Wertinger Zeitung

Mit einer Extraporti­on Zorn

Musik Bob Geldof hat nach ewigen Zeiten ein neues Album seiner Boomtown Rats vorgelegt. Die Songs sind sexy, umwerfend aber ist die Energie des 68-Jährigen, der wie eh und je wütend ist über die Verhältnis­se. Ein Treffen in Berlin

- VON STEFFEN RÜTH

Berlin Er ist ein pfeilschne­ller Denker und trotz seiner 68 Lenze noch immer ein absolut wütender Bürger. Er hat vor 45 Jahren in Dublin die Pop-Punk-Reggae-Wave-RockBand The Boomtown Rats mitbegründ­et. Er hat als Organisato­r riesiger Spenden- und Schuldener­lassaktion­en mehr erreicht als die meisten Politiker. Und jetzt ist Bob Geldof mit zumindest drei seiner Rats wieder da. „Citizens Of Boomtown“heißt das erste neue Album seit 36 Jahren, und man nimmt den Mund nicht zu voll, wenn man die neuen Songs als taufrisch und furios bezeichnet. Eine Begegnung in Berlin.

Bob Geldof pirscht an diesem trüben Vormittag durch sein sehr großes Zimmer in einem Berliner Privatklub, lässt seinen Kaffee kalt werden und schnaubt. „Alle Generation­en sind gescheiter­t“, schimpft der Musiker aus Dublin, der 1975 mit den aus der Arbeits- und Perspektiv­losigkeit heraus gegründete­n Boomtown Rats und Hits wie „I Don’t Like Mondays“(handelt, was viele nicht wissen, von einer kalifornis­chen Schulatten­täterin) oder „Banana Republic“(handelt vom damals sehr verrottete­n Irland) erfolgreic­h wurde. Viele verbinden mit dem Musiker aber sein Projekt Band Aid aus dem Jahr 1994 („Do They Know It’s Christmas“), dem im Sommer 1995 dann Live Aid, zwei gigantisch­e parallele Konzertspe­ktakel in London und Philadelph­ia, folgte, was Geldof zum Gesicht der humanitäre­n Hilfe für Afrika machte. Jetzt aber sagt er: „Manche haben heftiger versagt als andere. Aber wir“, er blickt sein Gegenüber verschwöre­risch an, „wir haben die Welt in die Grütze geritten wie noch nie jemand zuvor“.

Diese These mag diskutabel sein, aber Bob Geldof möchte über seine Meinung jetzt nicht diskutiere­n, sie lediglich abladen, zusammen mit einer Extraporti­on Zorn, die bei ihm trotz aller derber Ausdrücke (die Frequenz, in der das Wort „fuck“fällt, ist beträchtli­ch) etwas durchaus Liebenswür­diges hat. „Die Welt ist voller böser Männer. Voller Schlächter, verantwort­ungsloser Kindsköpfe, Fälscher und Betrüger. Trump ist ein vulgärer Idiot, Putin ein Mafiagangs­ter, Xi Jinping ein Volksverhe­tzer, Erdogan ein islamistis­cher Trottel, Salvini ein Faschist und Johnson, ach, Scheiße, Brexit.“Es gelte nun zu retten, was noch zu retten ist, so der 68 Jahre alte, sehr drahtige und mit einer massiven Menge vollen Grauhaars ausgestatt­ete Sänger und Aktivist. Seine Hoffnung: die Jugend. „Ich bin begeistert darüber, wie sauer die jungen Leute sind.“Ist Greta Thunberg gar der Bob Geldof 2020? „Nein, Greta ist großartig, und sie ist cooler als ich es je war. Sie ist ein fantastisc­hes Mädchen. Außergewöh­nlich klug und mutig und ohne Angst vor Autoritäte­n. Außerdem ohne Angst vor der Angst selbst. Solche Menschen brauchen wir.“

Sollte jemand also geglaubt hasondern ben, Sir Bob sei 36 Jahre nach dem letzten Album der nun auch mittels Comeback-Platte „Citizens Of Boomtown“wieder aktiven Viererband gemäßigter geworden, weiß es schon nach wenigen Minuten besser. „Meine Wut und meine Ruhelosigk­eit treiben mich weiter an“, sagt Geldof, der eigentlich nur einmal kurz das Mundwerk hält, nämlich dann, als man mehrere Stücke des neuen Albums, etwa „Trash Glam, Baby“, das wunderbar bluesige „Monster Monkeys“und speziell das an David Bowie und Mick Jagger erinnernde „Sweet Thing“ als sexy bezeichnet. Man sieht ihm an, dass er das ganz gut findet, aber nicht zugeben würde. Geldof ist es nämlich erkennbar alles andere als schnurzega­l, wie das neue Album ankommen wird. „Natürlich will ich Erfolg haben“, sagt er. „Ich will auch Geld verdienen. Daran ist nichts Schlechtes.“

Aber Geldof, der die Boomtown Rats 2013 mehr aus einer Laune heraus für Live-Konzerte reaktivier­te, ahnt auch, dass die Welt nicht wirklich auf ihn wartet. „Wer hört denn heute noch Rockmusik? Im Radio werden wir ignoriert, weil wir nicht modern sind. Aber wer will denn modern sein?“In seinem Auto habe Bob Geldof noch ein Gerät, um Kassetten abzuspiele­n, und neben einem eher antiquiert­en Smartphone halte er seinem locker fünfzehn Jahren alten Nokia 6210, dem legendären „Communicat­or“, die Älteren erinnern sich, die Treue.

Glückliche­r als früher sei er, betont der in zweiter Ehe mit der französisc­hen Schauspiel­erin Jeanne Marine verheirate­te Geldof, das immerhin. Zwanzig Jahre nach dem Tod seiner Ex-Frau Paula Yates und fünf Jahre, nachdem die gemeinsame Tochter Peaches mit 25 an einer Heroinüber­dosis starb, führe er ein Leben, das ihn zumindest zufriedens­tellt. „Mir blieb keine andere Wahl, als die Vergangenh­eit zu akzeptiere­n.“

Ob solch ein Getriebene­r, der von sich sagt, dass er die Stille nicht ertrage und den Verkehr vor seiner Londoner Stadtwohnu­ng zur Beruhigung brauche, überhaupt bei irgendeine­r Tätigkeit Entspannun­g und Erholung findet? Das Einzige, was diesen unablässig rotierende­n Gedankenkr­eisel im Inneren des Geldof’schen Gehirns stoppen könne, seien Bücher. „Allerdings gibt mein Kopf selbst beim Lesen keine Ruhe, sondern rennt mit der Geschichte auf und davon.“

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Foto: Mark Cowne Von wegen gemütlich machen auf dem Sofa: Bob Geldof.

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