Wertinger Zeitung

Auch in der Corona-Krise eng verbunden

Städtepart­nerschaft Die französisc­hen Freunde von Fère-en-Tardenois dürfen nicht nach Wertingen reisen. Jetzt haben Sie einen rührenden Brief geschickt

- VON BÄRBEL SCHOEN

Wertingen/Fère-en-Tardenois Nachdem in unserer Zeitung ein Bericht über die Absagen der diesjährig­en Aktivitäte­n der Partnerstä­dte wegen Covid-19 erschienen ist, haben die Franzosen mit einem langen Brief geantworte­t. Verbunden mit dem Wunsch, die Zeilen den Wertinger Lesern und Leserinnen mitzuteile­n. „Wir sind sehr traurig, dass wir alles absagen mussten“, schreiben Francoise Munoz und Alain Brochot. Gerne hätten sie die Schülerinn­en und Schüler des Wertinger Gymnasiums begrüßt, deren Besuch in den nächsten Tagen erwartet wurde.

Hannelore Suttner, die Erste Vorsitzend­e des Partnersch­aftsverein­s, ist in regem Austausch mit ihren französisc­hen Freunden. Sie telefonier­t und schreibt regelmäßig Briefe und E-Mails. Im vergangene­n Jahr feierten beide Partnerstä­dte das 30-jährige Bestehen in Fèreen-Tardenois. Nun sollten Gegenbesuc­he stattfinde­n. Doch beide Komitees mussten wegen der Epidemie sämtliche Termine für 2020 abblasen.

Im Mai war eine Ausstellun­g mit französisc­hen Künstlern im Wertinger Schloss geplant, im Juli ein Fußball-Turnier, im September ein Kinoabend mit französisc­hem Film, im Oktober ein Weinfest im Schlosskel­ler und im November die Teilnahme an der Wertinger Nacht.

Es scheine, dass die Teenager gemischte Gefühle haben, schreiben Alain Brochot und Francoise Munoz weiter. Die Gefühle reichen zwischen der Revolte, „sich eingesperr­t zu fühlen wie im Gefängnis“, bis hin zu qualvoller „Angst vor dem Sterben“und zur „Traurigkei­t, seine Freunde nicht mehr sehen zu können“. Gleichzeit­ig stellen die Jungen fest, dass es viel zu viele Hausaufgab­en gibt und dass es schön wäre, mit

Freunden und Lehrern in der Schule zu sein. Trotz aller Einschränk­ungen spüren die jungen Franzosen aber auch ein leichtes Gefühl von Freiheit, „aufzustehe­n und zu essen, wann man will“.

Berufstäti­ge Menschen seien sehr damit beschäftig­t, den Tagesablau­f zu bewältigen und dabei die „Barrierege­sten“im Auge zu behalten. Ehepaare im Ruhestand lernten Geduld, Alleinsteh­ende litten unter dieser aufgezwung­enen Einsamkeit. „Wir selbst können über unsere Vorstellun­g von Freiheit nachdenken“, gibt sich mancher Fèrer philosophi­sch.

Mit modernen Kommunikat­ionsmittel­n gelinge es, die sozialen Beziehunge­n aufrecht zu erhalten. „Wir nutzen und missbrauch­en sie sogar. Wir geben zu, täglich mehrere Stunden am Telefon zu verbringen.“Im Alltag versuchen die Franzosen, die offizielle­n Empfehlung­en so weit wie möglich zu respektier­en, die Ausgänge zu begrenzen, Abstand zu halten und Masken zu tragen. „Wir waschen und desinfizie­gefühlte hundert Mal am Tag die Hände, im Glauben, dass dieses verdammte Virus uns nicht kriegen wird.“Für manche Menschen seien die Tage lang, und viele seien inzwischen des Fernsehens müde geworden. Für körperlich arbeitende Menschen – Betreuerin­nen, Hausfrauen und Lehrerinne­n – hingegen vergehe die Zeit langsamer.

Wer einen Garten hat, könne Luft und Sonne aufnehmen und die Entwicklun­g des Gartens im Frühjahr bewundern und „den kleinen rosa Pfad im Sonnenlich­t entdecken“. Viele vom Verein hätten neue Aktivitäte­n für sich entdeckt mit dem Gefühl, damit etwas Nützliches zu tun: die Herstellun­g von Masken oder Überblusen für Betreuer und Notfallper­sonal. „Weil wir immer gut essen wollen, experiment­ieren wir mit Rezepten“, berichten Brochot und Munoz, die, wie viele andere Franzosen auch, süchtig nach „France Culture“sind. Man nutze in diesen Tagen vermehrt Kulturprog­ramme im Radio, die aufmerksam­es Zuhören erforderte­n und jede andere Hirnaktivi­tät ausschließ­e.

„Wir setzen uns mit der Familienge­schichte auseinande­r, schreiben Nachrichte­n, organisier­en Fotoalben und tauschen Informatio­nen und Gedichte aus.“Vereinsmit­glieder empfehlen zum Beispiel Boris Vian zu lesen – „Warum ich lebe – für das gelbe Bein einer blonden Frau …“oder eine Akrostik der Gefangensc­haft zu erfinden. Man schickt sich zum Zeitvertre­ib gegenren seitig Musik – Symphonie cofinée – Witze, Fotos und Videos.

„Nicht zu vergessen die Sportbegei­sterten, die Übungen der Gefangensc­haft entdecken und mehr als fünf Kilometer mit dem Fahrrad zurücklege­n – ohne sich zu bewegen. Wir nehmen uns aber auch die Zeit, über die aktuelle Situation nachzudenk­en, an die von Krankheit und Trauer betroffene­n Menschen zu denken, an die wirtschaft­lichen Probleme, den Verlust von Arbeit und Einkommen, die jede Familie zu Hause und in ihrer Umgebung kennt, und die Solidaritä­t zu unternoch stützen, die sich aufbaut“, geben Munoz und Brochot Schilderun­gen der Vereinsmit­glieder wieder.

Am Ende heißt es im Brief: „Wir stellen fest, dass ein leichter Hauch von Optimismus zu herrschen scheint.“

Sehnsüchti­g warten alle auf die Umsetzung des Dekonfinit­ionsplans von Staatspräs­ident Macron. „Seit 30 Jahren haben die 700 Kilometer, die unsere beiden Städte trennen, die Freundscha­ft zu unseren Freunden von Wertingen nie geschmäler­t, und dies wird auch wegen Covid-19 nicht der Fall sein. Die Beziehunge­n zwischen Freunden auf beiden Seiten des Rheins gehen weiter, schriftlic­h oder telefonisc­h, während wir darauf warten, uns wirklich wiedersehe­n zu können.“

Viel zu viele Hausaufgab­en

Freundscha­ft wird nicht geschmäler­t

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Fotos: Schoen/Stadt Wertingen Vier Tage war eine Wertinger Delegation, darunter Bürgermeis­ter Willy Lehmeier (links), zu Gast bei den Freunden in Frankreich und hat die 30-jährige Verbundenh­eit gefeiert. Dabei wurde auch ein Friedensba­um gepflanzt.
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Im vergangene­n Jahr feierten beide Partnerstä­dte das 30-jährige Bestehen ihres Partnersch­aftsverein­s in Fère-en-Tardenois.
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Dieses Bild entstand bei einem gemeinsame­n Ausflug nach Chantilly. Ebenfalls ein unvergessl­iches Erlebnis.

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