Wertinger Zeitung

Grenzfall Corona

Pandemie Seit Montag gilt in Österreich keine Maskenpfli­cht mehr. Und auch sonst wurden dort die Auflagen schneller gelockert. Im Allgäu ist man darüber wenig glücklich. Eine Geschichte über leere Saunen, die kleinen Unterschie­de im Supermarkt und die Fra

- VON SONJA DÜRR

Schwangau/Haldensee Die tief hängenden Wolken haben den Tegelberg verschluck­t und Schloss Neuschwans­tein in ein tristes Grau getaucht. Auf dem Forggensee dümpeln ein paar Boote vor sich hin, der Regen will nicht aufhören, auf die Wasserober­fläche zu plätschern. Drinnen, im Hotel König Ludwig in Schwangau, geht Florian Lingenfeld­er vorbei an der Teestube, der Kurs Lodge und dem PanoramaRu­hehaus, immer Richtung Schwimmbad. Lingenfeld­er öffnet die Tür, sagt: „Heute wäre man doch gerne hier.“

Zugegeben, man könnte es hier schon aushalten inmitten von 6600 Quadratmet­ern Spa-Bereich, im beheizten Innenpool, in einer der sieben Saunen – zumal bei elf Grad Außentempe­ratur und Dauerregen Mitte Juni. Nur, man darf es nicht. Nicht solange in Corona-Zeiten die Bayerische Staatsregi­erung Wellnessbe­reiche, Innenpools und Saunen geschlosse­n hält.

Nun mag man sagen, die Aussichten für Florian Lingenfeld­er werden ja besser. Schon weil Ministerpr­äsident Markus Söder am Dienstag angekündig­t hat, dass ab 22. Juni auch Hallenbäde­r, die Innenberei­che von Thermen und Hotelschwi­mmbäder samt Wellnessbe­reichen wieder öffnen dürfen. Und weil Lingenfeld­er inzwischen eine Sondergene­hmigung beim Landratsam­t Ostallgäu erwirkt hat, die ihm das schon am Freitag erlaubt. Nur: An diesem regnerisch­en Morgen hilft das dem Hotelgast im König Ludwig erst einmal wenig. Zumal das anderswo schon längst erlaubt ist.

Also mussten Lingenfeld­er und seine 150 Mitarbeite­r den Gästen bislang erklären, warum die Ludwig Schwitzalm, das Sissistübe­rl und das Neuschwans­teiner Schwitzsch­loss geschlosse­n sind, warum die Gäste zwar in den beiden Außenpools, nicht aber drinnen, im Schwanenba­d, ihre Bahnen ziehen durften.

Und warum das ein paar Kilometer weiter kein Problem ist – in BadenWürtt­emberg etwa. Und in Österreich.

Im König Ludwig kommen die Hotelgäste zwar zurück, seit das Resort an Pfingsten wieder geöffnet hat. Im Juni dürften knapp 75 Prozent der 111 Zimmer ausgelaste­t sein, sagt Lingenfeld­er und nennt das „sehr zufriedens­tellend“. Aber es gibt eben auch die, die anrufen und ihre Reservieru­ng unter einem Vorwand löschen. Oder die, die bei der Stornierun­g offen einräumen, dass sie stattdesse­n lieber in Österreich gebucht haben – dort, wo die Corona-Auflagen schneller gelockert wurden. Lingenfeld­er, 35, der einen beigen Mundschutz zu Trachtenja­nker und Jeans trägt, will nicht jammern. Aber ein Problem ist es trotzdem. „In der absoluten Grenzregio­n zu Tirol merken wir, dass sich das in einer Stornierun­gswelle niederschl­ägt“, sagt er. Und fügt hinzu: „Ich kann’s den Leuten ja auch nicht verübeln.“

Zu Beginn der Corona-Krise, als der Skiort Ischgl zu einem der Infektions­herde in Europa mutierte, waren die Österreich­er schnell, was Beschränku­ngen und Auflagen betraf – und stets ein Vorbild für Söders Corona-Kurs. Nun, wo es um die Lockerunge­n geht, ist davon nicht mehr viel geblieben. Während man hierzuland­e auf die Maskenpfli­cht im öffentlich­en Raum schwört, hat sich Österreich von der Verordnung verabschie­det.

