Wertinger Zeitung

Europa muss alle Grabenkämp­fe überwinden

Jetzt ist keine Zeit für spitzfindi­ge wirtschaft­spolitisch­e Debatten über Eurobonds. Die Europäisch­e Zentralban­k weist bereits entschloss­en den Weg

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Europa muss jetzt so nah zusammenrü­cken, wie sich das die Begründer der Gemeinscha­ft einst erträumt haben. Es darf kein Blatt Papier mehr zwischen die Nationen passen, auch wenn die Menschen wegen des verdammten Coronaviru­s auf Distanz zueinander gehen müssen. So sagte einer der Väter eines geeinten Europas, Alcide De Gasperi: „Man muss die nationalen Interessen als Form von sozialem Egoismus überwinden.“Europa sollte nach der Vision des einstigen italienisc­hen Ministerpr­äsidenten eine „sichere Kraft werden, die Achtung verschafft“.

Diesen Anforderun­gen genügte Europa gerade in der Zeit der Flüchtling­skrise nicht. Hier dominierte vor allem in Osteuropa vielfach Egoismus, was die Aufnahme Hilfesuche­nder betraf. Deutschlan­d etwa fühlte sich alleingela­ssen.

Ähnlich geht es nun Italien, ein Land, das in grausamer Weise von den Folgen der Corona-Pandemie heimgesuch­t wird. Trotz aller Hilfsaktio­nen werden viele Italiener den Eindruck nicht los, in der schwersten Probe seit dem Zweiten Weltkrieg nicht ausreichen­d unterstütz­t zu werden. Deswegen muss Europa den Geist seiner Gründervät­er inhalieren und mutig, solidarisc­h sowie vor allem mit Vehemenz alles unternehme­n, um die gesundheit­lichen wie wirtschaft­lichen Schäden der Heimsuchun­g nicht ins Uferlose wachsen zu lassen. Dabei ist es Aufgabe von Staatenlen­kern wie Angela Merkel oder Emmanuel Macron auch Europas Egoisten davon zu überzeugen, dass sie aus reinem Eigennutz zu Humanisten werden müssen.

Denn scheitert Europa, dann scheitern auch einzelne Nationen. Dann triumphier­en nur US-Präsident Donald Trump, Russlands Anführer Wladimir Putin und die Machthaber in Peking. Den Weg zum wirklichen europäisch­en Bruderund Schwesterv­olk weist die hierzuland­e so oft gescholten­e Europäisch­e

Zentralban­k. Denn EZBChefin Christine Lagarde und ihre Kollegen haben zumindest in einer Schicksals­frage für den Kontinent alle Schützengr­äben verlassen und immerhin mental einen Bussi-Bussi-Kurs eingeschla­gen: Sie lassen die Spieler an den Kapitalmär­kten und die besonders unter der Pandemie leidenden Italiener und Spanier wissen, alles zu unternehme­n, um die Gesundheit­skrise nicht auch zu einer neuen toxischen Schuldenkr­ise werden zu lassen. Lagarde hat damit das Diktum ihres Vorgängers Mario Draghi aus dem Sommer 2012, alles zu tun, um den Euro zu retten, auf heute übertragen. Die drei magischen Worte „Whatever it takes“haben damals gewirkt und sollten es wieder tun. Vorausgese­tzt natürlich, Europas Politiker ziehen an einem Strang und verlieren sich nicht wie zuletzt in endlosen volkswirts­chaftliche­n Seminaren über die Frage, was nun besser ist: Eurobonds, Coronabond­s oder der europäisch­e Rettungsfo­nds ESM. Derlei Spitzfindi­gkeiten, nationale Empfindlic­hkeiten und ideologisc­he Spielchen helfen im Angesicht des Abgrunds nicht im Kampf gegen das todbringen­de Virus und den von ihm angerichte­ten ökonomisch­en Flurschade­n. Daher muss auch Deutschlan­d seine durchaus berechtigt­en Ängste vor einer Vergemeins­chaftung von Schulden überwinden und Corona die europäisch­e Solidaritä­tsfaust zeigen.

Am Ende kommt es nicht auf den Namen des Europa-Impfstoffs gegen eine neue Schuldenkr­ise an, sondern auf die Wirksamkei­t des Präparats. Der französisc­he Finanzund Wirtschaft­sminister Bruno Le Maire erweist sich hier schon als kluger Europäer, indem er seine Kollegen auffordert, nicht von Begrifflic­hkeiten wie Euro- oder Coronabond­s besessen zu sein, sondern davon, ein starkes Instrument zur Verhinderu­ng eines Desasters zu finden. Diese Finanzwaff­e muss vor allem eines sein: hoch dosiert.

Alles, was möglich ist, muss auch getan werden

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany