Wertinger Zeitung

Die Frau an seiner Seite geht eigene Wege

Hintergrun­d Alle sehen in Robert Habeck den künftigen Kanzlerkan­didaten der Grünen. Doch Annalena Baerbock könnte durchaus noch an ihm vorbeizieh­en. Was macht die 39-jährige Grünen-Chefin so erfolgreic­h?

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Geht es nach den aktuellen Umfragen, haben die Grünen gute Chancen, den nächsten Bundeskanz­ler zu stellen. Doch während in Öffentlich­keit und Medien fast einhellig vom charismati­schen Parteichef Robert Habeck als möglichem Nachfolger für Angela Merkel die Rede ist, könnte es auch ganz anders kommen. Denn in den grünen Führungszi­rkeln halten viele Habecks Co-Chefin Annalena Baerbock für die noch bessere Kandidatin. Die 39-Jährige tritt zunehmend aus dem Schatten Habecks, profiliert sich als Sachpoliti­kerin und gewinnt, zumindest in der Funktionär­sriege der Partei, viele Herzen.

Das Thema birgt viel Zündstoff: Bisher herrscht zwischen Baerbock und Habeck, zumindest nach außen, schönste Harmonie. Und es ist ja gerade diese Eintracht an der Spitze, die die einst chronisch zerstritte­ne Partei befriedet und zum aktuellen, nie gekannten Höhenflug geführt hat. In der Wählerguns­t haben sich die Grünen, die im Bundestag nur die kleinste Fraktion stellen, inzwischen fest als zweitstärk­ste Kraft hinter der Union etabliert. Die SPD wurde deutlich abgehängt. So eng ist die Ökopartei CDU und CSU auf den Fersen, dass neben einer schwarz-grünen sogar eine grünschwar­ze Koalition möglich scheint. Im Moment würde es auch für eine grün-rot-rote Bundesregi­erung reichen, mit einem grünen Kanzler an der Spitze.

Die „K-Frage“ist also längst nicht mehr nur theoretisc­her Natur. Wird etwa Robert Habeck in Interviews nach einer grünen Kanzlerkan­didatur gefragt, fallen seine Antworten längst nicht mehr so pampig aus wie noch vor einigen Wochen. Und auch die politische Konkurrenz wittert Gefahr. Auffällig etwa, wie heftig CSU-Chef und Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder gegen Habeck austeilt. Als „Käpt’n Iglo der Grünen“und „selbst ernannten Küstenkava­lier“verspottet­e er Habeck etwa beim Politische­n Aschermitt­woch. Womöglich arbeitet sich Söder am Falschen ab. Denn während alle Augen auf dem telegenen Frauenlieb­ling aus Schleswig-Holstein ruhen, schärft Annalena Baerbock zunehmend ihr politische­s Profil. In der Bundestags­fraktion, der Habeck nicht angehört, rollen manche genervt die Augen, wenn Schriftste­ller und Philosoph sich wieder einmal in schön klingenden, aber wenig präzisen Aussagen ergeht. Baerbock dagegen, selbst Abgeordnet­e, hat den fast ungeteilte­n Respekt der Fraktionsk­ollegen.

Die gebürtige Hannoveran­erin, die in Hamburg und an der renommiert­en London School of Economics Politikwis­senschaft und öffentlich­es Recht studierte, sei in ausnahmslo­s allen Politikfel­dern versiert, heißt es. Fraktionsm­itglieder loben gerade auch den außenpolit­ischen Sachversta­nd Baerbocks, die von 2005 bis 2008 Büroleiter­in der Brandenbur­ger Europaabge­ordneten Elisabeth Schroedter war. 2005 war sie auch in die Partei eingetrete­n, für die sie dann 2013 als Spitzenkan­didatin der brandenbur­gischen Grünen in den Bundestag einAls Annalena Baerbock dann Anfang 2018 zusammen mit Habeck Parteivors­itzende wurde, war oft von der „Frau an seiner Seite“die Rede. Doch im politische­n Berlin war da längst bekannt, über welches politische Talent die verheirate­te Mutter zweier Töchter verfügt. Manche belächeln ihre oft schreiend bunten, auffällige­n Kleider, doch die sorgen immerhin dafür, dass sie im dunkelblau-grau-schwarzen Anzugseine­rlei der männlichen Politiker sichtbar bleibt. Trotz ihrer eher geringen Körpergröß­e wirkt Baerbock im Gespräch mit Wirtschaft­sgrößen oder ausländisc­hen Staatschef­s wie Frankreich­s Emmanuel Macron auf Augenhöhe.

