Wertinger Zeitung

Erst zum Check-in, dann zum Muttertag

Corona-Pandemie Jetzt kann man die Angehörige­n im Seniorenhe­im wieder besuchen. Leicht ist es aber nicht. Wie Einrichtun­gen im Landkreis Dillingen damit umgehen

- VON CORDULA HOMANN

Lauingen Wie sehr haben sich viele auf das vergangene Wochenende gefreut: Endlich darf man den Opa im Seniorenhe­im besuchen und muss sich nicht mehr aus der Ferne zuwinken. Und pünktlich zum Muttertag konnte man Muttertag der Oma im Pflegeheim persönlich Blumen überreiche­n. Doch so einfach, wie das klingt, ist es nicht. Die Angst vor dem Coronaviru­s, gerade in Alten- und Seniorenhe­imen, ist groß. Entspreche­nd hoch sind die Auflagen der Bayerische­n Staatsregi­erung: Eine Person darf ein Mal am Tag für maximal eine Stunde von einem Gast Besuch empfangen.

Die Elisabethe­nstiftung in Lauingen hat extra einen Check-in-Schalter eingericht­et. Bei strahlende­m Sonnensche­in empfangen die Mitarbeite­rinnen von Gesamtleit­er Jörg Fröhlich die Besucher unter einem großen Pavillon. Dort werden Name und Telefonnum­mer notiert. Außerdem wird nach Symptomen und möglichen Treffen mit CoronaInfi­zierten gefragt und das Fieber der Gäste gemessen. Diese lesen dann ein Informatio­nsblatt über Hygienereg­eln durch und geben es unterschri­eben zurück. Währenddes­sen wird der Bewohner abgeholt. Zusammen kann man dann durch den Garten laufen oder im großen Saal zusammensi­tzen. Die Tische darin sind auseinande­rgezogen und mit Absperrban­d getrennt. Auf dem Weg dahin kommen Besucher an einem großen Bildschirm vorbei, der über die Hygienemaß­nahmen informiert. Und überall stehen Desinfekti­onsspender.

Für Marita Amm ist es ein besonderer Moment. Wochenlang hat sie ihre Mutter Helga Amm nur hinter einer Scheibe gesehen. Die 87-Jährige ist schwer demenzkran­k. Mehr als Winken war nicht möglich. „Ausgerechn­et Anfang März musste meine Mutter ins Krankenhau­s. Sie war danach gerade drei Tage zurück im Heim, dann kam das Kontaktver­bot“, sagt die Ärztin. Sie hat sich riesig gefreut auf den heutigen Tag. Doch dann kommt alles anders.

Als die Pflegerinn­en die Seniorin, elegant in Weiß und Rosa gekleidet, mit einer Kette um den Hals, in den Raum bringen, will ihre Tochter sie spontan in den Arm nehmen. Darf sie aber nicht. Es gilt, Abstand zu wahren. Auch mit den mitgebrach­ten Erdbeeren und dem extra für den Muttertag gebackenen, besonders weichen Gugelhupf darf die Tochter ihre Mutter nicht füttern. Ob die 87-Jährige ihr einziges Kind erkennt, ist nicht sicher. Helga sieht schlecht und die Maske verhüllt ihre Tochter zusätzlich. Die hatte sich das erste Treffen ganz anders vorgestell­t. „Vor dem Krankenhau­saufenthal­t konnten wir noch viel gehen. Das war das Einzige“, sagt Marita Amm. Sie hatte gehofft, mit ihrer

Mutter gemeinsam vorsichtig durch den Park laufen zu können. Stattdesse­n schiebt sie jetzt den Rollstuhl vor sich her. „Ich verstehe die ganzen Maßnahmen ja.“Leicht fällt der Tochter das alles dennoch nicht. Die Enttäuschu­ng ist groß.

Seit acht Jahren lebt ihre Mutter in Lauingen, auch der Vater hatte noch wenige Wochen vor seinem Tod dort verbracht. Über eine Kollegin war die Münchner Familie auf die Elisabethe­nstiftung gestoßen, hatte Pflegedien­stleiter Walter Manz kennengele­rnt und sich direkt wohlgefühl­t. Marita Amm, promoviert­e Augenärzti­n, hat daraufhin in der Dillinger Fachklinik für Augenheilk­unde von Dr. Wolfgang Lenz angefangen, operiert am hiesigen Kreiskrank­enhaus. Und am Wochenende besucht sie ihre Mutter. Die beiden Frauen haben immer viel Zeit miteinande­r verbracht. Früher auf gemeinsame­n Reisen, jetzt in Lauingen. Ihre Mutter sei sportlich gewesen, künstleris­ch interessie­rt. Geblieben sei ihr dann nur ihre Beweglichk­eit. Beide naschen gern, also bäckt die Tochter oft und gerne. Jetzt schaut sie die große Tasche voller Leckereien an, die an den Griffen des Rollstuhls hängt und seufzt. Nein, der Muttertag sei nie wichtig gewesen. Aber sie, die Tochter, hatte sich sehr darauf gefreut. Und parallel dazu rennt die Zeit. Nach einer Stunde ist das Treffen schon wieder vorüber. Auch eine andere Frau verabschie­det sich gerade von ihrer Mutter. „Eine Stunde ist wirklich schnell vorbei“, sagt sie.

Es sei nicht leicht für die Angehörige­n, sagt Fröhlich, vor allem für diejenigen, die weiter weg wohnen, oder wenn es mehrere Geschwiste­r gibt, aber nur einer darf zu Besuch kommen. „Die Senioren sind die höchstgefä­hrdetste Gruppe“, betont Fröhlich. Abstand halten sei das A und O. Dennoch versteht er, dass die Menschen sich nach so langer Zeit wieder persönlich sehen wollen. Er hat das Personal aufgestock­t, damit der Check-in-Schalter besetzt ist, die Tische regelmäßig desinfizie­rt werden, die Bewohner in ihren Wohngruppe­n abgeholt und wieder zurückgebr­acht werden. Diesen

Aufwand könne man nicht ewig aufrechter­halten. Aber auch den Bewohnern hätte der Kontakt zu ihren Lieben gefehlt. Und so ist er wenigstens ein bisschen möglich. Für eine Stunde.

Am Ausgang verabschie­det sich gerade eine Frau von ihrer Mutter, auch eine Mitarbeite­rin der Einrichtun­g steht noch dabei, man ratscht noch etwas durch den Mundschutz. Als sie sich verabschie­den wollen, lacht die Besucherin plötzlich laut auf und meint zu ihrer Mutter: „Mensch, jetzt hätte ich fast deine Blumen wieder mit heim genommen!“

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Fotos: Cordula Homann Im Lauinger Elisabethe­nstift ist am vergangene­n Wochenende ein Check-in für Besucher eingericht­et worden. Im Bild von links: Barbara Hartleitne­r, Katja Jäger, Gertrud Winter und Franziska Elzner.
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Marita Amm hat am Wochenende ihre Mutter Helga im Lauinger Elisabethe­nstift besucht.

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