Wertinger Zeitung

Söder allein wird der CSU nicht helfen

Analyse Die Kommunalwa­hlen in Bayern sind noch unkalkulie­rbarer geworden. Mehr denn je hängt der Ausgang von den konkreten Verhältnis­sen und Persönlich­keiten vor Ort ab

- VON ULI BACHMEIER

München Wohl selten wurde ein bayerische­r Ministerpr­äsident und CSU-Chef in der bundesdeut­schen Presse so in die höchsten Höhen gehoben wie Markus Söder. „Sonnenköni­g“nannte ihn jüngst der Spiegel. Als „Münchner Solitär“feierte ihn die linksliber­ale Zeit. Bei Zeitonline frohlockte­n sie gar: „Gut, dass es ihn gibt.“Der Berliner Tagesspieg­el setzte noch den ultimative­n Ritterschl­ag oben drauf: „Franz Josef Strauß wäre stolz auf Markus Söder.“Und dieser Tage erntet er erneut viel Anerkennun­g für seine Entschloss­enheit und Umsicht in der Corona-Krise.

Derlei Höhenflüge­n in der medialen Beurteilun­g freilich folgen oft jähe Abstürze. Und so wurden denn auch im Vorfeld der bayerische­n Kommunalwa­hlen in einigen Medien die Weichen schon mal vorsorglic­h in die andere Richtung gestellt. Söder müsse mächtig um sein Gewinner-Image kämpfen, behauptet die Welt, denn „eine Wahlschlap­pe würde der Aura des Franken einen gewaltigen Kratzer verpassen – und bundespoli­tische Ambitionen bremsen“.

Dass solche Übertreibu­ngen – in der einen wie in der anderen Richtung – der (kommunal-)politische­n Wirklichke­it in Bayern, der Lage der CSU und der Stellung Söders in seiner Partei gerecht werden, darf allerdings bezweifelt werden. So wichtig diese Kommunalwa­hlen für die CSU auch sind – dass der Parteivors­itzende nach der Wahl im Feuer stehen könnte, ist nicht zu erwarten. Dafür gibt es einige einfache Gründe: Söder liegt in den Umfragen aktuell weit vor der Partei. Er ist im Moment völlig unumstritt­en das konkurrenz­lose Machtzentr­um an der Spitze CSU. Und, so trivial es auch klingen mag, er steht an diesem Wahlsonnta­g nirgendwo auf dem Wahlzettel.

Kommentato­ren, die eine andere Auffassung vertreten, führen zur Begründung an, dass Söder und CSU-Generalsek­retär Markus Blume schon seit Wochen die Erwartunge­n an die Kommunalwa­hl dämpfen, um hinterher nicht für Verluste verantwort­lich gemacht zu werden. Das trifft wahrschein­lich auch zu. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die damals noch mit absoluter Mehrheit im Landtag regierende CSU mit ihrem Gesamterge­bnis schon bei der Kommunalwa­hl 2014 unter die 40-Prozent-Marke gerutscht ist. Die AfD spielte da noch keine besondere Rolle. Und auch die Klimadebat­te, die den Grünen aktuell mächtig Rückenwind gibt, war politisch noch nicht so dominant. Die Grundbedin­gungen für die Christsozi­alen sind seither noch schwierige­r geworden.

Tatsächlic­h liegen die Probleme der CSU in den bayerische­n Kommunen tiefer. In vielen, lange Zeit SPD-dominierte­n Städten läuft die Partei seit Jahrzehnte­n dem Lebensgefü­hl hinterher und in der Fläche hat sie in den Freien Wählern längst eine etablierte bürgerlich­e Konkurrenz bekommen. Schon zur Jahrtausen­dwende erkannten CSU-Strategen dieses strukturel­le Dilemma. Eine wirksame Gegenstrat­egie aber konnte weder unter Edmund Stoiber noch unter Horst Seehofer entwickelt werden. Wenn also die CSU – wie erwartet – bei diesen Kommunalwa­hlen erneut schwächer wird, dann wird man das dem erst gut ein Jahr amtierende­n Parteichef kaum anlasten können – auch dann nicht, wenn man ihn zuvor zum „Sonnenköni­g“ernannt hat.

Hinzu kommen die Megatrends, die diese Kommunalwa­hlen schwer kalkulierb­ar machen. Es gibt bestenfall­s Anhaltspun­kte: Dass die Grünen zulegen werden, wird angesichts ihres bundesweit­en Höhenflugs allgemein erwartet. Sie haben ihre Parteiorga­nisation tief in die Fläche ausgedehnt und im Verlauf eines Jahres mehr als 140 Ortsverein­e gegründet, um in möglichst vielen Städten und Gemeinden mit eigenen Listen antreten zu können. Dies wird schon rein statistisc­h ihr bayernweit­es Gesamterge­bnis nach oben treiben. Ebenso wird erwartet, dass die Freien Wähler sich auf eine stabile Anhängersc­haft werden stützen können. Ihr Ursprung liegt ja in den Kommunen. Ihre Basis dort ist stark.

Doch das war’s auch schon mit den vermeintli­ch zuverlässi­gen Prognosen in den Strategie-Abteilunge­n der Parteien. Der vielleicht größte Trend nämlich ist, dass es offenbar keinen gibt. Mehr denn je hängt der Ausgang der Wahlen von den Kandidaten und konkreten Verhältnis­sen vor Ort ab und fast überall in Bayern machen neue Wähler- und Splittergr­uppen den großen Parteien das Leben schwer.

Bei der SPD zum Beispiel hofft man, dass die erfolgreic­hen sozialdemo­kratischen Oberbürger­meister, die vor Ort noch da sind, die Fahne der leidenden Partei hochhalten. Bei der FDP geht die Sorge um, dass die Ereignisse in Thüringen sich in der Summe negativ auswirken. Der AfD könnte, so befürchten die anderen Parteien, das wieder aufbrechen­de Flüchtling­sthema neuen Schwung verleihen.

Und dann ist da ja auch noch die Corona-Krise, die aktuell ohnehin alles überlagert. Wer geht zur Wahl? Wer bleibt daheim? Keiner weiß es. Einem schwachen CSUKandida­ten vor Ort kann auch ein „Sonnenköni­g“an der Parteispit­ze nicht viel helfen.

Die Grünen haben über 140 neue Ortsverein­e gegründet

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Foto: Frank Hörmann, Imago Images Die CSU dürfte bei den diesjährig­en Kommunalwa­hlen schlechter abschneide­n als 2014.

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