Nordkorea muss seine Diktatur abschütteln
Mit der Sprengung eines Grenzbüros verschärfen sich die Spannungen in der Region. 70 Jahre nach dem Ausbruch des Koreakriegs ist das ein beunruhigendes Signal
Im Koreakrieg starben vier Millionen Menschen
Nordkorea hat nicht nur ein Gebäude gesprengt, sondern vorerst auch die Hoffnung auf eine Aussöhnung zwischen den beiden Staaten. Was nach der Detonation von dem innerkoreanischen Verbindungsbüro auf der nordkoreanischen Seite des Grenzgebiets übrig blieb, war ein eindeutiges Signal: Das Büro, das einmal als Stein gewordenes Symbol für die Annäherung zwischen Nord und Süd galt, lag in Trümmern.
Für die Staaten, die sich offiziell noch immer im Kriegszustand befinden und formal keine diplomatischen Beziehungen miteinander unterhalten, diente das Gebäude de facto als Botschaft. Eröffnet wurde es im Zuge des ersten Gipfeltreffens zwischen Präsident Moon Jae In und Machthaber Kim Jong Un im Jahr 2018. Bis Januar arbeiteten dort Delegationen der zwei Staaten Seite an Seite. Dann wurde das vierstöckige Gebäude aus Stahl und Glas aufgrund der CoronavirusPandemie geschlossen.
Für langjährige Beobachter des Koreakonflikts ist die jetzige Eskalation besonders bitter: Viele Pessimisten nahmen Nordkoreas Annäherung an die Welt vor zwei Jahren nicht ernst. Ein großer Teil der Südkoreaner hegte jedoch große Hoffnungen darauf, dass nun endlich Frieden einkehren könnte – auch wenn auf ähnliche Träume in der Vergangenheit stets ein böses Erwachen folgte.
Doch mit Präsident Moon Jae In gelangte in Seoul endlich ein Politiker ins Präsidentenamt, für den die Aussöhnung mit dem Norden eine Herzensangelegenheit zu sein schien – schon allein wegen seiner Familiengeschichte. Moons Vater flüchtete während des Kriegs Anfang der 50er Jahre auf einem UN-Boot in den Süden, wo der heutige Staatschef in einem ärmlichen Flüchtlingscamp aufwuchs. Dass seine Landsleute auch den nördlichen Teil der koreanischen Halbinsel besuchen können, ist eine der wichtigsten Visionen des südkoreanischen Präsidenten.
Für viele aus der Generation jener Südkoreaner, die den Koreakrieg noch erlebt haben, galt die kurz anhaltende Charme-Offensive zwischen Kim Jong Un und Moon als letzte Chance auf eine Wiedervereinigung. Genau 70 Jahre liegt der Ausbruch der Auseinandersetzungen nun zurück. Unter
Historikern wird der Konflikt auch als der „vergessene Krieg“bezeichnet – und das nicht zu Unrecht: Auch wenn die drei Jahre andauernde bewaffnete Auseinandersetzung laut Schätzungen vier Millionen Menschenleben gefordert hat, ist sie doch in weiten Teilen der Weltgemeinschaft längst nicht mehr präsent.
In Südkorea ist das naturgemäß anders: In die kollektive Psyche der Nation hat sich das Schicksal der
Familien eingebrannt, die seit den Kriegswirren in Nord und Süd geteilt wurden. Das Regime im Norden allerdings setzte die spärlich gesäten „Familienzusammenführungen“immer nur als politisches Druckmittel ein.
Südkoreas Regierung muss spätestens jetzt einsehen, dass es zwar als Vermittler in diesem Konflikt agieren kann, letztendlich jedoch machtlos bleibt: Denn Nordkorea wird sich der Welt nur öffnen, wenn es die grausame Diktatur abschüttelt. Erst dann kann das Land auch seine Feindseligkeit gegenüber den USA überwinden – auch wenn diese Feindschaft seine Wurzeln in dem Krieg von vor 70 Jahren hat. Nicht zuletzt aufgrund der historischen Narben: In der nordkoreanischen Geschichtsschreibung sind die amerikanischen Imperialisten dafür verantwortlich, dass das Land in Schutt und Asche gelegt wurde.
Doch Pjöngjang nutzt dieses Feindbild aus, um sein totalitäres Regime vor der Bevölkerung zu legitimieren. Dass vor allem das einfache Volk darunter leidet, nimmt die Kim-Dynastie in Kauf.