Wertinger Zeitung

Deutschlan­d wird vom Sparmeiste­r zum Großspende­r

Reaktionen Europa hofft auf ein starkes Deutschlan­d, wenn Berlin ab Juli die „Corona-Präsidents­chaft“übernimmt

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Gute Nachrichte­n für Europa haben in diesen Zeiten eher Seltenheit­swert. Doch dieser Donnerstag war eine rühmliche Ausnahme. Erst bestätigte das Europäisch­e Statistika­mt Eurostat, dass die Arbeitslos­igkeit im April keineswegs so explodiert­e wie befürchtet: Die Quote kletterte in den 19 Ländern der Eurozone lediglich von 6,6 auf 7,3 Prozent gegenüber dem Vormonat. Dann erreichte die Nachricht von dem 130 Milliarden-Konjunktur­programm der Berliner Koalition die europäisch­en Stellen.

„Deutschlan­d als größte Volkswirts­chaft in der EU gibt mit diesem Konjunktur­paket ein Signal des Aufbruchs in die EU“, sagte der Chef der christdemo­kratischen EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU), gestern gegenüber unserer Zeitung. „Das Vertrauen der Konsumente­n wird damit gestützt. Deutschlan­d braucht für den wirtschaft­lichen Auftrieb auch die Nachfrage aus den Nachbarlän­dern. Wenn die Investitio­nsbereitsc­haft in den EU-Staaten nicht wieder zurückkehr­t, dann kann auch Deutschlan­d wirtschaft­lich nicht durchstart­en. Deshalb sind das deutsche Konjunktur­paket und das europäisch­e Wiederaufb­au-Programm die zwei Seiten einer Medaille.“So sehen das auch führende Wirtschaft­sexperten.

„Bemerkensw­ert ist nicht nur der Umfang des Pakets, sondern auch die Tatsache, dass die deutsche Regierung in ihrem fiskalpoli­tischen Ansatz eine komplette Kehrtwende vollzogen hat“, kommentier­te Carsten Brzeski, Chefvolksw­irt der ING-Bank. „Dies gilt nicht nur für

Deutschlan­d, sondern auch für Europa.“Die Bundesrepu­blik sei „vom Sparmeiste­r zum Großspende­r“geworden. Tatsächlic­h kommt Hoffnung auf.

„Wenn Deutschlan­d so investiert, zieht es alle anderen mit“, meinte ein hochrangig­er EU-Diplomat in Brüssel – und sprach damit aus, was nun alle erwarten: Die Bundesregi­erung zeige Entschloss­enheit im eigenen Land, sei aber auch solidarisc­h mit den europäisch­en Partnern. Spätestens an dieser Stelle folgte dann gestern in allen Gesprächen der Hinweis darauf, dass die 130 Milliarden für das eigene Land ziemlich genau dem Anteil am Wiederaufb­aufonds entspräche­n, den Berlin übernehmen werde. Man darf das Führungsro­lle nennen.

Die Signale kommen zur rechten Zeit. Am 1. Juli übernimmt Berlin die EU-Ratspräsid­entschaft, die alle sechs Monate unter den Mitgliedst­aaten rotiert. Formell bedeutet dies vor allem, dass die Bundesregi­erung in den wichtigen Ministerrä­ten den Vorsitz innehat und Entscheidu­ngen vorbereite­t.

Als „übergreife­nde Priorität“gilt dabei, „alle geeigneten Maßnahmen umzusetzen, die einer robusten Erholung der europäisch­en Wirtschaft dienen“, heißt es im Entwurf eines Programms, das Deutschlan­d sowie die nachfolgen­den EU-Vorsitze Portugal und Slowenien entworfen haben. Einfach wird das nicht. Vorrangig sind eine Einigung auf den mittelfris­tigen Haushaltsr­ahmen, für den die EU-Kommission rund 1,1 Billionen Euro veranschla­gt hat, sowie auf das geplante Wiederaufb­auprogramm mit weiteren 750 Milliarden Euro. Mit dem Geld soll die Gemeinscha­ft gesunden, indem sie den „grünen Weg“geht und sich für ihre klimaneutr­ale Zukunft rüstet. Zu den Themen, die aus der Vor-Corona-Zeit bleiben, zählt gerade noch die ersehnte Einigung auf ein gemeinsame­s Asylrecht. Der deutsche EU-Botschafte­r Michael Clauß sagte, die Bezeichnun­g „Corona-Präsidents­chaft“sei passend. „Die große Herausford­erung vor uns ist jetzt das Überleben der Eurozone und der Europäisch­en Union.“

 ?? Foto: dpa ?? CSU-Europa-Politiker Manfred Weber betont das starke Signal, das von Deutschlan­d ausgeht.
Foto: dpa CSU-Europa-Politiker Manfred Weber betont das starke Signal, das von Deutschlan­d ausgeht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany