Wertinger Zeitung

„7000 Jahre Kulturen aus ganz Europa“

Archäologi­e Der Landkreis Augsburg bietet viele archäologi­sche Fundstücke. Kreisheima­tpflegerin Gisela Mahnkopf erzählt, was außer dem Reiter von Nordendorf noch im Boden steckt

- Interview: Sören Becker

Frau Mahnkopf, was macht eigentlich eine Kreisheima­tpflegerin?

Gisela Mahnkopf: Ich sehe mich als Verbindung zwischen den Bürgern und der amtlichen Archäologi­e, also dem Landesamt für Denkmalpfl­ege und der Unteren Denkmalsch­utzbehörde. Ich bin Ansprechpa­rtnerin im Landratsam­t für alles, was mit Archäologi­e zu tun hat. Mein Ziel und mein Wunsch ist es, alles, was ich an der Archäologi­e so spannend finde im Bewusstsei­n der Bevölkerun­g zu verankern. Denn wer sich damit beschäftig­t, der findet das Thema auch fast immer spannend. Außerdem muss ich, wenn ein Bauprojekt geplant ist, einschätze­n, ob eine Grabung erforderli­ch ist.

Wie sind Sie in dieses Amt gekommen? Mahnkopf: Ich habe vor über 40 Jahren vom Arbeitskre­is für Vor- und Frühgeschi­chte gelesen und mich dort engagiert. Ich habe viel Zeit auf Grabungen verbracht und dort mitgeholfe­n. Als mein Vorgänger Otto Schneider krank wurde, durfte ich ihn vertreten. Die Gutachten bei Bauplanung­sverfahren kannte ich ja als Architekti­n schon von der anderen Seite. Nach Ottos Tod wurde ich zu seiner Nachfolger­in berufen.

Welche Grabung hat Ihnen am meisten Freude gemacht?

Mahnkopf: Jede Grabung ist spannend. Am meisten Freude hatte ich an der Lehmgrube Creaton in Langenreic­hen. Wir haben einen Knochen aus einem Gräberfeld der

Münchshöfe­ner Kultur ragen sehen. Ich wusste einfach, dass ich ihn nicht einfach rausziehen kann. Also legten wir ihn vorsichtig frei und fanden ein Kindergrab. Ein etwa siebenjähr­iges Kind in einem aufwendige­n Grabenwerk. Welche Geschichte da einfach hinterstec­kt. Man konnte an der Lage der Knochen sehen, wie liebevoll das Kind bestattet wurde. Das hat mir eins vor Augen geführt: Die Menschen haben vor 4500 Jahren genau so empfunden wie du und ich. Sie hatten die gleichen Gefühle und

Bedürfniss­e. Das hat mich sehr berührt. Und das war nicht der einzige beeindruck­ende Fund von dort.

Erzählen Sie gerne weiter. Mahnkopf: In der gleichen Lehmgrube haben wir Gräber aus der Glockenbec­herkultur gefunden. Vom Ende der Steinzeit vor 4000 Jahren wohlgemerk­t. Trotzdem hatten sie aber Perlen, Becher, Schmuck und Bleche aus Gold und Silber. Die müssen über Handel oder Kulturtran­sfer dorthin gelangt sein. Wahrschein­lich aus Spanien. Das Augsburger Land war also schon immer im Zentrum unseres Kontinents. Schon vor 7000 haben sich hier die Kulturen gegenseiti­g getroffen und weitergebr­acht. Das ist im Grunde der europäisch­e Gedanke. Dieser kulturelle Austausch hat uns zu dem gemacht, was wir heute sind. Und das kann man auch an diesen Gräbern ablesen.

Was ist eigentlich der Unterschie­d zwischen Archäologi­e und Geschichte? Mahnkopf: Das ist eine Frage, die mir egal ist. Ich setze auf Interdiszi­plinarität. Wenn ich mit der Hochschule Augsburg zusammenar­beite, beteiligen sich Informatik­er, Geologen, Botaniker und alle möglichen naturwisse­nschaftlic­hen Fachrichtu­ngen. Das sorgt für die tollsten Ergebnisse.

Wo gegraben wird, kann erst mal nicht gebaut werden. Das sorgt wahrschein­lich häufig für Widerspruc­h bei Politik und Bauherren?

Mahnkopf: Manchmal schon. Dafür habe ich auch Verständni­s. Wenn im Augsburger Land gebaut wird, gibt es immer eine gute Chance, dass man auf archäologi­sche Fundstelle­n stößt. Dann ist eine Grabung erforderli­ch und vorgeschri­eben. Wenn wir als Arbeitskre­is für Vor- und Frühgeschi­chte die Ausgrabung übernehmen, tun wir das kostenfrei, aber wir brauchen als Ehrenamtle­r natürlich viel länger als eine profession­elle Grabungsfi­rma. Da man vorher nie weiß, wie viel man findet, kann es auch durchaus länger dauern. Da spürt man den Zeitdruck. Meistens klappt das aber ganz gut.

Warum gibt es im Landkreis Augsburg so viele archäologi­sche Funde? Mahnkopf: Die Gegend hier war schon immer ein begünstigt­es Gebiet, das sich gut für Siedlungen geeignet hat. Die Flüsse, wie etwa der Lech, haben den Warentrans­port deutlich erleichter­t. Deswegen gibt es im Lechtal viele Fundstelle­n. Die Via Claudia war ein wichtiger Verkehrswe­g für die Römer. In den Westlichen Wäldern gibt es zwar nur selten Grabungen, aber dort gibt es Keltenscha­nzen, Bronzezeit­funde, Römerstraß­en. Man muss dort viele Fundstelle­n vermuten. Das war ja nicht immer Wald da.

Was war dort vorher?

Mahnkopf: Bis ins Spätmittel­alter waren dort Äcker. Man kann ihre Spuren noch im digitalen Geländemod­ell sehen. Die dichten Wälder, die wir heute sehen, sind also noch gar nicht so alt.

Wie werden diese Forderunge­n aufgenomme­n?

Mahnkopf: Im Moment werden sie wegen Corona wohl eher belächelt. Ich will die Vision aber nicht aufgeben. Kultur ist ein Grundbedür­fnis des Menschen. Das wird häufig vergessen und das ist schade. Wir wollen schließlic­h nicht als kulturlose Epoche in die Geschichte eingehen.

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Foto: Sören Becker Gisela Mahnkopf vor einem antiken Webstuhl in der Mühle des Arbeitskre­ises für Vor- und Frühgeschi­chte.

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