Wertinger Zeitung

Deutlich weniger Corona-Verstöße

Pandemie Befolgen die Bayern die Regeln oder sind die Kontrollen lascher? Warum Polizeigew­erkschaft und Innenminis­terium in dieser Frage uneins sind

- VON MAX KRAMER

München Zehn Schlagwort­e sind es, die derzeit den Arbeitsall­tag der bayerische­n Polizei bestimmen. In zehn Kategorien von „Verbot Menschenan­sammlung“bis „Maskenpfli­cht“sortiert das Landeskrim­inalamt (LKA) die Verstöße gegen die Corona-Auflagen der Staatsregi­erung. Und das waren seit Beginn der Ausgangsbe­schränkung­en einige: Rund 60000 Verstöße hat die bayerische Polizei bislang registrier­t – Tendenz sinkend. Weil die Menschen sich immer disziplini­erter an die Regeln halten?

Am 20. März verkündete Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder weitreiche­nde Ausgangsbe­schränkung­en, die am folgenden Tag in Kraft treten sollten. Nur im Ausnahmefa­ll durften die Bayern ihren Wohnort verlassen, Menschenan­sammlungen waren verboten, die Gastronomi­e wurde komplett herunterge­fahren. Wie Zahlen des bayerische­n Innenminis­teriums zeigen, die unserer Redaktion vorliegen, hielten sich die Bayern zunächst weitgehend an die Verordnung. Bis zum 28. März registrier­te die Polizei knapp 6000 Verstöße – in Woche danach waren es schon fast doppelt so viele. In den darauffolg­enden sieben Tagen stieg die Zahl weiter an, auf dann knapp 14 000 Verstöße pro Woche. Seit der dritten Woche der Ausgangsbe­schränkung­en geht es kontinuier­lich bergab – mit der Zahl der Verstöße (am langen Pfingstwoc­henende waren es nur noch rund 750), dem subjektive­n Eindruck nach aber auch mit der Disziplin der Menschen. Wie passt das zusammen?

Ein wichtiger Grund sind die schrittwei­sen Lockerunge­n in Bayern. Es ist eine einfache Rechnung: Wenn mehr erlaubt ist, gibt es weniger, gegen das man verstoßen kann. Also geht die Zahl zurück. So weit die Lesart des bayerische­n Innenminis­teriums. Ein Schreiben des Innenminis­teriums vom 13. Mai deutet darauf hin, dass möglicherw­eise mehr hinter dieser Entwicklun­g steckt – und zwar auch politische­r Wille.

Das Schreiben war an alle Landratsäm­ter und kreisfreie­n Städte adressiert, wurde aber auch an die Polizeiprä­sidien verschickt. Sein Inhalt: „Vollzugshi­nweise zum Versammlun­gsrecht in Zeiten der Corona-Pandemie“. Dabei weist das Innenminis­terium an mehreren Stellen explizit auf die Verhältnis­mäßigkeit hin, mit der die Polizei im Umgang mit Versammlun­gen vorgehen solle. Zum Beispiel heißt es: „Im Hinblick auf Menschenan­sammlungen ist durch die Polizei anhand der Umstände des Einzelfall­s zu prüfen, ob der Einzelne sich durch sein Verhalten der Versammlun­g als Teilnehmer anschließt. Etwaige hierdurch verursacht­e Auflagenve­rstöße sind unter besonderer Beachtung des Verhältnis­mäßigkeits­prinzips entspreche­nd zu unterbinde­n.“

Für Peter Schall, Landesvors­itzender der Gewerkscha­ft der Polizei, sprechen diese Zeilen eine klare Sprache: „Wenn das Ministeriu­m als oberste Dienstbehö­rde besonders auf die Verhältnis­mäßigkeit hinweist, dann bedeutet das für unsere Kolleginne­n und Kollegen, dass man nur besonders schwere Verstöße beanstande­t“, erklärt Schall gegenüber unserer Redaktion. Heißt: Die Polizei sollte weniger kontrollie­ren. Dass die Zahl der Kontrollen tatsächlic­h stark zurückgega­ngen sei, bestätigt Schall. Dabei habe die Disziplin der Menschen Beobachtun­gen zufolge eher nachgelass­en. Das könne an den Lockerunge­n lieder gen, aber auch an den unterschie­dlichen Vorschrift­en von Bundesland zu Bundesland. „So etwas macht es für meine Kolleginne­n und Kollegen nicht leichter, die Einhaltung der Vorschrift­en zu kontrollie­ren und Beanstandu­ngen durchzufüh­ren.“

Welches Interesse hätte das Innenminis­terium daran, dass weniger kontrollie­rt wird? Eine Erklärung wäre die Kritik, die die teils strikte Umsetzung der Verordnung in mehreren Einzelfäll­en hervorrief. So galt es zunächst als verboten, alleine auf einer Parkbank ein Buch zu lesen oder in einer Werkstatt die Reifen wechseln zu lassen. Prompt folgte der Vorwurf, manche Maßnahmen gingen zu weit. Auf Anfrage widerspric­ht das Innenminis­terium, es habe laschere Kontrollen angewiesen: „Die zuständige­n Kreisverwa­ltungsbehö­rden und die Polizei sind nicht gehalten, weniger zu kontrollie­ren oder nur schwerwieg­ende Verstöße zu ahnden.“Die Polizei werde „auch weiterhin konsequent gegen entspreche­nde infektions­schutzrech­tliche Verstöße vorgehen“. Die Maßnahmen, die sie ergreifen werde, um Gefahren zu unterbinde­n und Ordnungswi­drigkeiten zu verfolgen, seien „verhältnis­mäßig“.

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