Die Türen zur Kultur müssen endlich wieder offen stehen
In der Krise wurden bisher Theater, Kinos und Konzerthäuser von der Politik hintangestellt. Ihrer Bedeutung wird das nicht gerecht. Höchste Zeit für klare Ansagen
Es ist die Zeit der schönen Worte. „Deutschland ist ein Land der Kultur“, hat die Kanzlerin vor ein paar Tagen verkündet. Womit sie sicherlich recht hat. Gibt es in diesem Land doch sage und schreibe 128 Orchester, 807 Theaterspielstätten, 1743 Kinos und 7270 Museen und Ausstellungshäuser. Zahlen, auf die in Sonntagsreden stolz verwiesen wird, die das Ausland seit jeher mit Neid bestaunt und in deren schierer Strahlkraft sich die Politik auch immer wieder gerne sonnt.
Im Augenblick ist vom Glanz jedoch nicht viel zu sehen. Der Corona-Lockdown mit seinen Radikalschließungen hat die Kultur zum Erliegen gebracht, nicht nur die institutionalisierte, sondern auch die ungemein vielfältige freie Szene. Zwar dürfen seit einer Woche unter strengen Auflagen die Museen wieder öffnen. Theater, Kinos, Konzerthäuser aber haben die Türen nach wie vor geschlossen zu halten. Und die Perspektiven, die ihnen seitens der Politik eröffnet werden, sind noch immer äußerst vage: „Nach Pfingsten“, hieß es zuletzt, vielleicht auch „ab den Sommerferien“oder möglicherweise gar erst im Herbst. Konkreter sind Söder, Sibler & Co. bisher nicht geworden, mit der Folge, dass eine ganze Branche weit überwiegend weiter in der Luft hängt.
Der Fußball rollt schon wieder, Biergärten haben bestuhlt, doch die Kultur steht hintenan in der Krise. Gut, Soforthilfen wurden auf den Weg gebracht, teilweise auch aufgestockt, in Bayern – Kultur ist zunächst Sache der Länder – von 90 auf 200 Millionen Euro. Und Bundesfinanzminister Scholz hat angekündigt, in seinem Konjunkturprogramm auch die Künstler nicht zu vergessen. Laut soll es sich dabei jedoch um deutlich weniger als fünf Milliarden Euro handeln. Wann man die in Relation setzt zu den neun Milliarden Unterstützung, die für einen einzelnen
Konzern wie die Lufthansa im Raum stehen, dann weiß man schon, wo die Prioritäten liegen.
Gelten die Kultur und die kreativen Köpfe also doch nicht so viel wie gerne beschworen, bilden sie doch nicht „die emotionale Seele“, die Ministerpräsident Söder zumindest für sein Bayernland reklamiert? Wie stark der Bedarf an Kultur ist, zeigt ein Blick auf jährliche
Besucherzahlen – 7,3 Millionen zuletzt im Musiktheater, 114 Millionen in Museen, um nur diese Beispiele zu nehmen. Doch der eigentliche Wert der Kultur misst sich nicht in Zahlen. Was uns abgeht, wenn sie weggesperrt ist, wird uns ja gerade bewusst: Mindestens, dass sie einen Ausgleich bildet für die Zumutungen des Alltäglichen. Vor allem aber leistet sie Reflexionsarbeit über uns und unsere Gesellschaft. Was tun wir? Weshalb tun wir es? Tun wir das Richtige? In Zeiten populistischer Strömungen, eines wankenden Kapitalismus und drohender klimatischer Katastrophen sind die kritischen Interventionen der Künste, aber auch ihre kreativen Lösungsvorschläge eine schlichte Notwendigkeit. Umso mehr noch jetzt, wo schon absehbar ist, dass nach Corona wenig mehr so sein wird wie zuvor.
Wir brauchen sie dringend, unsere Theater und Kinos und Kabarettund Konzertbühnen. Weg also mit den Gittern und Schlössern an ihren Türen, noch dazu, wo überall längst Szenarien entwickelt wurden, um die Abstands- und Hygieneregeln umzusetzen. Wenn die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten Mitte der Woche zusammenkommen und über die von den Länder-Kulturministern vereinbarten „Öffnungs-Eckpunkte“zu beraten, müssen unbedingt konkrete Termine auf den Tisch. Damit die Kultur endlich wieder ihr gesellschaftlich nutzbringendes Wirken zu entfalten vermag, und damit dieses Land auch nach Corona ein „Land der Kultur“bleibt.
Gerade merken wir, was wir an der Kultur vermissen