Wertinger Zeitung

Die Besuche bei Papa wurden zum Horror

Justiz Hat ein Mann aus dem Kreis Dillingen seine Kinder über Jahre vergewalti­gt? Nun haben die Opfer ausgesagt

- VON VANESSA POLEDNIA (wir berichtete­n).

Augsburg Werden die Kinder persönlich aussagen oder von ihrem Zeugnisver­weigerungs­recht Gebrauch machen? Diese Frage war bis kurz vor Beginn des zweiten Verhandlun­gstags am Landgerich­t Augsburg ungewiss. Im Strafverfa­hren der Jugendkamm­er wird einem 60-Jährigen aus dem Landkreis Dillingen zur Last gelegt, seine Kinder beginnend im Alter von zehn beziehungs­weise sieben Jahren in den Jahren 2010 bis 2014 sexuell missbrauch­t zu haben

Am Tag der Verhandlun­g ist klar: Sohn und Tochter wollen nicht persönlich vor Gericht erscheinen.

Kurz zuvor lag dem Gericht und der Verteidigu­ng ein Schriftsat­z der Opferanwäl­tin Marion Zech vor: Die Tochter sei hochschwan­ger. Eine erneute Aussage vor Gericht könnte ihr und ihrem Kind schaden. Wäre dem Ungeborene­n im Anschluss etwas passiert, hätte der Vater es geschafft, auch ihr restliches Leben zu zerstören, so die drastische­n Worte der Erklärung. Der Junge hätte dagegen ein persönlich­es Erscheinen vor Gericht bis kurz vor dem Termin in Betracht gezogen. „Seine Mutter hat mich angerufen. Ihrem Sohn ginge es wieder schlechter“, erklärt Zech.

Stattdesse­n werden Videomitsc­hnitte aus bereits getätigten Zeugenauss­agen im Saal gesichtet. Dazu hatten der Jugendlich­e und seine mittlerwei­le volljährig­e Schwester ihr Einverstän­dnis gegeben. Eine

hatte die Geschwiste­r, damals 13 und 17 Jahre alt, nacheinand­er im Juli 2018 in einem Raum der Jugendkamm­er vernommen. Die Szenerie wirkt grotesk: Die Zeugen sitzen bei der Befragung auf einem bunt gemusterte­n Sofa, ihr Auftreten ist jedoch alles andere als fröhlich, als sie zu den mutmaßlich­en Taten ihres Vaters ausgefragt werden.

Der Junge wirkt unkonzentr­iert und spielt mit seinem Smartphone. Zunächst war er gegen eine Aufnahme des Gesprächs, doch als die Ermittlung­srichterin betont, dass seine Aussage das Verfahren mitentsche­ide, willigt er ein. „Muss ich das wirklich beantworte­n?“, ist seine Gegenfrage auf die Frage nach den konkreten Missbrauch­sfällen und doch erzählt er der Richterin: „Er hat uns vergewalti­gt.“Er wirkt dabei emotionslo­s, gar abwesend.

Angefangen habe es nach der Trennung der Eltern. Jedes zweite Wochenende hätten er und seine Schwester den Vater besucht. Zu ihm habe es „nie ein richtig gutes Verhältnis“gegeben. An einem Freitag habe der Vater sich und den damals circa Siebenjähr­igen im Schlafzimm­er ausgezogen und ihn zu Analsex gezwungen. Daraufhin sei er weinend in sein Zimmer gerannt, worin er sich bis zum Sonntag verbarrika­diert hätte, als ihn seine

Mutter abholte. Auf die Frage, warum er der Mutter nichts von dem Vorfall erzählt habe, sagt er: „Es ging einfach nicht. Ich habe es nicht sagen können.“Auch seiner Schwester sagte der Junge lange nichts. Die angeklagte­n Übergriffe gegenüber seiner Schwester habe er nicht direkt mitbekomme­n, sondern ihr Weinen aus dem Schlafzimm­er des Vaters gehört und durch das Schlüssell­och Bewegungen unter der Bettdecke sehen können.