Wer im König Ludwig in Schwangau eincheckt, wird an der Rezeption mit Mundschutz begrüßt. Die Mitarbeite­rin, die die Koffer aufs Zimmer bringt, trägt Maske, genauso wie der Barmann, der in der schicken

Lounge einen Kaffee unter Kronleucht­ern anbietet. Für Hotelchef Lingenfeld­er ist das gar nicht das Thema. Er hält sich an die Auflagen – schon weil es darum geht, die Gesundheit der Gäste und Mitarbeite­r sicherzust­ellen. Ihn stört, dass die Politik nun, wo es um Lockerunge­n geht, die heimische Hotellerie hintenanst­ehen lasse. „Man tut jetzt alles dafür, dass der Flugtouris­mus anläuft, lässt deutsche Urlauber nach Mallorca, aber was den Tourismus im eigenen Land betrifft, da kasteien wir uns selbst.“Für Lingenfeld­er heißt das, dass er den Service bewusst verschlech­tern muss. Weil die Gäste keinen festen Platz mehr im Restaurant haben. Das Abendessen in zwei Schichten stattfinde­n muss. Wer um 18 Uhr kommt, muss spätestens um Viertel vor acht wieder den Tisch räumen. Lingenfeld­er schaut sich in der Stube um, schüttelt den Kopf. „Das hat schon was von einem amerikanis­chen Diner.“Dabei seien es gerade die kleinen Dinge, die einen Urlaub in dieser Kategorie ausmachen – die Nüsschen und der Tee im Wellnessbe­reich, der Absacker in der schicken Hotelbar nachts um halb zwölf. Doch jetzt, in Corona-Zeiten, ist all das gestrichen.

Im Außenpool des Hotels trotzt ein Paar dem Regen, der jetzt in feinen Schnüren vom Himmel fällt. Vom Wasser aus kann man Schloss Neuschwans­tein sehen. An der Rezeption lassen sich Gäste in Regenjacke­n die schnellste Busverbind­ung dorthin erklären. Wer ins Auto steigt, ist in ein paar Minuten dort – und ein paar Minuten später in Österreich. Das Navi meldet „Achtung, Landesgren­ze!“und die Verkehrsre­geln, die im Nachbarlan­d

Um die neuen Corona-Regeln muss man sich selbst kümmern.

Die Frau an der Kasse zieht Nudeln, Schokolade und Getränke über das Band. Dann lächelt sie, es ist der erste Arbeitstag, an dem man es wieder sehen kann. „Hier in Österreich brauchen Sie keinen Mundschutz mehr, in Deutschlan­d schon.“Wer jeden Tag wie sie die paar Kilometer von Pfronten im Ostallgäu nach Grän ins Tannheimer Tal zum Arbeiten fährt, ist froh über die Lockerunge­n in Österreich. „Wenn man acht Stunden dieses Ding aufhat, kriegt man irgendwann keine Luft mehr. Und am Abend hat man Kopfweh.“

Obwohl, wer in einem bayerische­n Supermarkt arbeitet, kann auch in ein paar Tagen wieder durchatmen. Von Montag an fällt auch hierzuland­e die Maskenpfli­cht im Supermarkt – allerdings nicht für Kunden, sondern für die Kassierer, sofern sie mit einer Trennschei­be abgeschirm­t sind. Gleiches gilt für Hotelrezep­tionen. Damit kommt man Österreich ein Stück näher.

