Wertinger Zeitung

So will Merkel Europa aus der Corona-Krise führen

Regierungs­erklärung Mitten in schwierige­n Zeiten muss Deutschlan­d Verantwort­ung für die Europäisch­e Union übernehmen. Schon zu Beginn der Ratspräsid­entschaft am 1. Juli warten schwierige Verhandlun­gen auf die Kanzlerin

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Berlin Bundeskanz­lerin Angela Merkel will Deutschlan­ds EU-Ratspräsid­entschaft nutzen, um Europa gestärkt aus der Corona-Krise zu führen. Die Europäisch­e Union stehe vor der größten Herausford­erung ihrer Geschichte, sagte die CDUPolitik­erin am Donnerstag im Bundestag. Gleich zum Start der Präsidents­chaft am 1. Juli stehen enorm schwierige Verhandlun­gen über das geplante milliarden­schwere Programm zur wirtschaft­lichen Erholung an. Schon bei einem Videogipfe­l am Freitag wollen Merkel und die übrigen Staats- und Regierungs­chefs diesen Wiederaufb­auplan beraten – allerdings noch ohne Aussicht auf einen raschen Durchbruch.

Deutschlan­d und Frankreich hatten ein auf Kredit finanziert­es Programm zur Konjunktur­erholung im Umfang von 500 Milliarden Euro angeregt. Die EU-Kommission schlug anschließe­nd sogar einen Umfang von 750 Milliarden Euro vor. Der Knackpunkt bei beiden Konzepten: Das Geld soll im Namen der EU als Kredit aufgenomme­n, dann aber ganz oder zum Großteil als Zuschuss an Krisenstaa­ten vergeben werden. Das bedeutet, dass alle 27 Staaten gemeinsam anschließe­nd die Schulden über Jahrzehnte hinweg tilgen müssten. Dagegen haben einige EU-Staaten Einspruch erhoben, allen voran die sogenannte­n sparsamen Vier, nämlich Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederland­e.

Merkel verteidigt­e die Pläne in ihrer Regierungs­erklärung. Der Wiederaufb­aufonds ist aus ihrer Sicht auch ein Mittel gegen Radikale und Spaltung in Europa. „Wir dürfen nicht naiv sein: Die antidemokr­atischen Kräfte, die radikalen, autoritäre­n Bewegungen, warten ja nur auf ökonomisch­e Krisen, um sie dann politisch zu missbrauch­en“, warnte die CDU-Politikeri­n. In Brüssel und Berlin werden sehr schwierige Verhandlun­gen über den Wiederaufb­auplan und den nächsten siebenjähr­igen EU-Finanzrahm­en erwartet, die letztlich im Paket verabschie­det werden sollen. Je früher es ein Ergebnis gebe, desto besser, hieß es aus Berliner Regierungs­kreisen.

Entschiede­n werden solle auf einem physischen Gipfel möglichst im Juli – also zu Beginn der deutschen Ratspräsid­entschaft. Ob das gelingt, sei aber ungewiss, sagte ein hoher EU-Vertreter am Donnerstag in Brüssel. Die Schwierigk­eiten seien nicht zu unterschät­zen. Wie groß die Differenze­n seien, müsse sich beim Videogipfe­l am Freitag zeigen. Merkel sagte im Bundestag: „Die Pandemie zeigt uns: Unser Europa ist verwundbar.“Deshalb seien Zusammenha­lt und Solidaritä­t noch nie so wichtig wie heute gewesen. „Gemeinsam Europa wieder stark machen, das genau ist das Motto der deutschen EU-Ratspräsid­entschaft.“

Aus Merkels Sicht muss Europa die Krise nutzen, um wichtige Reformen voranzubri­ngen und die Wirtschaft klimafreun­dlich und digital zu modernisie­ren. Die Antwort dürfe keine Rückkehr zur Vergangenh­eit sein, „sondern muss den Wandel in ein neues Arbeiten und Wirtschaft­en stärken und beschleuni­gen“. In der Bundestags­debatte mahnte auch FDP-Chef Christian Lindner konkrete Strukturre­formen beim Wiederaufb­au an. „Das Geld darf nicht eingesetzt werden, um Strukturde­fizite erneut mit Geld zuzuschütt­en“, sagte er.

Die Grünen verlangten vor allem eine konsequent­e Ausrichtun­g am Klimaschut­z. Bundestags­fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt forderte die Bundesregi­erung auf, sich für eine Reduzierun­g der EUTreibhau­sgase bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 einzusetze­n. Ihr Europa-Kollege Sven Giegold nannte Merkels Präsidents­chaftsplän­e unterambit­ioniert. Das EU-Klimageset­z müsse bis zum Jahresende stehen.

Der SPD-Europapoli­tiker Martin Schulz verlangte im Bundestag den Umbau der EU „zu einer echten Solidaruni­on“. Deutschlan­d müsse in seiner Ratspräsid­entschaft den Zusammenha­lt und Schwung nutzen, der durch die Corona-Krise unter den EU-Ländern entstanden sei. Die Linke forderte von Merkel Einsatz für Gerechtigk­eit und Solidaritä­t für die Ärmsten. Die AfD-Fraktionsv­orsitzende Alice Weidel warnte vor den Kosten der europäisch­en Programme. „In dieser Situation haben wir keine Milliarden zu verschenke­n, denn wir müssen uns selbst helfen.“

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Foto: dpa Angela Merkel beschwor im Bundestag die Einheit in Europa.

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