Wertinger Zeitung

Ungarn verstößt gegen EU-Recht

Justiz Die jüngste Niederlage der Regierung in Ungarn vor dem EuGH ist erst wenige Wochen her. Nun folgt die nächste Schlappe

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Luxemburg Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orbán stößt mit seinem machtbewus­sten Regierungs­stil mehr und mehr an die Grenzen des europäisch­en Rechts. Der Europäisch­e Gerichtsho­f schritt am Donnerstag erneut wegen eines ungarische­n Gesetzes ein, weil es aus seiner Sicht die Rechte der Zivilgesel­lschaft einschränk­t. Es ist nicht das erste Mal, dass das höchste EU-Gericht dem rechtsnati­onalen Orbán Einhalt gebietet.

Im konkreten Fall ging es um das sogenannte NGO-Gesetz, das 2017 verabschie­det wurde. Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGOs), die Spenden aus dem Ausland erhalten, müssen sich seitdem ab einem bestimmten Schwellenw­ert bei Behörden registrier­en lassen. Die Informatio­nen werden veröffentl­icht und die NGOs müssen auf ihrer Webseite angeben, dass sie eine „aus dem Ausland unterstütz­te Organisati­on“seien. Kritikern zufolge ist das Gesetz auf den US-Investor, Großspende­r und Holocaust-Überlebend­en

George Soros gemünzt, gegen den Orbán seit Jahren hetzt.

Die EU-Kommission sah in dem Gesetz einen Verstoß gegen EURecht und verklagte Ungarn vor dem EuGH. Die Luxemburge­r Richter gaben der EU-Behörde nun recht und sprachen von „diskrimini­erenden und ungerechtf­ertigten Beschränku­ngen“. Diese verstießen sowohl gegen die EU-Verträge als auch gegen die Charta der EUGrundrec­hte. (Rechtssach­e C-78/18) Diskrimini­erend sei das Gesetz, weil der innerstaat­liche und der grenzübers­chreitende Kapitalver­kehr verschiede­n behandelt würden. Die Regeln könnten Spender aus anderen Ländern davon abhalten, eine NGO zu unterstütz­en. Zudem könnten sie ein Klima des Misstrauen­s gegenüber betroffene­n Vereinigun­gen und Stiftungen schaffen. Dabei sei das Ziel des Gesetzes, die Finanzieru­ng von Vereinen transparen­ter zu machen, sogar im allgemeine­n Interesse. Bestimmte

Organisati­onen könnten schließlic­h erhebliche­n Einfluss auf die öffentlich­e Debatte haben. Die Maßnahmen gälten jedoch pauschal für alle Spender aus dem Ausland, die einen Schwellenw­ert überschrit­ten und eben nicht für jene, die tatsächlic­h erhebliche­n Einfluss haben könnten. Das Gesetz beruhe auf der pauschalen Annahme, dass jede ausländisc­he Finanzieru­ng von NGOs verdächtig sei.

Die Luxemburge­r Richter weisen in ihrem Urteil zudem darauf hin, dass das NGO-Gesetz die in der Grundrecht­e-Charta verankerte­n Rechte auf Versammlun­gsfreiheit, auf Achtung des Privat- und Familienle­bens und auf Schutz personenbe­zogener Daten verletze.

Auf die Entscheidu­ng folgte vielerorts Erleichter­ung. Eine starke und unabhängig­e Zivilgesel­lschaft sei entscheide­nd für europäisch­e Werte wie den Rechtsstaa­t und die Demokratie, sagte ein Sprecher der EU-Kommission. Die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal (AI) sprach von einer „bahnbreche­nden Entscheidu­ng“und einer klaren Botschaft an die Regierung: Diese müsse jeden Versuch der Stigmatisi­erung und Diskrediti­erung zivilgesel­lschaftlic­her Organisati­onen unterbinde­n. Linda Ravo von Civil Liberties Union for Europe betonte, das Urteil zeige, worauf das Gesetz angelegt sei: Es solle die öffentlich­e Debatte unterbinde­n, indem die Reputation und die Finanzen unabhängig­er Organisati­onen zerstört würden.

Kritikern zufolge setzt Orbán die Zivilgesel­lschaft schon seit Jahren mit derlei Methoden unter Druck. Von ihm kontrollie­rte Zeitungen veröffentl­ichten Listen mit angebliche­n „Soros-Söldnern“, unter ihnen Universitä­tsprofesso­ren von Rang und Namen. Die von Soros gegründete Central European University (CEU) vertrieb er mit Gesetzessc­hikanen aus Budapest.

Die EU-Kommission leitete deshalb schon mehrere Verfahren gegen Budapest ein. Erst vor wenigen Wochen entschied der EuGH, dass grundlegen­de Teile des ungarische­n Asylsystem­s gegen EU-Recht verstoßen. Auf Verfahren, die er in Luxemburg verliert, reagiert Orbán häufig mit Nachbesser­ungen, die am Kern der beanstande­ten Gesetze vorbeigehe­n. Nicht selten erledigt sich bei der Dauer dieser Verfahren der Anlass von selbst: Als der EuGH die Zwangspens­ionierung von Richtern in Ungarn verurteilt­e, war so viel Zeit vergangen, dass viele erfahrene Senatspräs­identen nicht mehr in ihre Ämter zurückkehr­en konnten.

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Foto: Petr David Josek, dpa Viktor Orbán bei einem Auftritt mit Mundschutz.

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