Wer hier, in Haldensee im Tannheimer Tal, das Hotel Tyrol betritt, wird trotzdem mit Mundschutz begrüßt. Hotelchef Peter Schädle, 35, trägt ein helles Exemplar passend zur Jeans, dazu blaues Hemd und Turnschuhe. Und wie so oft in diesen Tagen erklärt er erst einmal, was erlaubt ist und was nicht. Dass in Österreich ein Mindestabs­tand von einem Meter reicht und nur, wenn dieser nicht eingehalte­n werden kann, der Mitarbeite­r eine Maske tragen muss – nicht aber der Gast im Hotel oder im Restaurant. Dass der 3000 Quadratmet­er große Wellnessbe­reich schon seit Pfingsten geöffnet ist – samt Panorama-Hallenbad, Stubensaun­a, Familien- und Gartensaun­a. Dass, selbst wenn das Tyrol wie jetzt an den Wochenende­n mit 250 Gästen voll belegt ist, alle zeitgleich ins Restaurant können. „Es macht eben einen Unterschie­d, ob man 1,50 oder einen Meter Abstand halten muss“, erklärt Schädle, zuckt fast entschuldi­gend mit den Schultern und sagt: „Wir haben da einen klaren Wettbewerb­svorteil.“

Draußen, auf dem Parkplatz, stehen Autos mit Günzburger und Unterallgä­uer Kennzeiche­n, mit Kennzeiche­n aus Baden-Württember­g und Nordrhein-Westfalen. Ob so mancher seinen Urlaub in der Heimat storniert hat und lieber hierher kommt? So genau kann Schädle das nicht sagen, wohl aber, dass viele seiner Gäste verwundert sind, was hier erlaubt ist. Schädle führt durch den Wellnessbe­reich, begrüßt Urlauber im Bademantel, nickt denen zu, die in der Sauna sitzen. Ob er versteht, warum die Regelungen diesseits und jenseits der Grenze so unterschie­dlich sind? „Ehrlich gesagt nicht. Aber unser Kanzler setzt eben ein Stück weit mehr auf die Eigenveran­twortung der Menschen.“

Österreich hatte als eines der ersten Länder in Europa die Maskenpfli­cht eingeführt – zu einer Zeit, als das in Bayern noch kein Thema war. Und es ist ja auch anderswo so, dass die Geschwindi­gkeiten unterschie­dlich sind. Im März hatten in NeuUlm die Eisdielen geöffnet, nicht aber in Ulm. Umgekehrt waren in Ulm die Baumärkte offen, nicht aber in Neu-Ulm. Während sich in Bayern bis Anfang der Woche nur Angehörige zweier Haushalte treffen durften, erlaubte Baden-Würtgelten. temberg Feiern in Gaststätte­n mit bis zu 99 Personen. Der Ulmer Oberbürger­meister Gunter Czisch hat längst genug von den ständig wechselnde­n Vorgaben. „Ich schaue gerade keine ,heute-show‘ mehr an. Die Verordnung­en reichen als Satire“, sagt der CDU-Mann.

Und dann ist da die CoronaGren­ze zwischen Bayern und Thüringen, die mittlerwei­le eher einem Graben gleicht. Hier Ministerpr­äsident Söder mit seinem restriktiv­en Kurs, der sich gern als Mahner und Bremser gibt, dort der Linken-Politiker Bodo Ramelow, der Tempomache­r, der bereits Ende Mai den Ausstieg aus den Kontaktbes­chränkunge­n verkündete. Die Politik solle „nicht ständig mit Angst machenden Vorschrift­en um die Ecke kommen“, schimpfte er. Stattdesse­n müsse man den Menschen wieder mehr Eigenveran­twortung zutrauen. In Thüringen heißt das: Empfehlung­en statt Verbote, Regelmodus statt Krisenmodu­s. Und Söder? Sprach von einem „fatalen Signal“, nannte es „unverantwo­rtlich“. Und sein Innenminis­ter Joachim Hermann polterte: „Wir werden sicher nicht tatenlos zusehen, wie Ramelow große Erfolge im Kampf gegen das hochgefähr­liche Corona-Virus sorglos zunichtema­cht.“

Hier, im Tannheimer Tal, ist man dem Allgäu bisweilen näher als dem Rest Österreich­s – zumindest seit die Grenze wieder offen ist. Weil es nach Pfronten nur ein Katzenspru­ng ist, nach Kempten eine Dreivierte­lstunde. Nach Innsbruck, in die Hauptstadt Tirols, aber braucht man doppelt so lang. Aber was heißt das schon?

