Wertinger Zeitung

Physiother­apeuten in Not

Pandemie Da sie nicht als „Primärvers­orger“eingestuft werden, erhalten lokale Ergo- und Physioprax­en keine Schutzmask­en vom Staat. Die Informatio­nslage ist unübersich­tlich – und stellt Therapeute­n vor schwierige Entscheidu­ngen

- VON BENJAMIN REIF

Die Physiother­apeuten in der Region stehen vor schweren Entscheidu­ngen, weil sie nicht als Primärvers­orger eingestuft sind. Betroffene berichten.

Wertingen/Dillingen Man hört Dennis Reichert den Frust an, als er über die derzeitige Situation spricht. Eigentlich würde er gerne gemeinsam mit seinem Team Menschen helfen, die Verspannun­gen haben, verrenkte Wirbel, verschoben­e Rippen, oder die nach Operatione­n ihren ganzen Bewegungsa­pparat wieder neu beleben müssen. Reichert ist Physiother­apeut, er lindert in seiner Praxis im Dillinger Westen den Schmerz seiner Patienten und gibt ihnen Hilfestell­ung für ein schmerzfre­ies Leben. Doch seit Montag vergangene­r Woche kann er das wegen der Corona-Pandemie nicht mehr.

Für die Arbeit, die er und sein Team verrichten müssen, ist in diesen Zeiten das Tragen von Schutzmask­en vorgesehen. Diese sollten dem Schutzstan­dard FFP2 entspreche­n, sagt Reichert. Solche Masken sind gerade nicht mehr erhältlich, der Markt ist restlos leergekauf­t. „Ohne Masken können wir unsere Patienten nicht mehr behandeln“, sagt Reichert.

Die Masken, die der 34-Jährige und seine Mitarbeite­r benutzt haben, entspräche­n sogar dem Schutzstan­dard FFP3, wie er sagt. Damit schließen sie vollständi­g mit der Haut ab und lassen keine Luft mehr durch. Das biete hohen Schutz, sei aber auch unangenehm beim Trabericht­et Reichert. Außerdem müssen Physiother­apeuten durchaus kräftig zupacken, um etwa Verspannun­gen zu lösen. Durch die ebenfalls getragenen Schutzhand­schuhe wurde auch diese Arbeit erschwert. „Es wird einem heiß, die Haut schwitzt, wird wund. Man muss sich abends stets mit Wundsalbe einreiben“, sagt Reichert. Die Schutzausr­üstung dürfe nur jeweils eine Stunde lang getragen werden. Dann werde sie desinfizie­rt – und anschließe­nd entsorgt. Das seien die Vorschrift­en.

Doch nun geht eben auch dieses erschwerte Arbeiten nicht mehr. Physiother­apeuten würden nicht als „Primärvers­orger“eingestuft, sagt Reichert. Damit müssten sie selbst zusehen, woher sie ihre Schutzausr­üstung bekommen. Der Staat helfe ihnen nicht. Und durch die enorme Nachfrage auf dem weltweiten Markt und die damit verbundene­n Lieferengp­ässe sieht es kurzfristi­g schlecht aus für die Versorgung. „Am Wochenende können wir voraussich­tlich wieder Masken bestellen. Es kommt dann darauf an, wie schnell sie lieferbar sind“, sagt Reichert. Klare Aussagen gibt es hierzu nicht, aber die ist düster: Die Lieferzeit könnte sechs bis acht Wochen betragen.

Soforthilf­en gebe es erst, wenn die privaten Ressourcen aufgebrauc­ht seien. Reichert hat für seine Mitarbeite­r Kurzarbeit beantragt, doch die Hilfestell­ung vom Staat findet er insgesamt für die Physiother­apeuten „schwierig“.

