Wertinger Zeitung

Die Ärmsten leiden am meisten unter dem Virus

Gesundheit Wo die Gemeinsamk­eiten der neuen Corona-Ausbrüche liegen

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg Innerhalb kurzer Zeit wurden in Deutschlan­d mehrere neue Corona-Ausbrüche gemeldet – in einer Fleischfab­rik bei Gütersloh, in einem Hochhaus in Göttingen, in mehreren Wohnblöcke­n in Berlin. Drei Orte, die in verschiede­nen Teilen des Landes liegen – und doch Gemeinsamk­eiten aufweisen: An allen Corona-Hotspots leben oder arbeiten Menschen eng beieinande­r, oftmals unter prekären Bedingunge­n. Für SPD-Chef Norbert Walter-Borjans zeigt sich in diesen Fällen die soziale Dimension der Krise: „Corona ist eine riesige Herausford­erung für die gesamte Gesellscha­ft“, betonte Walter-Borjans in einem Interview. „Aber es gibt keinen Zweifel, dass auch hierzuland­e die gesundheit­lichen Risiken für Menschen mit geringerem Einkommen de facto größer sind – schon allein deshalb, weil sie in beengteren Verhältnis­sen leben und arbeiten.“

Die Grünen fordern, ärmere Menschen mehr in den Blick zu nehmen: „Die Pandemie hat eine soziale Dimension und Schieflage, gegen die die Bundesregi­erung viel stärker ankämpfen muss“, sagte die Fraktionsc­hefin der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, dem RND. „Die Bundesregi­erung muss einen Plan vorlegen, wie die wirtschaft­lich Schwächste­n in unserer Gesellscha­ft nicht zu Kranken werden“, betonte sie. Laut einer Analyse der Uniklinik Düsseldorf und der AOK haben Hartz-IVEmpfänge­r ein um 84 Prozent höheres Risiko, mit Covid-19 ins Krankenhau­s zu kommen als Menschen mit einer festen Anstellung.

Vor allem der Fleischbet­rieb der Firma Tönnies im nordrhein-westfälisc­hen Kreis Gütersloh ist in dieser Woche in den Fokus geraten. Mehr als 730 Mitarbeite­r haben sich dort mit dem Coronaviru­s infiziert, rund 7000 Menschen aus der Region wurden in Quarantäne geschickt. Die Produktion in dem Betrieb steht nahezu still, Schulen und Kindergärt­en wurden geschlosse­n, da unter den Beschäftig­ten viele Eltern von Schulkinde­rn sind.

Warum es in dem Fleischbet­rieb zu einem massenhaft­en CoronaAusb­ruch kam, ist noch unklar. Der Leiter des Pandemiest­abs bei Tönnies, Gereon Schulze Althoff, hatte betont, dass die Arbeitsbed­ingungen vor Ort – vor allem das Arbeiten in stark gekühlten Räumen – die Ausbreitun­g des Virus fördern könnten. Außerdem seien viele der ausländisc­hen Mitarbeite­r über ein langes Wochenende heim nach Rumänien oder Bulgarien gereist, wo sie sich möglicherw­eise angesteckt hätten.

Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident Armin Laschet hatte zunächst in diese Richtung argumentie­rt: Er hatte auf die Frage, was der Corona-Ausbruch im Schlachtbe­trieb Tönnies über die bisherigen Lockerunge­n aussage, betont: „Das sagt darüber überhaupt nichts aus, weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da der Virus herkommt. Das wird überall passieren.“Für seinen Kommentar hatte Laschet heftige Kritik einstecken müssen – und ruderte anschließe­nd zurück: „Menschen gleich welcher Herkunft irgendeine Schuld am Virus zu geben, verbietet sich.“

Nach Angaben einer Expertin für Infektions­krankheite­n ist es ohnehin „extrem unwahrsche­inlich“, dass sich die meisten Menschen bei einem Urlaub am Wochenende angesteckt hätten. „Die Inkubation­szeit beträgt im Mittel fünf Tage, sodass ein Wochenendb­esuch kaum so eine große Anzahl an Personen erklären kann“, sagte Isabella Eckerle, Leiterin der Forschungs­gruppe Emerging Viruses in der Abteilung für Infektions­krankheite­n der Universitä­t Genf, dem Science Media Center. Stattdesse­n würde die hohe Zahl der Infektione­n eher darauf hinweisen, dass es im Unternehme­n schon seit geraumer Zeit eine immer höher werdende Zahl unbemerkte­r Ansteckung­en gäbe.

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