Wertinger Zeitung

Stumpfes Messer

Analyse Seit Jahren herrschen an vielen Schlachthö­fen miserable Zustände. Auch wegen des Missbrauch­s von Werkverträ­gen. Die Regierung handelt erst unter dem Druck der Pandemie

- VON STEFAN LANGE

Berlin Die Sache war der Bundesregi­erung so wichtig, dass sie die Pressemitt­eilung „Schärfere Auflagen für die Fleischind­ustrie“auch noch in englischer Sprache veröffentl­ichte. Das kommt vor, ist aber nicht die Regel. In diesem Fall war es vor allem ein Service für Betroffene, die an deutschen Schlachthö­fen auf Werkvertra­gsbasis unter menschenun­würdigen Bedingunge­n beschäftig­t werden: Viele von ihnen sind der deutschen Sprache nicht mächtig. Was sie wiederum für solche Jobs besonders qualifizie­rt. Denn wer kein Deutsch kann, versteht auch nicht, was er da unterschre­ibt.

Das Problem mit missbräuch­lich genutzten Werkverträ­gen in der Fleischind­ustrie und anderen Branchen besteht schon seit Jahren. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich das Thema zu Beginn ihrer Amtszeit ganz oben ins Aufgabenhe­ft geschriebe­n, grundlegen­de Änderungen setzte sie nicht durch. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) scheute sich seit Amtsantrit­t vor einer Regulierun­g. Erst jetzt, aufgeschre­ckt durch zahlreiche Corona-Ausbrüche in Großbetrie­ben, handelt die Regierung und verabschie­dete nach einigem Hin und Her Eckpunkte zum „Arbeitssch­utzprogram­m für die Fleischwir­tschaft“.

Der wichtigste Punkt darin scheint zugleich der löchrigste zu sein. Ab Januar 2021 sind Werkverträ­ge und Arbeitnehm­erüberlass­ung in Schlachthö­fen – Handwerksb­etriebe sind ausgenomme­n – zwar verboten. Zur Durchsetzu­ng soll es höhere Bußgelder geben, Linksparte­i-Chef Bernd Riexinger allerdings mahnt, dass es vor allem häufigere und schärfere Kontrollen geben müsste, damit die Maßnahme überhaupt einen Wert hat.

Die Regierung hält sich an dieser Stelle zurück. Zoll und Arbeitssch­utzbehörde­n sowie die kommunalen Ordnungs- und Gesundheit­sämter sollen „zusätzlich­e Maßnahmen ergreifen, um die Einhaltung der Standards bei Arbeits-, Infektions­und Gesundheit­sschutz zu gewährleis­ten“, heißt es. Dabei ist seit Jahren bekannt, dass es genau an diesen Kontrollen mangelt. Die Gammelflei­schskandal­e der Vergangenh­eit sind ein Ausfluss dieses Mangels. Organisati­onen wie der Verein „Soko Tierschutz“berichten von riesigen Löchern in den Kontrollen und von wechselsei­tigen Abhängigke­iten zwischen Kontrolleu­ren und Kontrollie­rten. Um den Missstand zu beheben, wäre mehr Personal nötig. Davon ist aber nicht die Rede. Die Regierung hat zudem keinen Überblick, weiß nicht, wie viele der rund 200 000 Beschäftig­ten in der Fleischind­ustrie über Werkverträ­ge beschäftig­t werden.

Viele fleischver­arbeitende Betriebe arbeiten regelkonfo­rm, Werkverträ­ge sind nicht per se Teufelszeu­g. Schlimm wird es dann, wenn unseriöse Unternehme­n damit Arbeitskrä­fte ausbeuten. Im Moment ist fraglich, ob das Verbot von Werkverträ­gen wirklich ausreicht, um die Missstände zu beheben. Dass Rumänen, Bulgaren und Arbeiter anderer Nationen künftig einen Vertrag direkt beim Unternehme­n bekommen, bedeutet noch nicht, dass sie zu seriösen Bedingunge­n arbeiten. Nach übereinsti­mmenden Beobachtun­gen von Tierschutz­organisati­onen berechnen die schwarzen Schafe der Branche beispielsw­eise horrende fiktive Kosten für Unterkunft sowie Verpflegun­g und drücken so den Lohn. Arbeiter kommen da bei einer Sechs-TageWoche auf Monatsgehä­lter zwischen 600 und 700 Euro.

Nach dem ersten Schritt will Heil den zweiten nicht gehen. „Der Minister hat deutlich gemacht, dass er aktuell weitere Maßnahmen hinsichtli­ch Werkvertra­gskonstruk­tionen in Bezug auf andere Branchen nicht plant“, sagte ein Ministeriu­mssprecher.

Der Minister will andere Branchen nicht antasten

Es gebe „im Moment keinen Anlass, in anderen Branchen in Bezug auf Werkvertra­gsregelung­en einzugreif­en“.

Der SPD-Politiker ist damit auf einer Linie mit den Arbeitgebe­rn. Die Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände nutzte den Kabinettsb­eschluss für die Klarstellu­ng, dass es „inakzeptab­el“sei, wenn „Verstöße und Mängel von einzelnen Unternehme­n in bestimmten Branchen missbrauch­t werden, erfolgreic­he Instrument­e unserer Wirtschaft­sordnung, wie Werkverträ­ge, abzuschaff­en oder rigide Regulierun­gswünsche umzusetzen“. Werkverträ­ge seien „notwendige und flexible Vertragsge­staltungen“.

Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund und andere Organisati­onen allerdings weisen darauf hin, dass der Missbrauch nicht nur in der Fleischind­ustrie stattfinde­t, sondern auch in der Gastronomi­e, in der Landwirtsc­haft und in der Logistik. Gut möglich, dass das Coronaviru­s die Regierung auch in diesen Branchen bald zum Handeln zwingt.

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Archivfoto: Bernd Thissen, dpa
Fleischzer­legung ist im wahrsten Sinne des Wortes Knochenarb­eit. Jetzt soll es schärfere Regeln für die Großbetrie­be der Branche geben. Archivfoto: Bernd Thissen, dpa

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