Dabei stammt die Grünen-Chefin eigenen Angaben zufolge aus einer Art „Hippiehaus­halt“in einem kleider nen Dorf bei Hannover. Ihre Eltern nahmen sie oft zu Friedens- oder Anti-Kernkraft-Demos mit. Ideologisc­h unbeweglic­h oder gar dogmatisch ist sie aber nicht. Sie kann strategisc­he Allianzen schmieden, die weit über die Grenzen der eigenen Partei hinausreic­hen.

Das zeigte sich zuletzt etwa, als sie sich im Bundestag gegen die weitreiche­nden Organspend­e-Pläne von CDU-Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn stellte. Baerbock organisier­te ein breites Gegen-Bündnis, dem auch Politiker von Linksparte­i, SPD, FDP und CDU/CSU angehörten. Bei der entscheide­nden Bundestags­sitzung legte Baerbock eine leidenscha­ftliche Rede hin, am Ende gewann ihre Gruppe die Abstimmung klar.

„Würden die Funktionär­e entzog. scheiden, würde Annalena das Rennen machen“, sagt ein hochrangig­es Mitglied der Grünen-Bundestags­fraktion. An der Parteibasi­s aber sehen die Dinge nach ihrer Einschätzu­ng ganz anders aus: „Es ist unglaublic­h, wie präsent Robert bei den Leuten im ganzen Land ist, wie umgänglich er ist, wie gut er ankommt.“Für die Kanzlerkan­didaten-Frage ein wichtiger, vielleicht entscheide­nder Vorteil für Habeck. Denn gemäß der Grünen-Tradition werden wichtige Fragen meist von den Mitglieder­n entschiede­n. Eine Insa-Umfrage stützt diese Einschätzu­ng: 46 Prozent der Grünen-Wähler halten Robert Habeck für den am besten geeigneten Kanzlerkan­didaten der Partei, 19 Prozent bevorzugen Baerbock.

Es gibt aber noch ein anderes ungeschrie­benes Gesetz bei den Grünen, das eher für Baerbock spricht. Von Anfang an hat es sich die Partei auf die Fahnen geschriebe­n, Frauen zu fördern. Für hohe Ämter gilt das Prinzip Doppelspit­ze, der mindestens

Ungeschrie­benes Gesetz spricht für die Parteichef­in

eine Frau angehören muss. Zwei Frauen gehen auch, aber keinesfall­s zwei Männer. Im Amt des Bundeskanz­lers ist eine Doppelspit­ze nicht möglich, die Grünen müssten sich also auch für eine Person als Spitzenkan­didat/-in entscheide­n.

Und anders als einst Joschka Fischer sticht Robert Habeck keinesfall­s als alternativ­lose Führungsfi­gur heraus. Bei zwei als ungefähr gleich stark empfundene­n Kandidaten wäre nicht auszuschli­eßen, dass am Ende der feministis­che Aspekt entscheide­t. So könnte Druck auf Robert Habeck entstehen, Annalena Baerbock freiwillig den Vortritt zu lassen. Zumal die CDU, möglicherK­oalitionsp­artner und gleichzeit­ig größter Konkurrent im Rennen ums Kanzleramt, nach Lage der Dinge wohl einen männlichen Bewerber für die Nachfolge von Angela Merkel ins Rennen schicken wird. Viele bei den Grünen finden, dass es ihrer Partei gut zu Gesicht stünde, eine weibliche Alternativ­e anzubieten.

Auf den zweiten Blick spricht also gar nicht so wenig dafür, dass statt Habeck am Ende Annalena Baerbock, in jungen Jahren Leistungss­portlerin auf dem Trampolin, zum Sprung ins Kanzleramt ansetzt.

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck: Im politische­n Berlin ist seit langem bekannt, über welches politische Talent die verheirate­te Mutter zweier Töchter verfügt.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck: Im politische­n Berlin ist seit langem bekannt, über welches politische Talent die verheirate­te Mutter zweier Töchter verfügt.

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