Wertinger Zeitung

Die Sehnsucht nach dem Saisonstar­t

Formel 1 Lewis Hamilton will endlich zurück ins Auto. Rennen ohne Zuschauer nimmt der Weltmeiste­r dafür in Kauf. Er fühlt sich fit für den Auftakt in Österreich. Sein ehemaliger Teamkolleg­e Nico Rosberg hat da aber Zweifel

- VON MARCO SCHEINHOF

Augsburg Sebastian Vettel saß vor einer Wand mit Holzbalken. Schweizer Fachwerk in seiner schönsten Form. Hinter ihm hingen Bilder, er nahm sogar eines von der Wand, um es in die Kamera zu halten. Pressekonf­erenzen in Zeiten von Corona. Immerhin gewannen die Reporter, die aus aller Welt zugeschalt­et waren, so einen kleinen Eindruck von dem Haus, in dem Vettel mit seiner Familie in der Schweiz lebt. Einige Wochen ist dieses Interview nun her. Mercedes hat am Wochenende ein Gespräch mit Lewis Hamilton aufgezeich­net. Der Weltmeiste­r sitzt vor einer holzvertäf­elten Wand. Die könnte so überall stehen und liefert keinen Hinweis auf die Wohnumstän­de des Briten. Er trägt eine Mütze, sein Bart wirkt etwas struppig. Soll nun aber bloß keiner denken, Hamilton ließe sich gehen und würde tatenlos auf den Saisonauft­akt der Formel 1 warten.

Am 5. Juli soll die Königsklas­se des Motorsport­s in Österreich starten. Der Kurs in Spielberg ist bereit, der Formel 1 als Bühne für ihre Rückkehr zu dienen. Es werden keine Zuschauer vor Ort sein, die

Teams werden abgeschott­et und möglichst keinen Kontakt untereinan­der haben. Der Vorteil Spielbergs ist, dass in der Nähe der Strecke gleich ein Flughafen liegt. Das könnte die Logistik erleichter­n.

Einige Monate müssen die Fahrer mittlerwei­le pausieren. Der Saisonstar­t war für Mitte März in Australien geplant. Alles war vorbereite­t, ehe kurz vor dem ersten Training die Absage kam. „Das war schon surreal. Es waren schwere Tage“, sagt Hamilton. Wie alle anderen musste er aus Australien abreisen, ohne im Auto gesessen zu haben. Freilich aber hatte der Brite Verständni­s für die Verschiebu­ng des Rennens. Ebenso wie für die Absage der folgenden geplanten Auftritte der Formel 1. Die Welt steht still, natürlich damit auch die Formel 1.

„Ein Schock für das System“sei das gewesen, meinte Hamilton. „Es gab Zeiten in den vergangene­n fünf Jahren, in denen ich dachte, dass eine Erholungsp­ause gut für den Körper und den Kopf wäre. Aber für einen Athleten auf dem Höhepunkt ist es nie gut, für ein Jahr wegzugehen. Jetzt wurde uns ein Teil-Sabbatjahr beschert, das genieße ich“, sagt Hamilton. Sechs Wochen sei er nun schon zu Hause. So lange wie noch nie an einem Stück, betont der Brite. Er trainiert fleißig, hält sich fit für den Tag X. Vor allem Muskelgrup­pen, die er bislang zu den Schwachste­llen seines Körpers zählte, bearbeitet er nun kräftig: die Waden zum Beispiel. „Ich fühle mich frischer und gesünder als je zuvor“, sagt der 35-Jährige. Er spüre sogar „mehr Energie, mehr Inspiratio­n und mehr Entschloss­enheit“. Immerhin ist Hamilton auf dem Weg, den Rekord von Michael Schumacher einzustell­en. Sollte in dieser Saison tatsächlic­h noch eine reguläre Weltmeiste­rschaft stattfinde­n, könnte er seinen siebten Titel holen und mit dem deutschen Rekordwelt­meister gleichzieh­en.

Nico Rosberg allerdings bezweifelt, dass sein ehemaliger MercedesTe­amkollege topfit für den Start sein wird. Die lange Pause wirke sich aus, sagt Rosberg bei RTL und ntv. „Ich bin mir nicht sicher, ob er das versteht, wie der Körper sich innerhalb von fünf Monaten abbaut in Sachen Präzisions­gefühl und Fahrkönnen.“Rosberg also befürchtet, dass Hamilton die Situation unterschät­zen könne. Und: „Bei den Fahrern sehe ich zwei Herausford­erungen. Erst mal sind es die Muskeln und gerade die Nackenmusk­eln. Es ist unmöglich, diese Kräfte in deinem Fitnessstu­dio zu trainieren. Was noch komplizier­ter ist, dass sie die Perfektion des Autofahren­s verlernen.“Diese Präzisions­arbeit lasse sich kaum trainieren. Sebastian Vettel hat mittlerwei­le begonnen, an virtuellen Rennen teilzunehm­en. Er hat wohl erkannt, dass das Simulatorf­ahren beim Wiederfind­en der Feinmotori­k helfen könne. Hamilton macht das offenbar noch nicht. Er vertraut auf sich und sein Talent. Ob er sich damit nicht verkalkuli­ert?

 ?? Foto: Britta Pedersen, dpa ?? Lewis Hamilton wartet gespannt auf den Saisonauft­akt. In der Zwischenze­it aber wird es dem Briten trotz Corona-Pause nicht langweilig.
Foto: Britta Pedersen, dpa Lewis Hamilton wartet gespannt auf den Saisonauft­akt. In der Zwischenze­it aber wird es dem Briten trotz Corona-Pause nicht langweilig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany