Jetzt gibt es ein Besuchsfenster
Soziales Nach fünf Wochen Kontaktsperre dürfen Angehörige wieder im Seniorenzentrum St. Klara in Wertingen vorbeischauen. Allerdings trennt eine Scheibe die Bewohner von ihren Gästen. Warum vermutlich Tränen fließen werden
Wertingen Vor über fünf Wochen wurde im Wertinger Seniorenzentrum St. Klara die Notbremse gezogen. Dem Leiter des Heims, Günther Schneider, ist in einem Gespräch am Telefon anzumerken, dass ihm die Entscheidung Mitte März nicht leicht gefallen ist. Er sagt: „Eigentlich ist es ethisch nicht vertretbar, das Haus zuzusperren.“Schließlich sei der Mensch ein Beziehungswesen und damit auf Beziehungen angelegt. Doch die Sorge, vom Corona-Virus befallen zu werden, war groß.
Schneider: „Wir hatten Anfang März eine dicke Erkältungswelle im Haus.“Als eine Bewohnerin zu husten begann, wartete der Leiter mit seinem Team nicht mehr ab, was die Regierung an Maßnahmen beschließen würde und stellte den Besuchsverkehr ein. Gleichzeitig wurden alle Bewohner und Bewohnerinnen sowie das gesamte Personal – rund 150 Menschen – auf das Corona-Virus getestet. Die Kosten dafür übernahm das Seniorenzentrum. Alle Tests fielen negativ aus. „Gottseidank sind wir bis heute Coronafrei“, berichtet Schneider.
Fünf Wochen lang die Mutter oder den Ehepartner nicht mehr sehen zu dürfen, stellte alle Betroffe- nen vor eine harte Probe. Dass es ei- nem da das Herz zerreißt, sei nachvollziehbar. Beziehungen seien gerade für alte Menschen existenziell, weiß Schneider. Viele Ideen wurden deshalb in den vergangenen Wochen entwickelt, abgewogen und umgesetzt. Ein erster Schritt war beispielsweise das Hochfahren des sozialpflegerischen Dienstes. Im St. Klara nennt man sie die „Grünen“, erkennbar an deren grüner Kleidung. Diese versuchen, den Beziehungsverlust etwas abzumildern. Durch Unterhaltung, Gespräche, Spiele oder einfach durch Händchenhalten.
Außerdem wurde gegen die Isolation ein Laptop mit großem Bildschirm angeschafft, über den die Bewohner mit ihren Liebsten Kontakt aufnehmen können. In Lebensgröße können sich die Bild-Telefonierer sehen. Visavis gegenüber zu sitzen, lasse schnell vergessen, dass der andere gar nicht im Raum ist. Bis nach USA und Südtirol wird geskypt. Ein regelrechter Run sei im Seniorenzentrum entstanden.
Dieselbe Wirkung erwartet der Leiter nun auch für die nächste Stufe der Erleichterung: Gestern wurde eine neue Form der Kommunikation geschaffen. Besucher können über ein offenes Fenster mit Plexiglasschutz zu ihren Angehörigen sprechen. Schneider: „Der Besprechungsraum im Erdgeschoss, dessen Fenster unmittelbar links an den Haupteingang grenzt, bietet den Bewohnern eine relativ angenehme Atmosphäre, um mit ihren Angehörigen, die draußen vor dem Fenster überdacht sitzen, in Kontakt zu treten.“Man biete den Besuchern etwas zu trinken an. Anfangs ist die Besuchszeit auf 30 Minuten beschränkt. So sollen möglichst viele Menschen wieder Kontakt aufnehmen können. Vor allem Paare, von denen ein Partner im Heim lebt, sollen sich wieder sehen dürfen. Manche von ihnen seien über 60 Jahre verheiratet.
Günther Schneider weiß, dass die Lockerungen nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind und das ethische Problem nicht lösen. Weil das Corona-Virus vor allem ältere und gesundheitlich angeschlagene Menschen bedroht, bleibt der direkte und körperliche Kontakt weiterhin ausgeschlossen. Damit komme man einer entsprechenden Anordnung der Behörden nach. Es könnten die letzten Tage im Leben ihrer Mutter sein, sagt Hannelore S. Ihre Mutter ist hundert Jahre alt. Schlaflose Nächte hat ihr die wochenlange Kontaktsperre bereitet. Früher schaute die Wertingerin beinahe täglich im Seniorenzentrum St. Klara vorbei. Nun freut sie sich auf ein Wiedersehen am offenen Fenster. Schneider rechnet damit, dass zwischen Wintergarten und Freisitz in den nächsten Tagen viele Tränen fließen werden. Wie beim Skypen.
Übrigens: Am Donnerstag gibt es für die Bewohner und Bewohnerinnen des Seniorenzentrums St. Klara ein außergewöhnliches Konzert. Die Eventsängerin aus Lauterbach, Stefanie Schnell, singt von der Feuerwehreinfahrt am Gymnasium aus in Richtung St. Klara. Dort dürfen die Menschen den Zauberklängen lauschen. „Wenn viele kleine Menschen an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können wir das Gesicht der Welt verändern“, begründet die Sängerin ihr Engagement.
Aktuell ist sie Mitglied bei der Rockband „Change“aus Donauwörth. „Schon immer liebe ich es, vor allem emotionale Momente mit besinnlicher und einfühlender Musik unvergesslich zu machen.“So kam es, dass sie die „Zauberklänge“ins Leben gerufen hat.
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Anmeldung Angehörige, die das „Besuchsfenster“nutzen wollen, sollen sich bei der Verwaltung unter der Telefonnummer 08272/9961-112 oder 99610 anmelden.