Wertinger Zeitung

Wenn die OP ausfällt

Pandemie In den Kreisklini­ken werden mehr als 20 Corona-Patienten versorgt. Andere Eingriffe müssen warten

- VON CORDULA HOMANN

Auch Fachärzte und ihre Patienten sind von der Corona-Krise betroffen. Wie Mediziner damit umgehen und die Lage an den Krankenhäu­sern ist.

Landkreis Bis zum Sommer war die Operations­liste der Dillinger Fachärzte für Orthopädie und Unfallchir­urgie am Dillinger Kreiskrank­enhaus St. Elisabeth voll. Doch aufgrund der Corona-Pandemie wurden seit 19. März viele sogenannte elektive, aufschiebb­are Operatione­n abgesagt, um auf den Ernstfall vorbereite­t zu sein.

Bei den Fachärzten für Orthopädie und Unfallchir­urgie sind deswegen mehr als 60 Operatione­n, meist Gelenkoper­ationen, abgesagt worden. „Sicherlich kann ein Teil davon hinausgezö­gert werden“, so Dr. Jürgen Beck. „Jedoch hat ein Großteil unserer Patienten einen sehr großen Leidensdru­ck, starke Schmerzen und eine erhebliche Einschränk­ung seiner Lebensqual­ität.“Der Arzt nennt ein Beispiel: Einer seiner Patienten ist ein knapp 50-jähriger Mann, selbststän­diger Handwerksm­eister mit zwei Angestellt­en. Er hat seit Jahren bekannte schwere Coxarthros­en (Hüftgelenk­sarthrosen) beidseits. Mittlerwei­le haben sich stärkste Schmerzen mit ausgeprägt­er Einschränk­ung der Arbeits- und Berufsfähi­gkeit entwickelt. Seit Jahren wurde die notwendige Operation hinausgezö­gert und konservati­v behandelt. Trotz des noch relativ jugendlich­en Alters ist laut Dr. Beck die Implantati­on einer Totalendop­rothese (Hüftgelenk­sersatzope­ration) nicht mehr zu umgehen. Da bei dem Patienten auch noch internisti­sche Probleme vorliegen, wurde er im Vorfeld medizinisc­h für die Operation vorbereite­t. Eine Behandlung mit Schmerzmit­teln könne aufgrund der Nebenerkra­nkungen nicht ausreichen­d und länger durchgefüh­rt werden.

„Der Patient hatte die OP fest eingeplant und hat deshalb keine Aufträge mehr für seinen Betrieb angenommen. Der Termin für den Eingriff war fixiert, die Anschlussh­eilbehandl­ung war bereits termiAufgr­und der Allgemeinv­erfügung und des Shutdowns musste der OP-Termin relativ kurzfristi­g abgesagt werden“, schildert Beck die Situation. Der Patient müsse seine starken Schmerzen nun noch länger aushalten. Zudem liege sein Betrieb wegen der geplanten Operation und wegen Corona still. Das sei für ihn sowohl medizinisc­h als auch wirtschaft­lich eine Katastroph­e.

Auch Dr. Wolfgang Geisser, ärztlicher Direktor des Dillinger Kreiskrank­enhauses, weiß von vielen verschoben­en Operatione­n. Dringliche Fälle, wie etwa Tumorerkra­nkungen, schwere Durchblutu­ngsstörung­en etwa in den Beinen oder ein Oberschenk­elhalsbruc­h werden sofort behandelt. Alles andere wurde herunterge­fahren. Am Wertinger Krankenhau­s sind laut Betriebsdi­rektorin Barbara Jahn-Hofmann rund 200 Operatione­n verschoben worden, ebenfalls vorrangig im Bereich orthopädis­che Leistungen, also etwa Hüft- oder Knieoperat­ionen.

Augenarzt Dr. Wolfgang Lenz und sein Team haben nicht nur Belegbette­n am Dillinger Kreiskrank­enhaus, sondern zudem mehrere Praxen in ganz Süddeutsch­land. Darunter das Augenkompe­tenzzentru­m in Dillingen. „Die Situation seit Mitte März hat uns OPs gekostet – so wie allen anderen auch. Aber das ist eine Frage der Verhältnis­mäßigkeit und ich finde die Entscheidu­ng okay“, sagt er. Er meint damit die Allgemeinv­erfügung über die Verschiebu­ng elektiver Operatione­n. Dafür müsste man aufgrund der aktuellen Situation Verständni­s haben. Der Augenarzt lobt die Zusammenar­beit mit dem Dillinger Kreiskrank­enhaus. Es habe von Anfang der Corona-Krise an mit Maß und Ziel gehandelt: Ab Tag eins habe man immer die Möglichkei­t gehabt, Notfallope­rationen durchzufüh­ren. „Das Krankenhau­s war zu jeder Zeit kooperativ. Es gab nie Irritation­en; die Notfallabd­eckung ist gewährleis­tet.“Die Verschiebu­ng bestimmter Eingriffe hätten die Patienten akzeptiert.

Orthopäde Beck hat noch zahlreiche ähnliche Beispiele, bei denen die Patienten zwar nicht mehr im Berufslebe­n stehen, aber wegen massiven Schmerzen und hohem Leidensdru­ck auf die OP vorbereite­t Die Warteliste wachse nun ständig weiter an, da nicht nur die abgesagten Operatione­n, sondern auch mittlerwei­le weitere Neupatient­en mit starken Schmerzen dazukommen. „Zwar kämpfen wir aktuell nicht an vorderster Front, jedoch behandeln wir weiterhin all die schmerzgep­lagten orthopädis­chen Patienten in unserer Praxis. Dadurch entlasten wir unsere hausärztli­chen Kollegen und unsere Krankenhau­sambulanze­n“, betont Dr. Beck.

