Orte der Demokratie
Wo Stadt- und Gemeinderäte tagen: In solche Räume zieht es jetzt 40000 Kandidatinnen und Kandidaten
Wie sollen wir vor Ort vertreten werden und von wem? Das entscheiden die Leute morgen in den Wahllokalen. Wie es dort aussieht, wo beraten, ausgesessen und entschieden wird – davon wollen wir in diesem Journal einen Eindruck vermitteln. Sie sehen auf unseren Bilderseiten Sitzungssäle in Städten und Gemeinden der Region. Aufnahmebereit für Hineinzuwählende. Überall in diesen Räumen tagen Kommunalparlamente.
Manche jener nahbaren Orte der Demokratie sehen aus wie Schaltzentralen von Konzernen, die meisten wie Sparkassenkonferenzräume. Ein paar wenige erinnern an Hinterzimmer von Gasthöfen, bereit für Schützen oder eine Hochzeitsgesellschaft. Es gibt Pracht und kühle Sachlichkeit, wenig Teppich und viel Parkett, Vorhänge und Vertäfelung, Freischwinger und robuste Holzstühle. An den Wänden hängen Bilder und Wappen – manchmal auch noch ein Kruzifix.
Auffällig ist: Die Tischplatten sind poliert und glänzen wie desinfiziert. Die Gremien, die Verantwortung für die Geschicke der Kommunen tragen, hinterlassen offenkundig keine Spuren. Wenn etwas die seminarraumartige Jungfräulichkeit stört, sind es meistens Flascheninseln und Gläser (Neusäß!). Wer Hydrokulturen mit Bürogrün für ausgestorben hielt, muss sich korrigieren. Ob in Thannhausen oder Syrgenstein: Ficus Benjamin und Yuccapalme entscheiden mit, zumindest über das Raumklima.
Wenn Menschen zusammensitzen, beraten und beschließen, tun sie das erstaunlich oft um eine leere Mitte herum, die einschüchternd groß und weiträumig sein kann wie beispielsweise in Kaufbeuren oder Illertissen. In fast allen Kommunalparlamenten sitzen sich die Räte gegenüber. Nicht immer fällt Tageslicht in die Räume, in denen debattiert wird unter Kronleuchtern (Rain!) ebenso wie unter Punktstrahlern (Ottobeuren!) oder heiligenscheinartiger Lichtsaugglocke (Burtenbach!), die auch im Raumschiff Enterprise nicht aufgefallen wäre. Was beim Flanieren durch die gezeigten Ratsräume auffällt, ist natürlich die ordentliche Einheitlichkeit der Bestuhlung. Ist ein gewählter Stadtrat oder Gemeinderat auch noch so bunt und unterschiedlich zusammengesetzt – es
ist ein ehernes Gesetz demokratischer Möblierung, dass alle gleich sitzen. Rein einrichtungsmäßig bedeutet Demokratie vor allem Monotonie. Penibel, aber gerecht. Gleiche Polsterung für alle.
Doch halt: Es gibt Abweichungen, wenn auch kein wildes Zusammengewürfteltsein. Stehen in Mindelheim etwa nicht drei chefsesselartige Stühle mit höheren Rückenlehnen da vorne am Kopfende? Und hat im Stadtrat von Augsburg nicht einer, ganz hinten im Zentralgestirn, einen Stuhl mit Kopfstütze? Der Oberbürgermeister,
dessen Lehne zumindest über den Rest der Versammlung hinauswächst? Allerweltsbürostuhlschwarz und standesamtblau dominiert bei der Farbgebung des Gestühls in unseren Stadt- und Gemeinderäten. Umso schöner sind die Abweichungen, die herausstechen. Altrosa in Krumbach, frühlingsgrün in Osterzell.
Dass in den Sitzungssälen, deren Mehrzweckhallen-Charme häufig sparsame schwäbische Haushaltsführung atmet, wirklich gearbeitet und diskutiert wird, dafür finden sich vielfach Hinweise
und Belege. Tischmikrofone in Augsburg, Neu-Ulm, Kaufbeuren oder Aichach, Tablets gar in Kempten. Solide gelenkt werden kann eine Kommune aber auch ohne Schnickschnack mit den Bordmitteln der 1980er Jahre, siehe die Dia-Leinwand in Osterzell, das Flipchart in Reimlingen oder Pinnwand und Schreibmaschine in Niederschönenfeld. Es gibt sogar Tischglocken (Neu-Ulm!). Bloß Aschenbecher sieht man nirgendwo mehr. Vorbei die Zeiten von Sitzungen bis tief in die Nacht in Räumen, die so vernebelt waren, dass man die Tischvorlagen nicht mehr entziffern konnte.
Ob jeder Sitzungssaal geeignet ist, Offenheit und Transparenz zu repräsentieren? Die Herzkammer der Demokratie in Babenhausen erscheint eher wie das Innere einer (sehr teuren) Zigarrenkiste, die Kassettendecke über Augsburgs Stadträten hat etwas Bienenstockartiges. Ungeachtet dessen sind die Räume der Demokratie überwiegend Orte bürgerlicher Freundlichkeit und durchaus telegen. Fände der nächste G 7-Gipfel in Burgau oder Friedberg statt, würde niemand während der Tagesschau zusammenzucken.
Nach der Wahl werden sich die Orte der Demokratie mit neuem Leben füllen.