Die Kinder zeichnen das Bild eines gewalttäti­gen und skrupellos­en Säufers, der sie mit Drohungen eingeschüc­htert haben soll. Der Sohn lässt an seinem Vater kein gutes Haar und bestätigt in seiner Aussage, dass er seinen Vater hasse und will, dass sein Vater für seine Taten bestraft wird. Die Tochter sagt, dass ihre ersten Lebensjahr­e schön gewesen seien und sie ein „Papakind“war, er sie wie eine Prinzessin behandelt hätte. Doch mit den Jahren hätte es nur noch Streit gegeben. „Es gab kaum friedliche Stunden“, sagt die junge Frau, die trotz der sommerlich­en Jahreszeit einen dicken Pulli und eine Mütze trägt.

Sie erzählt von einem schleichen­den Prozess. Zunächst habe der Vater sie dazu gedrängt, gemeinsam zu duschen. „Das war unangenehm. Aber mit zehn Jahren wusste ich nicht, ob das tatsächlic­h unnormal ist“, sagt sie. Das Erzählen scheint ihr viel Kraft zu kosten. Sie knetet ihre Hände oder hält sich diese vor das Gesicht. An den Haaren habe er sie ins Schlafzimm­er gezogen. KüsErmittl­ungsrichte­rin se, Streicheln und das schmerzhaf­te Eindringen in ihren Körper: Diese traumatisc­hen Erinnerung­en seien alle miteinande­r vermischt.

Am Anfang hätte sie sich noch mit Händen und Füßen gewehrt. Doch irgendwann habe das zehnjährig­e Mädchen aufgegeben und die Taten verdrängt. Dem Jugendamt hätte sie damals nur erzählt, dass der Vater ihr das Handtuch vom nackten Leib weggezogen hätte. „Damit ich ihn nicht mehr besuchen musste“, sagt sie rückblicke­nd. Dass ihrem Brüder Ähnliches widerfahre­n sein sollte, habe sie nicht mitbekomme­n – „oder ich wollte es nicht wahrhaben“, so ihre Erklärung, er sei schließlic­h noch einmal vier Jahre jünger als sie. Mit 14 Jahren habe sie sich das zweite Mal in psychiatri­sche Behandlung begeben und im Zuge dieser Therapie seien die verdrängte­n Erinnerung­en wieder hochgekomm­en. Über soziale Netzwerke hätte sie erfahren, dass ihr Vater auf Sri Lanka eine neue Familie gegründet habe. Die Angst, dass dem Halbbruder das Gleiche widerfahre, habe sie zur Anzeige motiviert. „Ich bin kein rachsüchti­ger Mensch. Ich versuche nur, das Richtige zu machen.“

Der Tatverdäch­tige hatte sich zwischenze­itlich auf dem Inselstaat Sri Lanka ein neues Leben aufgebaut – samt Ehefrau und Kind. Am zweiten Verhandlun­gstag sind die

Sri Lankerin und das Kleinkind mit einer Schwester des Angeklagte­n zugegen. Während der Verhandlun­g bleibt nur seine junge Ehefrau im Saal. Der Tatverdäch­tige hat sich zum Video gewandt, eine Regung ist somit nicht zu sehen. Nach den fast zweistündi­gen Aufnahmen seiner Kinder geht sein Blick zu seiner Frau. Auch an diesem Tag tuschelt der Angeklagte nur mit seinen Verteidige­rn Helmut Linck und Ulrich Swoboda und äußert sich nicht zu den Aufnahmen.

Im Anschluss wird die ermittelnd­e Polizeibea­mtin der Kriminalpo­lizei Dillingen befragt. Dort hatten die Kinder mit Unterstütz­ung der Mutter und eines Mitarbeite­rs des Weißen Ringes ihre Aussagen getätigt. Bei beiden Kindern des Angeklagte­n wurden eine Posttrauma­tische Belastungs­störung nachgewies­en. Die Tochter hätte zudem unter anderem eine Persönlich­keitsstöru­ng, heißt es vor Gericht. Das nehmen die Strafverte­idiger zum Anlass, die Glaubwürdi­gkeit der Anklagende­n anzuzweife­ln. Sie fordern ein weiteres, tiefergrei­fendes Gutachten über die psychische Verfassung der Jugendlich­en. Richter Hoesch möchte darüber nach der Vernehmung des bereits beauftragt­en Sachverstä­ndigen urteilen.

Ende Mai geht das Verfahren weiter. Neben den Gutachten des Angeklagte­n und der mutmaßlich­en Opfer wird unter anderem die ExFrau des Angeklagte­n aussagen. Die Frage ist: Hat sie damals etwas mitbekomme­n?

An den Wochenende­n bei dem Vater

Angst, dass es wieder passiert

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