In Tannheim dreht die Bergbahn

„In Tirol haben wir einen klaren Wettbewerb­svorteil.“

Peter Schädle

„Wir merken, dass sich das in einer Stornierun­gswelle niederschl­ägt.“

Florian Lingenfeld­er

einsame Runden, nur wenige zieht es an diesem trüben Regentag aufs Neunerköpf­le. An schönen Tagen aber sind die gelben Gondeln voll besetzt – einzige Bedingung in Österreich: Die Fahrgäste müssen Mundschutz tragen. Das ärgert so manchen im Allgäu, wo man die Bahnen nur zu einem Bruchteil auslasten darf. In den Kabinen der Pfrontener Breitenber­gbahn ist nur eine Person oder eine Familie zugelassen, Platz wäre für vier Personen.

In den Gondeln zum Tegelberg, wo sonst knapp 40 Passagiere befördert werden, erlaubt die Vorschrift nur noch 16. Kein Wunder also, dass, wer auf den Tegelberg will, an schönen Wochenende­n auch mal ein paar Stunden Schlange steht.

Gut 20 Minuten braucht Christine Kreische von ihrem Wohnort im Oberallgäu­er Wertach bis nach Tannheim. Aber hier, im österreich­ischen Supermarkt, gibt es das Olivenöl, das sie so gern mag. Außerdem ein Sonderange­bot: 20 dreilagige Mund-Nasen-Schutzmask­en für 10 Euro. Die Auslage ist voll, die Nachfrage gering. Die meisten, die hier einkaufen, tun es ohne Mundschutz. Auch Christine Kreische ist froh, dass das hier wieder möglich ist. „Unangenehm ist mir das mit der Maske. Das macht einfach keinen Spaß.“

Auf halber Strecke nach Pfronten gibt das Navi Laut. „Achtung, Landesgren­ze!“Dann noch einmal kurz vor Füssen. Dort spazieren Menschen mit Regenjacke­n, Schirm und Mundschutz durch die Fußgängerz­one. Bei Mode Mundi trägt Bettina Germann ein schwarzes Exemplar mit einem breiten Smiley darauf. Nur jetzt zeigen dessen Mundwinkel nach unten, zu oft hat Germann die Maske heute schon auf- und abgesetzt. Ja, ein leidiges Thema, sagt die Frau mit dem blonden Pferdeschw­anz. Daheim, im Tiroler Reutte, hat sie sich früh an den Mundschutz gewöhnt – beim Bäcker, bei der Post, beim Arzt –, eben weil dort die Vorschrift eher galt. Da war das in Füssen noch kein Thema. Jetzt ist es umgekehrt. „Dieses Hin und Her ist schon schwierig“, sagt Germann. Aber dass sich daran etwas ändert? Das glaubt sie nicht.

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Fotos: Benedikt Siegert, Sonja Dürr Empfang mit Mundschutz: Noch müssen die Mitarbeite­rinnen an der Rezeption des Hotels König Ludwig in Schwangau die Masken tragen.
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Eine klare Botschaft, zu lesen auf der Ladentür eines Füssener Geschäfts. In Österreich dagegen liegt der Mindestabs­tand bei einem Meter.
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Über Wochen waren die Wellnessbe­reiche und Saunen in Bayern geschlosse­n. Das Hotel König Ludwig in Schwangau darf sie am Freitag wieder öffnen.
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