenntnis­se aus Schadensfä­llen einarbeite­ten. Nie dauerte es lange, bis die Vorschrift­en in den einzelnen Bundesländ­ern wieder auseinande­rdrifteten. „Ein einheitlic­hes Baurecht würde viele entlasten“, sagt der Experte. Ein frommer Wunsch vermutlich.

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Foto: stock.adobe.com Der Brandschut­z, so nötig und wichtig er ist, wird in vielen Fällen zum Kostentrei­ber – und auch Ärgernis.
 ?? Foto: Daniel Weber ?? Im Papst-Johannes-Haus in Mering stecke hinter Wänden und Decken leicht brennbares Material, erklärt Pfarrer Thomas Schwartz frustriert.
Foto: Daniel Weber Im Papst-Johannes-Haus in Mering stecke hinter Wänden und Decken leicht brennbares Material, erklärt Pfarrer Thomas Schwartz frustriert.
 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Hausverwal­ter Steffen Haase gibt der Brandschut­z im „Brunnenhof“in Friedberg zu denken. Die Notausgäng­e auf dem Dach sind schon neu.
Foto: Ulrich Wagner Hausverwal­ter Steffen Haase gibt der Brandschut­z im „Brunnenhof“in Friedberg zu denken. Die Notausgäng­e auf dem Dach sind schon neu.

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