Jetzt immer Schlussformel „Bleiben Sie gesund!“anbringen?
Plötzlich war es da. Das erste „Bleiben Sie gesund“habe ich vermutlich noch überlesen, so unscheinbar war es, aber dann tauchte immer häufiger am Ende von Mails ein „Bleiben Sie gesund!“auf und ging, ja, irgendwie viral. Inzwischen hängt es an fast jeder zweiten Mail und irgendwie ist das zu einer schönen Kleinigkeit in unschönen Zeiten mutiert.
Zugegeben, am Anfang dachte ich mir noch irgendwas zwischen „manieriert“und „übertrieben“, eine Floskel mehr im Büroalltag, der sich zunehmend um Corona dreht. Aber spätestens seitdem es auch in Augsburg Infizierte gibt, heißt, die Ansteckungsgefahr steigt, denke ich anders über diese neue Schlussformel. Ich finde sie schön.
Das „Bleiben Sie gesund“ist nicht nur ein wohlwollender Imperativ, es drückt auch aus, dass wir alle im gleichen Boot sitzen, dass wir uns alle gerade viele Gedanken machen über das Virus, unsere Gesundheit,
über Covid-19, über Risiken, Beatmungsgeräte, Intensivbetten, …
Dass wir versuchen, den Alltag im Corona-Chaos irgendwie normal zu gestalten und doch Corona nicht ganz ausblenden können. Es zeigt, dass wir nicht nur an die eigene Familie und Vorratskammer denken, sondern auch noch an andere Mitmenschen. Tut gut!
„Bleiben Sie gesund“ist übrigens auch etikettetechnisch in Ordnung. „Es ist für mich ein Ausdruck, dass sich durch die Corona-Krise etwas in der Zwischenmenschlichkeit verändert. Wir achten wieder mehr aufeinander, wir setzen auf Hilfsbereitschaft und Zueinanderstehen“, sagt EtiketteTrainerin Susanne Erdmann aus Augsburg und ergänzt: „Für mich beinhaltet diese Aufforderung ganz viel Empathie und Mitgefühl, und das brauchen wir in der jetzigen Zeit.“Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer: Bleiben Sie gesund!
Es ist erstaunlich zu beobachten, wie schnell und nachhaltig sich bestimmte Ausdrucksweisen durchsetzen. Das formelhafte „Viel Spaß!“beispielsweise ist als Allzweckzuruf nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Ob man in eine Tragödie strebte oder zur Kur nach Norderney, ob zur Mitternachtsmesse, zur Demo oder zum Hosenkauf (ja, das alles war einmal möglich) – mindestens ein Sozialkontakt wünschte dabei sprechautomatenartig „Viel Spaß“. Spaßgesellschaft ist gerade eher weniger. Aber es gibt ein neues Versatzstück der zwischenmenschlichen Kommunikation, das vorzugsweise verschriftlicht (also aus sicherer, coronagefahrkonformer Distanz) eingesetzt wird: „Bleiben Sie gesund!“Dieses Anhängsel hat sich rasend schnell verbreitet – es ist zur wohlfeilen Signatur dieser Tage geworden.
Und? Was ist dagegen einzuwenden? Wollen wir nicht alle gesund bleiben, ist das nicht ein freundlicher Wunsch, ein zwischenmenschlich aufmunterndes Anteilnehmen? So wie das alternativ gebrauchte „Passen Sie auf sich auf!“auch? Nein, so einfach liegt die Sache nicht.
Man kann den Textbaustein „Bleiben Sie gesund!“auch als unterschwellige Ermahnung, als eine übergriffige Abgrenzungsformel interpretieren. Was ist mit jenen, die krank sind? Sind das Versager? Leute, die es nicht geschafft haben, die sich nicht auf der richtigen Seite halten konnten? Die Heroisierung und Glorifizierung von Gesundheit führt auf gefährliches Terrain. Niemandem, der seine Grüße mit dem „Bleiben Sie gesund!“glaubt anreichern zu müssen (wie man das jetzt eben so macht), soll hier unterstellt werden, dass er dies nicht in netter Absicht tut. Doch das normierte Nachplappern im CoronaSprech hat einen schalen Beigeschmack. Gut gemeint, aber ein bisschen billig.