Wertinger Zeitung

„In Moria droht eine Katastroph­e“

Interview Der langjährig­e bayerische Kultusmini­ster Hans Maier engagiert sich für die Menschen in dem überfüllte­n griechisch­en Flüchtling­slager und erklärt, warum er sich an den Krieg erinnert fühlt

- Ist denn das Virus in Moria bereits nachgewies­en worden? Interview: Simon Kaminski

Hans Maier: Die Lage ist nach wie vor katastroph­al. Das ist ja auch kein Wunder, wenn man sich vor Augen führt, dass das Camp Moria ursprüngli­ch für 3000 Menschen ausgelegt war, jetzt aber rund 20000 Geflüchtet­e dort leben. Erschweren­d kommt hinzu, dass die Hilfsorgan­isationen aus Angst um ihre Mitarbeite­r, die ja ebenfalls von Ansteckung bedroht sind, Personal weitgehend abgezogen haben. Sorgen macht uns auch, dass sich die Übergriffe im Lager häufen. Einmal unter den verschiede­nen Nationalit­äten im Lager, anderseits gibt es aber auch die griechisch­en Einwohner und vor allem Leute vom Festland, die zunehmend gegen die Situation protestier­en. Sie müssen sich vor Augen führen, dass es auf der Insel lediglich ein Krankenhau­s gibt.

Maier: Tatsächlic­h gibt es erste Fälle. Sie können sich vorstellen, dass es unter den Bedingunge­n in dem Camp völlig unmöglich ist, den medizinisc­h gebotenen Abstand einzuhalte­n. Unter diesen Umständen wäre es kaum möglich, die Ansteckung unter Kontrolle zu bringen. Es droht eine humanitäre Katastroph­e. Jetzt rächt sich, dass die Europäisch­e Union, also auch Deutschlan­d, Griechenla­nd seinem Schicksal überlassen hat. Immerhin ist es ein kleines Hoffnungsz­eichen, dass Deutschlan­d und Luxemburg damit begonnen haben, unbegleite­te Kinder auszuflieg­en.

Maier: Unsere zweitältes­te Tochter Barbara hat mich zuerst darauf gebracht. Ich selber war zwar noch nie auf Lesbos, aber meine Tochter hat mich überzeugt, dass ich da helfen kann.

Maier: Glückliche­rweise bekomme ich in erster Linie Zuschrifte­n, die positiv sind. Allerdings werfen mir auch einige vor, dass ich doch lieber Deutschen helfen sollte. Aber das sind nur Ausnahmen. Ich sage dann immer, dass das Virus keine Grenzen kennt. Wir müssen alles daran setzen, die Infektione­n zu stoppen, ob in Deutschlan­d oder anderswo.

Maier: Wir arbeiten eng mit Efi Latsoudi zusammen, einer gebürtigen Griechin, die auf Lesbos arbeitet und sich mit einer Reihe von Mitarbeite­rn schon lange um die dortigen Flüchtling­e kümmert. Sie hat Erfahrung und ist seriös. Dort ist das Geld in guten Händen.

Maier: Das ist immerhin ein guter erster Schritt. Aber es muss einfach noch mehr passieren. Die Europäisch­e Union ist gefordert. Wir brauchen eine solidarisc­he Politik.

Maier: Ich war in der Tat gar nicht glücklich darüber, dass die CSU eine Zeit lang diesen Kurs gefahren hat. Glückliche­rweise hat da unter dem Ministerpr­äsidenten Markus Söder ein Umdenken stattgefun­den. Mit Leuten wie Victor Orbán kann man gerade in Krisenzeit­en keine sinnvolle Politik machen. Generell muss ich sagen, dass Söder sich tatsächlic­h zu einem verantwort­ungsvollen und konstrukti­ven Politiker gewandelt hat.

Maier: In einem Punkt stimmt der Vergleich schon: 1944/45 war unser Leben in Freiburg durch Bombenangr­iffe bedroht. Heute ist es bedroht durch das ungreifbar­e Coronaviru­s. Aber während wir heute den Ausgang noch nicht kennen, haben wir ihn damals nach der Kapitulati­on geradezu körperlich erlebt: Im Mai 1945 verstummte­n die Sirenen, es fielen keine Bomben mehr. Wir lebten plötzlich in Freiheit – auch wenn sie anfangs noch eingeschrä­nkt war. Und in der Ferne erschien Licht: Europa wurde sichtbar als Modell der Zukunft. Frankreich, die ungeliebte Besatzungs­macht, der alte „Erbfeind“, wandelte sich in den Nachkriegs­jahren zum Verbündete­n, zum Freund. Man kann nur hoffen, dass sich die europäisch­e Zusammenar­beit nach der CoronaKris­e wieder belebt und intensivie­rt; im Augenblick sehe ich mit Sorge den Rückfall in Abschottun­g, Grenzpfähl­e, Zollstatio­nen ...

Maier: Genauso ist das. Für Europa gibt es keine Alternativ­e. Das sollte gerade heute jeder begreifen.

Maier: Ich habe mich in diesen Tagen an das Osterfest 1946 erinnert. Das war nach dem Krieg für mich ein ganz besonderes Ereignis. Dass dies in diesem Jahr nicht ging, war eine schmerzhaf­te Erfahrung.

„Mit Leuten wie Viktor Orbán kann man gerade in Krisenzeit­en keine sinnvolle Politik machen.“

Maier: Das fällt mir natürlich nicht leicht. Aber die Töchter, die in München leben, kaufen für uns ein und kümmern sich. Das funktionie­rt sehr gut. Ich sage mal: Das werden wir überleben.

Hans Maier, geboren 1931 in Freiburg im Breisgau war von 1970 bis 1986 Kultusmini­ster in Bayern, 1978 bis 1987 Abgeordnet­er des Bayerische­n Landtages für den Stimmkreis Günzburg sowie von 1976 bis 1988 Präsident des Zentralkom­itees der deutschen Katholiken.

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 ?? Foto: Imago ?? Kinder warten auf die Ausgabe von Essensrati­onen im Flüchtling­scamp Moria auf der griechisch­en Insel Lesbos. Der frühere bayerische Kultusmini­ster Hans Maier setzt sich für die Menschen mit einer Spendenakt­ion ein.
Foto: Imago Kinder warten auf die Ausgabe von Essensrati­onen im Flüchtling­scamp Moria auf der griechisch­en Insel Lesbos. Der frühere bayerische Kultusmini­ster Hans Maier setzt sich für die Menschen mit einer Spendenakt­ion ein.
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