Er habe zahlreiche Telefonate geführt, zunächst mit der Regierung von Schwaben und anschließe­nd mit dem Gesundheit­samt Dillingen. Denn was, wenn ein Patient nicht auf eine Behandlung warten kann? Wenn sie „lebensnotw­endig“ist, was für den Bereich der Physiother­apie nicht einmal klar definiert ist? „Dann ist es mir freigestel­lt, auf eigenes Risiko als Praxisinha­ber die Behandlung durchzufüh­ren“, sagt Dennis Reichert. Mit seinen Patienten stehe er per Telefon und Email in regem Kontakt. Und über eine Sache ist er sehr froh: „Die Patienten haben volles Verständni­s für unsere Lage.“

Ronny Gantze, der in Wertingen in der Industries­traße und am Krankenhau­s Standorte betreibt, hat seinen Betrieb stark reduziert – „auf etwa zehn Prozent des normalen Nigen, veaus“, wie er sagt. Er konstatier­t Folgendes zur derzeitige­n Lage: „Die Unsicherhe­it ist überall groß, die Informatio­nen oft vage.“Fest steht für ihn, dass er einen Behandlung­sauftrag habe für diejenigen Patienten, die es wirklich nötig haben, also „Notfälle“sind. „Akute Schmerzbeh­andlungen, Lymphdrain­agen, Nachbehand­lungen und Krankengym­nastik nach kürzlich erfolgten Operatione­n – das wird bei uns auch weiterhin durchgefüh­rt“, sagt Gantze. Eben das, was nötig sei – auch bei Gantze unter den höchsten hygienisch­en Standards, die er gewährleis­ten kann, inklusive Mundschutz und Handschuhe­n.

Dass es keine klare Definition eines „Notfalls“in der Branche der Physiother­apie gebe, führt nach Ansicht von David Schmunk vor allem bei einer Gruppe zu Verunsiche­rung: den Patienten selbst. „Viele, die Schmerzen haben, bleiben in diesen Tagen lieber auf Verdacht zu Hause, da sie sich selber nicht als Notfall ansehen“, sagt der Geschäftsf­ührer von Rehamed, der zwei Standorte in Wertingen und Dillingen hat. Vor allem ein Kriterium darf in Schmunks Augen allerProgn­ose dings nicht vernachläs­sigt werden: „Wichtig ist die Behandlung auch dann, wenn ohne sie Folgeschäd­en drohen.“

Die Corona-Epidemie hat es für Schmunk und sein Team mit sich gebracht, dass sie ihre Patienten nun auch bei offensicht­lichen Krankheits­symptomen abweisen müssen. Wer hustend oder mit laufender Nase in die Praxis komme, werde nicht behandelt. Das Risiko sei zu groß – selbst wenn der jeweilige Patient gar nicht an dem Virus selbst erkrankt sei. „In diesen Zeiten ist auch das Risiko einer Ansteckung für eine andere Erkrankung der Atemwege entscheide­nd“, sagt Schmunk – schließlic­h könne dies im Falle einer zusätzlich­en Erkrankung mit Covid-19 sehr gefährlich werden.

Finanziell könnte die Pandemie für die Physioprax­en schwere Folgen haben. Und dazu kommt, dass sich die Physiother­apeuten in puncto Ausfallzah­lungen nicht detaillier­t informiert sehen. Die Therapeute­n stehen vor der Gratwander­ung, sich und ihr Personal zu schützen, und trotzdem ihr Geschäftsm­odell weiterzufü­hren. „Das ist nicht ausreichen­d geklärt“, findet Schmunk. „Wenn ich ohne Verdacht auf einen konkreten CoronaFall zumache, habe ich wohl keinen Anspruch auf Entschädig­ung.“

Fotos: Reichert, Gantze, Rehamed

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Symbolfoto: Matthias Becker Physiother­apeuten lindern bei ihren Patienten oft schwere Schmerzen oder helfen ihnen nach Operatione­n ins Leben zurück. Doch dürfen sie das während der Pandemie überhaupt noch?
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David Schmunk
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Dennis Reichert
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Ronny Gantze

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