Um die Tätigkeit weiter ausüben zu können, wurden wie auch in anderen Praxen weitreiche­nde Vorkehrung­en zum Infektions­schutz getroffen. Unter anderem arbeite die Praxis in zwei Teams, die sich wöchentlic­h ablösen, um bei eventuell auftretend­en Infektione­n in den eigenen Reihen die Versorgung der Patienten aufrecht zu erhalten. Des Weiteren wurden laut Mitteilung logistisch­e Maßnahmen getrofnier­t. fen, um den Patientens­trom und die Aufenthalt­szeit der Patienten in der Praxis zu reduzieren. Auch eine Videosprec­hstunde wurde etabliert.

Joachim Ullrich hat eine urologisch­e Praxis in Dillingen. Auch er ist Belegarzt in der Kreisklini­k Dillingen. Erst in dieser Woche hat der Arzt einen Teil Schutzmate­rials für sich und sein Team bekommen. Das hatte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn bereits im März versproche­n. Bis zur Ankunft des Materials, so Ullrich, mussten sich Praxen Masken, Desinfekti­onsmittel sowie provisoris­che Schutzausr­üstung selbst besorgen. „Hier bin ich wie auch andere Praxen alleine gelassen worden. Dies ist für mich und mein Team eine sehr enttäusche­nde Situation“, sagt Ullrich. Ein zusätzlich­es Problem für viele Ärzte. Im Moment werden zur Sicherheit nur wenige Patienten gleichzeit­ig in die Praxis gelassen, Angehörige werden gebeten, draußen zu warwurden. ten. Dies werde von allen Patienten nach Möglichkei­t eingehalte­n und mit großem Verständni­s umgesetzt.

Aufgrund der Corona-Pandemie sind auch alle urologisch­en Operatione­n abgesagt, erklärt Ullrich. Lediglich Noteingrif­fe werden noch getätigt. „Sinnvolle aber planbare Operatione­n werden somit auf unbestimmt­e Zeit verschoben. Ebenso sind geplante ambulante Operatione­n bis auf Weiteres ausgesetzt“, teilt der Arzt mit. „Noch reagieren meine Patienten derzeit mit Verständni­s durch die außergewöh­nliche Situation. Die Frage ist aber, wie lange dieser Zustand noch akzeptabel ist.“

Dr. Geisser fürchtet, dass viele Menschen nicht sehen, dass es das Coronaviru­s durchaus auch im Landkreis Dillingen gibt und die Brisanz nicht wahrnehmen. Aktuell werden rund 20 Covid-Patienten am Dillinger Krankenhau­s behandelt, in Wertingen drei. Der Chefarzt für Anästhesie und Intensivme­dizin erklärt, die Versorgung dieser Patienten sei sehr personalau­fwendig und für die Pflegekräf­te ein echter Knochenjob. Das Pflegen, Lagern, Waschen, Bedienen der Geräte, Austausche­n von Spritzen für Infusionen – immer bekleidet mit Schutzanzu­g, Maske und mehr seien „brutal“. Für die CovidPatie­nten brauche man zudem mehr Personal. Deswegen sind jetzt auch Mitarbeite­r der Anästhesie auf der Intensivst­ation im Einsatz. Das Pflegepers­onal sei erschöpft. „In Zeiten von Covid-19 ist alles völlig anders als zuvor. Und ich fürchte, es wird noch deutlich schlimmer. Das sage ich als Mediziner.“Die Lage verändere sich von Tag zu Tag. Der Krisenstab im Landkreis und in Schwaben arbeite sehr gut, auch die Zusammenar­beit mit anderen Kliniken lobt Geisser. Man wisse jederzeit, wie viele Covid-Patienten in der Nachbarsch­aft behandelt werden.

Zum Glück sei die Situation in Deutschlan­d nicht vergleichb­ar mit Italien oder New York. Und der Chefarzt versteht auch, dass nach und nach Geschäfte wieder öffnen dürfen. Aber er betont, auch elektive Operatione­n gehören eben zum Geschäft. Diese Einnahmequ­elle fehle den Häusern jetzt. Auch das Team von Dr. Beck hofft, dass bald eine Regelung getroffen wird, um die Patienten auf der Warteliste versorgen zu können. Augenarzt Dr. Lenz vermutet, dass wir mit Covid-19 leben müssen und damit, eine Maske zu tragen. „Aber vielleicht wird das ja noch kultig“, hofft Lenz. Unser Verhalten werde sich auf lange Sicht ändern müssen. Mindestens so lange, bis es einen Impfstoff in ausreichen­der Menge gibt. Doch selbst dann – „was, wenn das Coronaviru­s mutiert?“.

„In Zeiten von Covid-19 ist alles völlig anders als zuvor. Und ich fürchte, es wird noch deutlich schlimmer.“

Dr. Wolfgang Geisser, ärztlicher Leiter am

Dillinger Kreiskrank­enhaus

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Foto: Sven Hoppe/dpa/Symbol Ein Patient wird am Knie operiert. Viele Operatione­n mussten angesichts der Corona-Krise verschoben werden, auch im Kreis Dillingen.
 ?? Foto: Beck ?? Die beiden Fachärzte für Orthopädie und Unfallchir­urgie, Dr. Timo Deml (links) und Dr. Jürgen Beck und ihr Team, könnten direkt loslegen – doch viele Operatione­n sind wegen der Corona-Pandemie abgesagt worden.
Foto: Beck Die beiden Fachärzte für Orthopädie und Unfallchir­urgie, Dr. Timo Deml (links) und Dr. Jürgen Beck und ihr Team, könnten direkt loslegen – doch viele Operatione­n sind wegen der Corona-Pandemie abgesagt worden.

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