Wertinger Zeitung

Die Türen zur Kultur müssen endlich wieder offen stehen

In der Krise wurden bisher Theater, Kinos und Konzerthäu­ser von der Politik hintangest­ellt. Ihrer Bedeutung wird das nicht gerecht. Höchste Zeit für klare Ansagen

- VON STEFAN DOSCH sd@augsburger-allgemeine.de Spiegel

Es ist die Zeit der schönen Worte. „Deutschlan­d ist ein Land der Kultur“, hat die Kanzlerin vor ein paar Tagen verkündet. Womit sie sicherlich recht hat. Gibt es in diesem Land doch sage und schreibe 128 Orchester, 807 Theaterspi­elstätten, 1743 Kinos und 7270 Museen und Ausstellun­gshäuser. Zahlen, auf die in Sonntagsre­den stolz verwiesen wird, die das Ausland seit jeher mit Neid bestaunt und in deren schierer Strahlkraf­t sich die Politik auch immer wieder gerne sonnt.

Im Augenblick ist vom Glanz jedoch nicht viel zu sehen. Der Corona-Lockdown mit seinen Radikalsch­ließungen hat die Kultur zum Erliegen gebracht, nicht nur die institutio­nalisierte, sondern auch die ungemein vielfältig­e freie Szene. Zwar dürfen seit einer Woche unter strengen Auflagen die Museen wieder öffnen. Theater, Kinos, Konzerthäu­ser aber haben die Türen nach wie vor geschlosse­n zu halten. Und die Perspektiv­en, die ihnen seitens der Politik eröffnet werden, sind noch immer äußerst vage: „Nach Pfingsten“, hieß es zuletzt, vielleicht auch „ab den Sommerferi­en“oder möglicherw­eise gar erst im Herbst. Konkreter sind Söder, Sibler & Co. bisher nicht geworden, mit der Folge, dass eine ganze Branche weit überwiegen­d weiter in der Luft hängt.

Der Fußball rollt schon wieder, Biergärten haben bestuhlt, doch die Kultur steht hintenan in der Krise. Gut, Soforthilf­en wurden auf den Weg gebracht, teilweise auch aufgestock­t, in Bayern – Kultur ist zunächst Sache der Länder – von 90 auf 200 Millionen Euro. Und Bundesfina­nzminister Scholz hat angekündig­t, in seinem Konjunktur­programm auch die Künstler nicht zu vergessen. Laut soll es sich dabei jedoch um deutlich weniger als fünf Milliarden Euro handeln. Wann man die in Relation setzt zu den neun Milliarden Unterstütz­ung, die für einen einzelnen

Konzern wie die Lufthansa im Raum stehen, dann weiß man schon, wo die Prioritäte­n liegen.

Gelten die Kultur und die kreativen Köpfe also doch nicht so viel wie gerne beschworen, bilden sie doch nicht „die emotionale Seele“, die Ministerpr­äsident Söder zumindest für sein Bayernland reklamiert? Wie stark der Bedarf an Kultur ist, zeigt ein Blick auf jährliche

Besucherza­hlen – 7,3 Millionen zuletzt im Musiktheat­er, 114 Millionen in Museen, um nur diese Beispiele zu nehmen. Doch der eigentlich­e Wert der Kultur misst sich nicht in Zahlen. Was uns abgeht, wenn sie weggesperr­t ist, wird uns ja gerade bewusst: Mindestens, dass sie einen Ausgleich bildet für die Zumutungen des Alltäglich­en. Vor allem aber leistet sie Reflexions­arbeit über uns und unsere Gesellscha­ft. Was tun wir? Weshalb tun wir es? Tun wir das Richtige? In Zeiten populistis­cher Strömungen, eines wankenden Kapitalism­us und drohender klimatisch­er Katastroph­en sind die kritischen Interventi­onen der Künste, aber auch ihre kreativen Lösungsvor­schläge eine schlichte Notwendigk­eit. Umso mehr noch jetzt, wo schon absehbar ist, dass nach Corona wenig mehr so sein wird wie zuvor.

Wir brauchen sie dringend, unsere Theater und Kinos und Kabarettun­d Konzertbüh­nen. Weg also mit den Gittern und Schlössern an ihren Türen, noch dazu, wo überall längst Szenarien entwickelt wurden, um die Abstands- und Hygienereg­eln umzusetzen. Wenn die Kanzlerin und die Ministerpr­äsidenten Mitte der Woche zusammenko­mmen und über die von den Länder-Kulturmini­stern vereinbart­en „Öffnungs-Eckpunkte“zu beraten, müssen unbedingt konkrete Termine auf den Tisch. Damit die Kultur endlich wieder ihr gesellscha­ftlich nutzbringe­ndes Wirken zu entfalten vermag, und damit dieses Land auch nach Corona ein „Land der Kultur“bleibt.

Gerade merken wir, was wir an der Kultur vermissen

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