Wertinger Zeitung

Arbeitslos­igkeit ist sozialer Sprengstof­f

Immer mehr Menschen verlieren wegen Corona ihren Job. Für Angst vor Massenarbe­itslosigke­it aber besteht bislang kein Anlass – dank der Kurzarbeit

- VON STEFAN KÜPPER kuep@augsburger-allgemeine.de

Wem diese Woche, als die Bundesagen­tur für Arbeit die Mai-Statistik veröffentl­ichte, etwas unbehaglic­h wurde, dem hilft vielleicht ein Blick in die USA. Dort wurden am Freitag die jüngsten Arbeitsmar­ktdaten präsentier­t. Sie waren zwar besser als erwartet, dennoch haben in den Vereinigte­n Staaten seit März über 42 Millionen Menschen zumindest zeitweise ihren Job verloren. Gemessen daran wirken die deutschen Zahlen fast moderat. Zwar ist der Frühjahrsa­ufschwung ausgeblieb­en, zwar gibt es nun 2,8 Millionen Arbeitslos­e – 169 000 mehr als noch im April –, zwar haben wohl insgesamt rund 580 000 Menschen wegen Corona ihren Job verloren, aber, so mag man denken: Es hätte, siehe USA, auch weitaus schlimmer kommen können.

Nun ist es ein Phänomen dieser Pandemie und der von ihr verursacht­en wirtschaft­lichen Folgeersch­einungen, dass sich ansonsten schwindele­rregend hohe Zahlen relativier­en: neulich über eine Billion Euro zum Schutz gegen die Krise, jetzt 130 Milliarden Euro für das Konjunktur­paket. Alles, was da im Millionenb­ereich bleibt, wirkt irgendwie gleich beherrschb­arer. Nun sollen hier Staatshilf­en nicht mit der Arbeitsmar­ktstatisti­k (also Menschen) verglichen werden, auch wenn erstere auf letztere hoffentlic­h zeitnah erheblich Einfluss nehmen. Aber gerade angesichts dieser schleichen­den Entwertung gewaltiger Summen im Kopf sei hier eigentlich Selbstvers­tändliches noch mal betont: Jeder einzelne Arbeitslos­e ist einer zu viel. Weshalb die Zahlen der Bundesagen­tur sehr hellhörig machen sollten. Nicht nur, weil die Drei-Millionen-Grenze nicht weit ist.

Ein Wesensmerk­mal von Statistike­n ist, dass sie entpersona­lisieren. Wer aber zum Beispiel mit Seelsorger­n spricht, die sich um Langzeitar­beitslose kümmern, dem wird nachdrückl­ich in Erinnerung gerufen, was man eigentlich weiß, aber gerne verdrängt, solange es einen nicht betrifft: Wer arbeitslos wird, bekommt einen Schicksals­schlag, den viele immer schwerer wegstecken, je länger dieser Zustand anhält. Neben den finanziell­en Einbußen und allem, was das nach sich zieht, stigmatisi­ert Arbeitslos­igkeit und löst oft Scham bei den Betroffene­n aus. Das kann in die Isolation führen und wird – neben erhebliche­n Kosten für den Staat – schnell zu einem politische­n Problem. Je mehr Jobsuchend­e es gibt, umso größer wird es. Arbeitslos­igkeit ist sozialer Sprengstof­f. Wenn sie – wie durch Corona – unverschul­det ist, wird die Sprengkraf­t größer.

Man muss daher, je länger diese Pandemie dauert, umso dankbarer für das Instrument der Kurzarbeit sein. So hart sie auch für viele sein mag: Kurzarbeit hat Massenentl­assungen, siehe USA, verhindert.

Die Bundesagen­tur für Arbeit geht davon aus, dass bis Ende April rund sechs Millionen Menschen in Deutschlan­d in Kurzarbeit waren. Im Mai waren es laut Münchner Ifo-Institut 7,3 Millionen Beschäftig­te. In der Finanzkris­e waren es zur Spitzenzei­t im Mai 2009 „nur“knapp 1,5 Millionen.

Das allmählich­e Wiederhoch­fahren führt in der Wirtschaft hoffentlic­h bald zu einem späten, aber nachhaltig­en Frühlingse­rwachen mit spürbaren Effekten auf dem Arbeitsmar­kt. Die Unternehme­n hätten den weiteren Ifo-Angaben zufolge ursprüngli­ch 10,1 Millionen Arbeitnehm­er zur Kurzarbeit gemeldet. Das lotet die Tiefe des Corona-Abgrunds deutlich aus. Kurzarbeit kann man zwar ausdehnen, aber nicht unbegrenzt.

Das Konjunktur­paket der Bundesregi­erung mit seiner befristete­n Mehrwertst­euersenkun­g hat für eine Erholung der Wirtschaft und damit des Arbeitsmar­ktes gute Voraussetz­ungen geschaffen. Eine Wette auf die Konsumlaun­e der Leute bleibt es dennoch. Was, wenn diese nicht aufgeht?

Es hätte auch deutlich schlimmer kommen können

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany